Testphase verlängert

E-Rezept verschoben: Die Hintergründe Tobias Lau und Alexander Müller, 30.09.2021 11:12 Uhr

Die Testphase zur Einführung des E-Rezepts war laut Beteiligten ein ziemliches Desaster. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Der Roll-out des E-Rezepts ist vorerst abgeblasen – ob die gesetzliche Frist zur verpflichtenden Einführung am 1. Januar gehalten werden kann, steht in den Sternen. Der Schritt kommt nicht überraschend: Von der Gematik und aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) kam bisher so gut wie nichts – und das, obwohl die Gematik sonst jeden Zwischenstand bei ihren Digitalisierungsprojekten öffentlich macht. Redet man mit Beteiligten am Projekt, hört man allerdings allerorten hinter vorgehaltener Hand dasselbe: Der Testlauf sei bisher ein absoluter Flop gewesen. Dem Vernehmen nach hat kein einziges echtes E-Rezept den kompletten Zyklus von Ausstellung bis Abrechnung erfolgreich durchlaufen.

Ab Freitag sollte eigentlich das E-Rezept bundesweit ausgerollt werden. Nur einen Tag zuvor bläst die Gematik die freiwillige Einführung jedoch kurzerhand ab. Die Gründe liegen auf der Hand, öffentlich äußern will und darf sich jedoch seit drei Monaten niemand. Aus den beteiligten Kreisen hört man aber seit Wochen unisono dasselbe: Der Testlauf in der Pilotregion Berlin-Brandenburg sei „ein Desaster“ gewesen, sagt ein Verantwortungsträger aus einem Softwarehaus.

In den drei Monaten Erprobung sollen nach Informationen von APOTHEKE ADHOC zwar mehrere Dutzend E-Rezepte erstellt und verschickt worden sein – allerdings habe es sich dabei ausschließlich um Demo-Datensätze gehandelt. Es hat demnach bisher kein einziges „echtes“ E-Rezept den gesamten Zyklus von Ausstellung über Abgabe bis Abrechnung durchlaufen. „Rezepte kommen bis zur Apotheke, aber können dann noch nicht abgerechnet werden“, so ein Beteiligter.

„Das aktuelle Ergebnis des Pilotprojekts ist problematisch“, sagt ein anderer Manager eines Softwarehauses. Es gebe zu wenige Arztsysteme, auch bei den Krankenkassen und selbst bei den Warenwirtschaftssystemen der Apotheken gebe es noch Engpässe. Bisher sind nur Pharmatechnik und Awinta von Noventi in der Lage, E-Rezepte komplett zu verarbeiten – theoretisch zumindest. Denn auch dort soll es noch haken. Pharmatechnik plant dem Vernehmen nach schon in den kommenden Tagen ein weiteres Update. „Unterm Strich ist es so, dass für einen massentauglichen Einsatz die Testphase noch nicht reicht.“

Die Zahl der Probleme ist dem Vernehmen nach groß und reicht von Fehlern in der sogenannten Referenzumgebung der Telematikinfrastruktur über die Kompatibilität der verschiedenen Systeme bis hin zu den Schnittstellen zu den Kostenträgern. Aus dem Kreis der Softwaredienstleister für die Kostenträger heißt es ebenfalls, dass dort außer Demo-Datensätzen noch nichts angekommen sei. Ein weiteres Problem seien Lesefehler bei den ausgedruckten QR-Codes gewesen. Viele Praxisdrucker seien nicht in der Lage, die Codes lesekonform zu drucken. Ein Testlauf mit einem Nadeldrucker habe demnach zu einer Druckdauer von 50 Sekunden geführt – eindeutig zu lang für den Praxisalltag.

Ein besonderes Nadelöhr sind die Praxisverwaltungssysteme. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt seit Monaten gebetsmühlenartig, dass viele Anbieter nicht in der Lage sein würden, bis zum 1. Januar E-Rezepte zu erstellen. Bisher sind dem Vernehmen nach nur Quincy und Turbomed dazu fähig. Hier gibt es nun ebenfalls eine Änderung: Die Arztsysteme müssen jetzt nicht nur von der Gematik zertifiziert werden, sondern auch durch einen sogenannten Konnektathon. Das hat die Gematik mit der KBV vereinbart. Erst wenn die Systeme diesen Belastungstest bestanden haben, können sie in der Praxis eingesetzt werden.

Der 1. Januar soll zwar formal immer noch als Startdatum gehalten werden – aber den Arztpraxen wird schon eine Hintertür geöffnet. Das E-Rezept wird zunächst als „Opt-In“ in der Software angelegt sein, die Ärztinnen und Ärzte können also vorerst weiter auf Papier verordnen. Zentral dabei: Die Gematik befindet sich in Gesprächen mit den Krankenkassen über eine Friedenspflicht, damit die Muster-16-Rezepte ganz normal weiter abgerechnet werden. Es wird also eine verlängerte Übergangszeit geben.