Video-Sprechstunden neben Praxisbetrieb

So wirbt Medgate um Ärzt:innen

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Berlin -

Der Schweizer Telemedizinanbieter Medgate drängt weiter auf den deutschen Markt und will sich auch hierzulande zum Konkurrenten von Zava, Teleclinic, Kry & Co. mausern. Nun steht Medgate kurz davor, einen der wichtigsten Hürden zu nehmen: Ab Herbst sollen die Videosprechstunden in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig sein. Auch mit der Eröffnung sogenannter Minikliniken nach Schweizer Vorbild liebäugelt Medgate nach wie vor – die Planungen für Pilotprojekte schreiten voran.

Seit einem knappen Jahr erst ist Medgate auf dem deutschen Markt aktiv, bisher aber nur im PKV-Bereich. Rund eine Million Vollversicherte können Medgate aktuell über Versorgungsverträge mit mehreren Privaten Krankenversicherungen nutzen. Von den insgesamt 200 Ärzten, die für Medgate arbeiten, sitzen 30 in Deutschland. Und das soll nur der Anfang sein. „Medgate plant, die Wertschöpfungskette 360 Grad auszubauen: Neben normaler Telemedizin wollen wir auch Spezialsprechstunden, unter anderem zur Hypertonie, anbieten und entwickeln derzeit auch ein telemedizinisches Angebot im Rahmen eines Inklusionsmodell für Menschen mit Behinderungen“, sagt Dr. Stephan Pitum-Weber, Head of Business Development. „Wir wollen dabei nicht nur mit privaten Krankenversicherungen kontrahieren, sondern auch mit den gesetzlichen Krankenkassen. Deshalb sind wir gerade dabei, ein GKV-Modell zu entwickeln, für das wir bereits die Technik aufbauen und Ärzte ins Boot holen.“

Für die Einbindung der Ärzte in das GKV-Modell ist Katharina Wilson als Partner Network Manager verantwortlich. „Meine Funktion besteht darin, Schnittstelle zwischen niedergelassenen Ärzten und Medgate zu sein“, erklärt sie. „Im GKV-Bereich werden wir mit einer Mischung aus neuen Ärzten und Bestandsärzten von Medgate arbeiten. Wir arbeiten mit einem Softwareanbieter, der die Zertifizierungsschritte bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung umsetzt. Es fehlen nur noch wenige letzte Anpassungen in der Technik und dann sind wir GKV-ready.“ Derzeit sei sie in den Vertragsgesprächen mit Ärzten und in der Trainingsausgestaltung.

Das Schweizer Unternehmen arbeite dabei hierzulande auf nationaler Ebene, Patienten in Deutschland werden nur von in Deutschland niedergelassenen Ärzten betreut. „Dabei kann ein Arzt überregional tätig sein und Patienten aus beispielsweise ländlichen Gebieten betreuen. Das ermöglicht einen Ausgleich im Hinblick auf strukturschwache Regionen insofern, als Ärzte aus gut versorgten Regionen Patienten in unterversorgten Regionen behandeln können“, so Wilson. Da Ärzte nach ihren Berufsordnungen prinzipiell nur einen bestimmten Anteil der Behandlungen telemedizinisch durchführen sollen, vereinbare Medagte mit ihnen Mengenkontingente zur besseren Planbarkeit. „Auf diese Weise können Ärzte die Telemedizin optimal in den Praxisalltag integrieren.“ Aufgrund der Pandemie hätten die Ärzte derzeit mehr quantitativen Spielraum für telemedizinische Behandlungen, da die Obergrenzen ausgesetzt wurden.

Die Ärzte rechnen dann direkt mit ihrer KV nach den einschlägigen EBM-Ziffern ab, inklusive der Technikzuschläge für die Telemedizin. Für die Nutzung der Services und der technologischen Infrastruktur von Medgate entrichten sie dann eine Servicegebühr. Dabei werde jedoch aus Gründen des Datenschutzes streng darauf geachtet, dass beide Patientenstämme getrennt gehalten werden. „In den mit uns kooperierenden Praxen gibt es zwei Patientenbereiche: Patienten, die über die Medgate-App kommen und Bestandspatienten der Praxis“, so Wilson. „Wir bringen unseren Partner-Ärzten Patienten im Rahmen der vordefinierten Kontingente, der Arzt kann aber auch Bestandspatienten über die Medgate-Infrastruktur behandeln. Die Trennung beider Bereiche verursacht im Praxisalltag kein Aufwand, der Wechsel zwischen praxiseigener Software ist völlig unkompliziert und klappt reibungslos.“ Die Anwendung in der Praxis ist dabei webbasiert, das Patientenmanagementsystem über den Browser erreichbar.

Die Servicegebühr, die die Ärzte zu entrichten haben, fällt pro Konsultation an, ihre Höhe hängt dabei von Parametern wie der Anzahl der telemedizinischen Konsultationen oder der telemedizinischen Qualifikation ab. „Uns ist wichtig, die Ärzte telemedizinisch weiterzubilden“, so Wilson. „Dementsprechend bieten wir unterschiedliche Trainingslevels an, von Basis bis Experte. Die Trainings gehen über ein klassisches technisches Onboarding hinaus.“ Es gehe dabei nicht nur um den Umgang mit Webanwendungen wie einem digitalen Wartezimmer oder digitaler Terminplanung. „Ärzte profitieren auch von konkreten Hinweisen und Tipps zur telemedizinischen Herangehensweise an unterschiedliche Krankheitsbilder und wie sie Patienten instruieren können, ihre Symptome treffend zu schildern. Auf diese Weise ermöglichen wir, dass sich Ärzte ein scharfes Bild machen können. An dieser Stelle profitieren Ärzte von unserer 20-jährigen Erfahrung im Bereich Telemedizin.“

Einen Turbostart wird Medgate wohl dennoch nicht hinlegen: „Ärzte zu akquirieren ist kein Weg, den man sofort beschreitet, sondern das dauert etwas länger. Es gibt gewisse Vorbehalte in vielen Arztpraxen, die wir durch Aufklärung abbauen wollen“, erklärt Pitum-Weber. Doch das Angebot sei gut, nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich: „Es handelt sich bei Medgate um ein ineinander verwobenes QM-System mit drei Säulen: telemedizinische Guidelines, Akademie und Ausbildung sowie Medgate-spezifische Qualitätsstandards.“ Auch bei seiner seiner Kapazitätsplanung werde der Arzt unterstützt, ergänzt Wilson. Wann er seine Bestandspatienten in der Praxis oder telemedizinisch behandelt und zu welchen Zeiten er Patienten behandelt, die über die Medgate-App kommen, könne er selbst entscheiden. Für die Kapazitätsplanung bei Medgate gibt der Arzt dort die Zeiten an, zu denen er verfügbar ist.

Parallel zur Vorebreitung des Eintritts in den GKV-Markt lotet Medgate weiter die Möglichkeiten aus, das Konzept von Minikliniken in Deutschland mittel Pilotprojekten zu erproben. In der Schweiz, aber auch in den USA und Schweden sind derartige Konzepte bereits als niedrigschwellige Anlaufstellen in Gesundheitsfragen etabliert: An eine Apotheke angeschlossen befindet sich ein Tresen mit einer ärztlichen Fachkraft, die bei einfachen Fällen eine Erstbeurteilung geben oder sogar einfache Eingriffe wie das Ziehen von Fäden vornehmen kann. Handelt es sich um einen ernsteren Fall, kann vor Ort ein telemedizinisches Angebot in Anspruch genommen werden. Für die Patienten bedeute das: keine Termine, keine langen Wartezeiten. Aber auch für die Apotheken könne das demnach eine Chance sein, beispielsweise in der Spezialisierung, so die Erwägung. „Das Thema Mini Clinics könnte dabei die telemedizinische Versorgung der Ärzte von Patienten in unterversorgten Regionen ohne ausreichende ärztliche Infrastruktur unterstützen“, sagt Pitum-Weber.

Nur ein wichtiger Baustein fehlt noch um der Telemedizin in den Erwägungen ihrer Anbieter zum Erfolgsmodell in der GKV zu machen: das E-Rezept. Ob das wirklich zum 1. Januar kommt, wird auch von Telemedizinern immer häufiger angezweifelt. Medgate hält sich bei der Frage bedeckt. „Wir freuen uns, dass das E-Rezept gesetzt ist. Schauen wir mal, was nach der Wahl passiert. Wir gehen aber erst einmal davon aus, dass die vorgegebenen Termine gehalten werden sollen“, sagt Wilson. Medgates Patientenmanagementsystem sei jedenfalls damit kompatibel und an die Telematikinfrastruktur angeschlossen, das E-Rezept könne also in das System integriert werden. „Im Moment müssen Rezepte noch per E-Mail und dann postalisch versendet oder vor Ort abgeholt werden“, so Wilson. „Unser Ziel ist es, das E-Rezept für unsere Patienten so einfach und bequem wie möglich zu gestalten.“

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