„Situation in Praxen ist dramatisch“

Zu wenig Impfstoff: Ärzte sagen Termine ab

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Berlin -

Die Kürzung der Impfstoffbestellungen um die Hälfte sorgt in den Praxen für Frust: Termine müssen abgesagt werden, Impfteams wissen noch gar nicht, ob und in welchem Umfang sie überhaupt starten können. Die niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) erhebt schwere Vorwürfe gegen den geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Kassenärzte in Niedersachsen und Bremen zeigen sich empört über Probleme bei der Versorgung mit Corona-Impfstoff. Wie die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) am Freitag mitteilte, haben die Praxen, die sich an den Impfungen beteiligen, nicht die von ihnen bestellten Biontech-Impfstoffmengen erhalten, obwohl sie ihre Terminvergabe darauf aufgebaut hätten. Die Ärzte müssten daher viele Impfzusagen jetzt wieder zurückziehen, während die Praxen von Impfwilligen geradezu überrannt würden.

„Die Praxen haben jetzt keine Möglichkeit mehr, kurzfristig auf den Alternativimpfstoff auszuweichen“, sagte KVN-Vize Jörg Berling, der selbst als Hausarzt in Lüneburg an den Impfungen beteiligt ist. Er kritisierte, dass die Praxen nun den Zorn der Bevölkerung aushalten müssten, weil die Politik ihre Zusagen nicht einhalte.

Auch die KV Bremen kritisierte, dass Haus- und Fachärzte in Bremen und Bremerhaven für die kommende Woche voraussichtlich weniger als die Hälfte des bestellten Vakzins von Biontech erhalten. „Die Situation in den Praxen ist dramatisch. Zum wiederholten Male müssen Termine abgesagt und Patienten beschwichtigt werden“, hieß es in einer Mitteilung.

„Nach fast zwei Jahren hat das Bundesgesundheitsministerium es immer noch nicht geschafft, eine vorausschauende Steuerung der Corona-Prävention zu etablieren“, teilten die Vorstände Bernhard Rochell und Peter Kurt Josenhans mit. Die KV Bremen forderte das Bundesgesundheitsministerium auf, dafür zu sorgen, dass alle Bestellungen ohne Rationierung bedient werden.

Von Lieferengpässen des Biontech-Impfstoffs sind auch Impfteams der Landkreise betroffen. Es sei unklar, ob die Ausfälle durch Bestellungen des ebenfalls hochwirksamen Moderna-Impfstoffs kurzfristig ausgeglichen werden können, sagte der ärztliche Leiter eines Impfteams laut Mitteilung des Landkreises Ammerland. Aufgrund der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) werde der verfügbare Biontech-Impfstoff vorrangig für Personen unter 30 Jahren und Moderna für die Älteren ab 30 eingesetzt, hieß es. Der Landkreis Verden teilte mit, eine stationäre Impfstelle am Verdener Kreishaus könne in der kommenden Woche keine Corona-Impfungen anbieten. „Grund dafür ist, dass im Apothekengroßhandel bestellte Impfmengen aufgrund von Lieferengpässen drastisch gekürzt wurden.“

Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) sprach von einem „schweren Schlag für die Impfkampagne, die in Niedersachsen gerade massiv an Fahrt aufgenommen habe“. Die Kürzungen gingen nach den Schilderungen der Praxen und der Gesundheitsämter weit über die in der vergangenen Woche vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) angekündigte Kontingentierung hinaus und betreffe offenbar auch den Impfstoff von Moderna. „Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister hat noch in dieser Woche im Kreise der Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder wiederholt zugesichert, dass ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehe und nun erleben wir diese unhaltbaren Zustände.“

Wenn der Bund nicht sofort Abhilfe schaffe, müssten in den Praxen bereits vereinbarte Impftermine ausfallen und Impfaktionen in den Kommunen kleiner ausfallen als geplant. „Auch der Start der 180 Impfpraxen, die ab dem kommenden Montag im ganzen Land zusätzliche Impftermine anbieten wollten, ist vor diesem Hintergrund massiv in Gefahr.“ Das Ausmaß sei aufgrund der Intransparenz des BMG zudem noch vollkommen unklar.

„Durch dieses Gebaren werden die vielen vielen Ärztinnen und Ärzte und die Beschäftigten in den Praxen und den Impfteams der Kommunen massiv demotiviert. Sie sind es, die am Ende den verständlichen Frust derjenigen abbekommen, die sich auf ihre Impftermine verlassen haben und die Impfaktionen in Anspruch nehmen wollen. Dabei sind sie es auch, die am wenigsten für dieses Chaos können.“

Behrens verlangte endlich vollständige Transparenz über die Verfügbarkeit der Impfstoffe und die wöchentlichen Lieferkapazitäten des Bundes. „Die bisher veröffentlichten Lieferlisten des Bundesgesundheitsministeriums scheinen nicht der Realität zu entsprechen.“ Außerdem erwarte sie, dass das BMG alle Hebel in Bewegung setze, um die Auslieferung der fehlenden Impfstoffdosen noch in der kommenden Woche vollständig zu gewährleisten. „Wenn dafür Sonderlieferungen an den Großhandel und die Apotheken notwendig sind, so müssen sie so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden.“

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