Nicht so keimarm wie man lange dachte

Mikrobiom der Lunge

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Berlin -

Als Mikrobiom werden die natürlich vorkommenden Keime im und am menschlichen Körper bezeichnet. Über das Mikrobiom des Darms und die sogenannte Darm-Hirn-Achse ist schon einiges bekannt. Bei der Lunge hingegen dachte man lange Zeit, dass die Oberfläche weitestgehend steril ist und nur von einzelnen Bakterienstämmen besiedelt wird. Die Muster des Mikrobioms der Lunge unterscheiden sich stark von denen des Darms. Bestimmte Krankheiten – darunter Asthma und COPD – können das Gleichgewicht der Keimbesiedlung stören. Auch Medikamente wie Corticosteroide und Antibiotika haben einen Einfluss auf die Art der Besiedlung. Ein Abstrich aus dem Mund-Rachen-Raum oder der Nase lässt keine Rückschlüsse auf das Mikrobiom der Lunge zu.

In den Atemwegen besteht die Schleimhaut aus dem so genannten Flimmerepithel. Hierbei handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Millionen Zellen, die mit beweglichen Härchen ausgestattet sind. Diese sogenannten Flimmerhärchen bewegen sich wellenartig und können Fremdpartikel abtransportieren. Dieser Vorgang wird mucoziliäre Clearance genannt. Die Zilien führen koordinierte Wellenbewegungen Richtung Rachen aus. Mit einer Frequenz von 15 bis 25 pro Sekunde schlagen die kleinen Härchen und führen so den Selbstreinigungsprozess der Bronchien durch.

Sind die Flimmerhärchen in ihrer Funktion gestört, so dient der Hustenreflex als bronchiale Reinigung. Bei Erkrankungen wie grippalen Effekten oder Lungenentzündungen bedient sich der Körper an dieser zusätzlichen Reinigungsfunktion. Hohe Luftfeuchtigkeit verbessert die Funktion der mucoziliären Clearance. Bei der maschinellen Beatmung wird die Reinigung durch aktive und passive Atemgasbefeuchtung unterstützt.

Mikrobiom der Lunge

Der Begriff Lungenmikrobiom bezeichnet die pulmonale Mikrobengemeinschaft, die aus einer Vielzahl von Mikroorganismen besteht. Diese physiologische Gemeinschaft von Viren, Bakterien, Bakteriophagen und zum Teil Pilzen kommt auf der gesamten Epitheloberfläche vor.

Funktion und Veränderungen des Lungenmikrobioms

Jahrelang lernten Medizinstudenten, dass das Organ quasi steril sei. Mittlerweile weiß man, dass die Lunge ebenfalls von einem Mikrobiom besiedelt ist, welches verschiedene Aufgaben übernimmt. Die Keime scheinen in Verbindung mit anderen Organen zu stehen. Die gesamten Funktionen des Lungenmikrobioms sind noch nicht abschließend geklärt – wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema sind im Vergleich noch sehr jung.

Das gewisse Erkrankungen das Mikrobiom stören können, ist mittlerweile nachgewiesen. Aber auch das Gegenteil wird untersucht: Erste Analysen legen beispielsweise nahe, dass das Mikrobiom ein mitwirkender Auslöser für COPD sein könnte. Bei dieser Erkrankung konnte auch gezeigt werden, dass die Zusammensetzung der Lungenflora mit Exazerbationen zusammenhängt.

2017 zeigte eine Arbeitsgruppe um Alexander Dalpke, dem stellvertretenden ärztlichen Direktor der Abteilung medizinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Heidelberg, dass eine Infektion mit Pseudomonas aeruginosa das Mikrobiom in der Lunge von Patienten mit zystischer Fibrose verändert – unabhängig vom Alter. Ebenfalls interessant: Die Forscher konnten zeigen, dass das Mikrobiom der Lunge aus mehr als 100 verschiedenen, für jeden Patienten individuellen Keimarten bestehen kann. Die Forscher wollten wissen, ob das Mikrobiom Auslöser für die krankhafte Besiedlung war, oder ob die krankhafte Besiedlung dazu führte, dass sich die Flora veränderte. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss: „Unsere Befunde zeigen, dass Mikrobiom-Veränderungen die Folge, nicht aber die Ursache einer Infektion mit dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa sind“, erläuterte Dalpke.

Der Krankheitsverlauf von Intensivpatienten scheint sich anhand des Lungenmikrobioms besser einschätzen zu lassen. Durch dokumentierte Veränderungen des Lungenmikrobioms könnte das Ansprechen von schwer erkrankten, mechanisch beatmeten Patienten auf eine intensivmedizinische Versorgung besser vorhergesagt werden. In einer Studie, in der Wissenschaftler aus Michigan, Amsterdam und Bangkok Daten zu intensivmedizinisch versorgten Patienten auswerteten, konnte diese Annahme bestätigt werden. Die Studie wurde im Journal of Respiratory and Critical Care Medicine online am 21.1.2020 veröffentlicht.

Hospitalisierte Patienten, die einen Tag nach der Aufnahme auf die Intensivstation eine höhere pulmonale Bakterienlast aufwiesen, mussten innerhalb der fortschreitenden Therapie häufiger beatmet werden, als die Patienten mit einer ausbalancierten Bakterienlast. Hierbei war es egal, ob die Patienten eine Pneumonie aufwiesen oder nicht. Die Analyse des Lungenmikrobioms ließ Rückschluss auf das Therapieergebnis (Outcome) zu.

Die Auswertung der Flora konnte unter anderem zeigen, dass zwei Bakterienstämme, die normalerweise im Darm vorkommen – Lachnospiraceae und Enterobacteriaceae – im Lungenmikrobiom von Patienten mit schlechterem Outcome häufiger gefunden wurden. Ein spezieller Keim wurde mit dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) in Verbindung gebracht, hierbei handelt es sich um das Bakterium Enterobacteriaceae.

Dadurch, dass bei der künstlichen Beatmung ein großer Teil des physiologischen Vorgangs übergangen wird, ist es wichtig, dass das zu inhalierende Gas angewärmt und angefeuchtet wird. Das Atemgas muss vorab gereinigt, auf maximale Luftfeuchtigkeit angefeuchtet und auf ungefähr 37 Grad angewärmt werden. Ohne die vorherige Atemgasklimatisierung nimmt die Zilienarbeit ab, die Folge ist eine gestörte mucoziliäre Clearance, die wiederrum zu einer pathologischen Keimbesiedlung in den Bronchien führen kann.

Darm-Lungenachse

Nachdem zahlreiche Forscher bereits über Funktionen der Darm-Hirn-Achse berichtet haben, gibt es erste Annahmen, dass auch eine Darm-Lungen-Achse existiert. In Bezug auf das neuartige Coronavirus nehmen einige Mediziner an, dass Veränderungen im Lungenmikrobiom auch zu Veränderungen im Darmmikrobiom führen könnten. Eventuell könnte hierdurch das Symptom Durchfall bei Covid-19 erklärt werden. Weitere Analysen und Studien zu Sars-CoV-2 könnten auch Aufschluss über die Darm-Lungenachse geben.

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