Ausschussdebatte über E-Rezept-Petition

Bundestag: Rx-VV für das E-Rezept?

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Berlin -

Der Petitionsausschuss des Bundestags hat sich am Montagnachmittag mit dem E-Rezept befasst. Eigentlich war es hinfällig: In einer Petition hatte die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), Dr. Petra Reis-Berkowicz, eine Verlängerung der Testphase für das E-Rezept gefordert. Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das schon vor der Anhörung abgeräumt. Reis-Berkowicz nutzte ihren Auftritt dennoch, um der Politik ins Gewissen zu reden – und gab dem Linken-Abgeordnete Ateş Gürpınar die Möglichkeit, sich als Anwalt der Apotheken zu präsentieren.

Die Probleme mit dem E-Rezept erschweren den Arbeitsalltag in Arztpraxen derart, dass sie die Versorgungssicherheit gefährden – so lässt sich zusammenfassen, was Reis-Berkowicz der Bundespolitik ins Heft schreibt. Knapp 20.000 Menschen hatten die von ihr initiierte Petition zu einer Verschiebung der E-Rezept-Einführung online und offline unterschrieben. „Die Einführung der TI-Anwendungen eAU und E-Rezept muss daher über die ersten zwölf Monate als Testphase ausgestaltet werden, an der sich die Anwender freiwillig beteiligen können“, heißt es darin. „Eine entscheidende Voraussetzung für Massenanwendungen im Produktivbetrieb ist eine ausreichende Marktreife, die nur durch sorgfältige Flächen- und Lasttests erreicht werden kann.“

Nun hat sich ihre Forderung eigentlich schon erledigt – schließlich hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die verpflichtende E-Rezept-Einführung zum 1. Januar in letzter Minute abgesagt. Die zugrundeliegenden Probleme bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens sind damit aber längst nicht aus der Welt geschafft, wie Reis-Berkowicz erklärte. Anwendungen wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) treiben nach ihrer Darstellung nach wie vor unzählige Praxen in die Verzweiflung. Bis Ende 2021 seien gerade einmal 13 Prozent der AU in Deutschland über die Telematikinfrastruktur (TI) ausgestellt worden. Die Praxen, die es über die TI versuchen, hätten mit massiven Problemen zu kämpfen. „Bei nahezu der Hälfte der AU-Ausstellungen muss der eigentlich digitale Nachweis ausgedruckt und an die Kasse geschickt werden“, so Reis-Berkowicz. „Das ist, als ob sie jede zweite Whatsapp-Nachricht ausdrucken und per Post an den Empfänger senden müssten.“

Beim E-Rezept sehe es noch schlimmer aus: In nur einem Prozent der Fälle klappe die Ausstellung problemlos. Der Grund: Die Anwendungen würden bei voll laufendem Praxisbetrieb ohne Betrachtung der eigentlichen Notwendigkeiten „im Schweinsgalopp und mit der Brechstange“ eingeführt, ohne ausreichend getestet zu sein. „Auch die Karten wurden zuvor nicht ausreichend getestet, sonst wäre der Fehler mit der elektrostatischen Aufladung, die die Kartenterminals lahmlegt, ja aufgefallen“, so Reis-Berkowicz, die im Landkreis Bayreuth eine große Landarztpraxis betreibt.

Die Schwierigkeiten, die die Einführung der TI-Anwendungen im Praxisalltag bringen, hätten ein nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht. „Ich bin seit 30 Jahren in der Praxis und habe in dieser Zeit schon viele Dinge implementiert. Da hat fast nie alles von Anfang an richtig funktioniert. Aber so grundlegend wie im Moment war es noch nie“, klagte Reis-Berkowicz. „Die Nerven unserer Mitarbeiter werden jeden Tag aufs Neue strapaziert und liegen mittlerweile blank.“ Zudem führten E-Rezept und eAU zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand. So komme es regelmäßig vor, dass am Ende eines Arbeitstages festgestellt wird, dass die ausgestellten eAU nicht korrekt übermittelt werden konnten – teilweise bis zu 200 Stück, mit der Folge, dass alle neu ausgestellt werden müssen. „Ich kann gar nicht sagen, wie viele Arbeitsstunden das im vergangenen Jahr waren. Mit Sicherheit hunderte.“

Vonseiten der Hardware-Hersteller und Softwarehäuser sei dabei in den meisten Fällen auch wenig Hilfe zu erwarten. „Der Support ist sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt kleine Softwarehäuser, die uns kurzfristig helfen und es gibt andere, da wartest du Stunden in der Leitung, um überhaupt einen Kontakt herzustellen. Die sind völlig überfordert, weil auf einen Schlag 160.000 Praxen auf sie zugegangen sind und sagten, dass es nicht läuft“, erzählte sie. „Das funktioniert hinten und vorne nicht und deshalb läuft das Ganze auch nicht.“ Die Folge sei eine Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften in einer Branche, die wie kaum eine andere schon unter dem Fachkräftemangel leidet. Ältere Kollegen würden teilweise ihre Praxen früher aufgeben, weil sie sich den Ärger mit E-Rezept & Co. auf ihre letzten Berufsjahre nicht mehr antun wollen. „Das ist eine Katastrophe für die Sicherstellung der Versorgung.“

Immerhin konnte SPD-Politikerin Sabine Dittmar, seit Dezember Staatssekretärin im BMG, betonen, dass Reis-Berkowiczs Forderung bereits übererfüllt wurde: Die Erprobung des E-Rezepts sei nun an klare Qualitätskriterien gebunden worden, betonte sie. Die Testphase sei damit „offen verlängert“ worden, also ohne ein festes Enddatum. Sobald die Qualitätskriterien erfüllt sind, solle die Einführung zeitnah erfolgen. „Das können 12 Monate sein, aber auch länger oder kürzer – je nachdem, wie die Erfahrungen sind“, so Dittmar. Ganz so leicht kam sie allerdings nicht davon, denn die Opposition forcierte ein von der Bundesregierung bisher beharrlich beschwiegenes Thema: die möglichen Auswirkungen des E-Rezepts auf den Apothekenmarkt.

„Es gibt ja durch die elektronischen Übertragungswege im Allgemeinen die Gefahr – ich drücke es ein bisschen harsch aus –, dass die freie Wahl der Apotheke untergraben wird durch eine Korruption“, hakte Ateş Gürpınar, stellvertretender Vorsitzender der Linken und seit vergangenem Jahr im Bundestag, ein. „Weder die Krankenkasse noch Ärztinnen und Ärzte oder die abgebende Apotheke und erst recht nicht Dritte sollten Gelder dafür gewähren oder annehmen dürfen, damit Verordnungen bestimmten Apotheken oder Arzneimittelversendern übermittelt werden.“ Zwar gäbe es die Möglichkeit des Verbots des Versandhandels mit Arzneimitteln, das würde das Problem aber nicht lösen, sondern nur eindämmen, so Gürpınar. „Den Vorwurf der Korruption kann ich so nicht nachvollziehen. Sie können sich persönlich wie per App jede Apotheke aussuchen, die ihnen beliebt“, erwiderte Dittmar. Zuweisung sei außerdem ohnehin verboten.

Doch Gürpınar ließ nicht locker: „Glauben Sie tatsächlich, dass es durch die Einführung des E-Rezepts keine Konzentration beim Versandhandel geben wird? Glauben Sie tatsächlich, dass es keine Probleme geben wird mit der Versorgungssicherheit und -qualität, was die Apothekenlandschaft angeht, durch die Einführung des E-Rezepts?“ Dittmar ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Ich möchte Herr Gürpınar gern sagen, dass ich das in aller Kürze beantworten kann: Wir glauben das nicht.“ Das sehe er „grundlegend anders“, betonte er, ohne das Thema erneut zu forcieren.

Immerhin Reis-Berkowicz zeigte sich am Ende der Befragung zufrieden – auch wenn ihre zweite Forderung nach dauerhaften papierbasierten Ersatzverfahren für den Fall des Ausfalls der E-Rezept-Infrastruktur nur in Ansätzen Widerhall fand. „Ich gehe sehr hoffnungsvoll von hier weg, weil ich merke, es kommt an, welche Grundversorgungsprobleme wir haben“, so die KV-Vize. „Wenn ich jetzt Frau Dittmar verstanden habe, ist das Problem erkannt und es wird Abhilfe geschaffen. Ob das über die Gematik oder andere Strukturen sein wird – uns ist alles recht, Hauptsache, wir können wieder reibungslos arbeiten und unsere Patienten versorgen.“

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