KBV zeigt Rückgrat, Abda duckt sich weg

E-Rezept: Man muss auch mal den Ärzten danken Tobias Lau, 21.12.2021 15:37 Uhr

Interessenvertretung: Dr. Thomas Kriedel war in den vergangenen Monaten einer der wichtigsten Wortführer des Widerstands gegen die Einführung eines unausgereiften E-Rezepts. Foto: Kassenärztliche Bundesvereinigung
Berlin - 

An Tag 1 nach der Absage der verpflichtenden E-Rezept-Einführung überwiegt quer durch die Sektoren des Gesundheitswesens die Erleichterung. Auch der Deutsche Apothekerverband (DAV) spricht plötzlich davon, dass eine Gefahr für die Versorgung abgewendet worden sei. Warum erst jetzt? Die Ärzteschaft hat gezeigt, wie man Interessen des Berufsstandes richtig vertritt, kommentiert Tobias Lau.

Es gebe beim E-Rezept noch erhebliche technische Probleme, die vor der Einführung behoben werden müssten, denn „sonst wird die Versorgungssicherheit der Patienten gefährdet“, erklärte DAV-Chef Thomas Dittrich am Dienstag. Auch wirtschaftlich sei das E-Rezept auf dem jetzigen Entwicklungsstand eine Gefahr für die Apotheken, schließlich gebe es nach wie vor Unstimmigkeiten im elektronischen Signaturverfahren – und solange die nicht ausgeräumt sind, „läuft die Apotheke Gefahr, nach der Belieferung des E-Rezeptes retaxiert zu werden, also keine Vergütung zu bekommen. Das ist nicht akzeptabel.“

So klar und wahr diese Worte sind, muss man nun laut fragen: Warum kommen sie jetzt? Jetzt, da die Entscheidung gefallen ist?

Bisher waren Abda und DAV beim Thema E-Rezept eher durch Duckmäusertum aufgefallen: Das Mantra, dass die Apotheken „E-Rezept-ready“ seien, hat sich in der Branche mittlerweile zum geflügelten Wort entwickelt – allerdings fast immer mit sarkastischem Zungenschlag. Wenn vonseiten der Standesvertretung Kritik am Vorgehen der Gematik oder des BMG aufkam, dann eher in homöopathischen Dosen oder diplomatisch verklausuliert. Selbst nachdem der DAV sich in die Phalanx der Leistungserbringerorganisationen im Gematik-Gesellschafterrat einreihte, die Anfang Dezember den Aufstand probte, folgte von der Abda kein weiteres eigenes Statement, das sich der Sorgen und Nöte ihrer Standesmitglieder klar annahm.

Das deutlichste, was in den vergangenen Wochen seitens der Abda-Führung zu hören war, kam aus dem Mund von Präsidentin Gabriele Overwiening selbst: „Das für alle Beteiligten wichtigste Digitalprojekt im Gesundheitswesen aller Zeiten darf nicht verstolpert werden. Wir Apothekerinnen und Apotheker sind startklar für das E-Rezept. Beim Blick auf den ehrgeizigen Zeitplan und den tatsächlichen Umsetzungsfortschritt des Gesamtprojektes wird mir aber angst und bange“, erklärte sie in ihrer Funktion als Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) am Tag nach der gemeinsamen Erklärung mit den anderen Spitzenorganisationen – als das Wichtigste bereits gesagt worden war.

Bis dahin stützte die Abda, abgesehen von einzelnen Forderungen nach Nachbesserungen, stets die Erzählung der Gematik und war sichtlich bemüht, sich als der verlässliche Partner darzustellen und ja nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, dass es an den Apotheken scheitern könnte. Das für die wirtschaftliche Existenz der Apotheken zentrale Thema der Abrechnungssicherheit und die Probleme damit war der Abda hingegen kaum wichtig genug, dafür zu Felde zu ziehen. So gut wie nichts hat man aus der Berliner Zentrale dazu gehört.

Dass das BMG nun die Notbremse gezogen hat und auch die Apotheken vor Schlimmerem bewahrte, haben sie nicht der Abda zu verdanken. Man muss es so klar sagen: Diejenige Standesvertretung, die gezeigt hat, wie man sich auf die Hinterbeine stellt und versucht, das Beste für ihre Mitglieder herauszuholen, ist die der Ärzteschaft. Insbesondere die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Vertreterin der Niedergelassenen hat in den vergangenen Monaten die Muskeln spielen lassen. Mit einer konsequenten, kongruenten und vor allem deutlichen Kommunikation, die mit Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel ein eigenes Gesicht hatte, hat sie die Politik vor sich hergetrieben. Zuletzt hat sie nicht einmal davor zurückgeschreckt, eigenmächtig zu handeln und ohne Abstimmung mit BMG oder Gematik einen leisen Boykott des E-Rezepts zu ermöglichen. Die Botschaft: Was eine potenzielle Gefahr für unsere Mitglieder und ihre Patient:innen darstellt, tragen wir nicht mit. Chapeau! Man muss anerkennen, dass die Apothekerschaft es ganz wesentlich den Standesvertretungen der Ärzte zu verdanken hat, dass sie vorerst vom Schlimmsten verschont bleibt.

Dabei ist die Gefahr für viele Apotheken größer als für die allermeisten Praxen. Null-Retaxationen wegen technischer Unzulänglichkeiten? Das spricht der DAV am Tag nach der Absage der Einführung an. Und was ist mit den potenziellen Verschiebungen im Rx-Markt von Vor-Ort-Versorgung zu den Versendern? Die eigentlich seit Juni erwartete Schnittstellenverordnung des BMG, in der geregelt werden soll, welche E-Rezept-Daten Drittanbieter aus der Gematik-App ziehen dürfen, bleibt bis mindestens Ende des ersten Quartals aus. Für Vor-Ort-Plattformen hätte das bei Einführung des E-Rezepts eine erhebliche Unsicherheit und vor allem Benachteiligung im Vergleich zu Hollandversendern wie Shop Apotheke oder DocMorris bedeutet – und könnte es je nach letztlicher Ausgestaltung auch noch in Zukunft. Wo blieb die Kampagne der Abda dagegen, um Druck auf das BMG aufzubauen? Klare Statements sind wahrscheinlich erst zu erwarten, wenn sie veröffentlicht wurde.