Klinische Studie gestartet

Ruconest: Conestat alfa bei Covid-19 APOTHEKE ADHOC, 10.08.2020 14:29 Uhr

Nicht nur Erkenntnisse im Hinblick auf Lungenentzündungen unter Covid-19: Die Studie könnte zudem wichtige Einblicke in die künftige Behandlung von Krankheiten geben, die durch das Komplementsystem beeinflusst werden. Foto: Stefano Garau/shutterstock.com
Berlin - 

Das niederländische Unternehmen Pharming will sein Medikament Ruconest (Conestat alfa) bei Lungenentzündungen unter Covid-19 in klinischen Studien testen. Die Anwendung bei ersten Patienten deutet auf ein mögliches Potenzial hin.

Im April konnte der Wirkstoff bei vier männlichen und einer weiblichen Patientin mit Covid-19 bereits gute Ergebnisse erzielen. Die Patienten waren zwischen 53 und 82 Jahren alt und litten unter einer schweren Lungenentzündung, die durch Covid-19 ausgelöst wurde. Sie alle hatten die derzeitige Standardbehandlung einschließlich Hydroxychloroquin und Lopinavir/Ritonavir erhalten. Da sich der Zustand nicht besserte, erhielten die Patienten schließlich Ruconest.

Fieber gesenkt, Entzündungsparameter verringert

Innerhalb von 48 Stunden nach der Behandlung verschwand bei vier der fünf Patienten das Fieber, außerdem nahmen verschiedene Labormarker für Entzündungen – CRP und Interleukin-6 – signifikant ab. Vier der fünf Patienten wurden kurz darauf als vollständig genesen aus der Klinik entlassen. Der fünfte Patient benötigte eine künstliche Sauerstoffzufuhr und wurde auf der Intensivstation intubiert, mittlerweile hat auch er sich vollständig erholt.

Aufgrund dieser Ergebnisse möchte Pharming nun in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt des Universitätsklinikums Basel, Dr. Michael Osthoff, das Potenzial des Wirkstoffs erforschen. „Nach den ermutigenden Ergebnissen, die bei fünf mit Ruconest behandelten Patienten in unserer Klinik beobachtet wurden, ist es gerechtfertigt, dieses Medikament und seine einzigartige Wirkungsweise bei der Bekämpfung mehrerer Entzündungskaskaden in einer klinischen Studie mit einer großen Anzahl von Patienten zu untersuchen“, meint auch Osthoff.

Vielversprechender Behandlungsansatz

Dazu wurde eine größere, von Forschern initiierte, multinationale, multizentrische Studie gestartet. Insgesamt sollen im Zuge der klinischen Studie bis zu 150 Patienten mit bestätigter Covid-19-Diagnose und einer damit verbundenen schweren Lungenentzündung behandelt werden. „Wir werden wertvolle Informationen über die Wirksamkeit, Sicherheit und angemessene Dosierung des Arzneimittels bei der Behandlung und Vorbeugung der schwerwiegenden Komplikationen von Covid-19 sammeln“, meint Osthoff. Nach einer kurzen Remissionsperiode sei nun wieder ein besorgniserregender Anstieg neuer Covid-19-Fälle in Europa beobachtet worden, während sich die Krankheit in einer Reihe anderer Länder noch fast ungehemmt ausbreite. „Die Notwendigkeit einer Behandlung von Covid-19-assoziierten Komplikationen ist dringender denn je.“

Ruconest ist ein rekombinanter C1-Esterase-Inhibitor (C1INH). Er ist in der EU und den USA zur Behandlung des hereditären Angioödems (HAE) zugelassen. Das Protein C1INH kommt natürlicherweise im menschlichen Körper vor: Es reguliert mehrere Entzündungswege, indem es bestimmte Proteine ​​des Immunsystems hemmt.

Bei HAE kommt es durch einen genetischen Defekt zu einem Mangel an dem Inhibitor. Fehlt dem Körper C1-INH, schwellen Haut, Schleimhäute oder innere Organe immer wieder an. Treten die Ödeme an den Atemwegen auf, kann es für die Betroffenen lebensgefährlich werden. Die Verabreichung eines C1-Inhibitors kann die niedrigen C1-INH-Spiegel normalisieren und Angioödem-Attacken stoppen.

Einsatz bei Covid-19 und anderen Erkrankungen denkbar

Bei schweren Covid-19-Verläufen kann es zu einer systemischen Hyperinflammation kommen, welche oft zum akutem Atemnotsyndrom führt. Dieses macht eine mechanische Beatmung erforderlich und kann schlimmstenfalls zum Tod führen. Ruconest soll eine Dämpfung der unkontrollierten Immunreaktion und eine Verringerung der Kapillarlecks und des damit verbundenen Lungenödems bewirken. Außerdem soll die Bildung von Mikrothromben verringert werden. Die klinische Studie an hospitalisierten Patienten mit Covid-19 soll ermitteln, ob die Verabreichung von zusätzlichem C1INH die systemische Hyperinflammation und den Zytokinsturm kontrollieren oder sogar stoppen kann.

„Covid-19 hat bewiesen, dass ein erheblicher Bedarf an einem besseren Verständnis der Bekämpfung von Infektionen durch das Immunsystem besteht. Wir haben gelernt, dass Zytokinstürme, die durch die Aktivierung des Komplementsystems verursacht werden, nicht durch gezielte entzündungshemmende Therapien kontrolliert werden können. Stattdessen sind breite entzündungshemmende Mittel erforderlich, um die Aktivierung mehrerer Entzündungswege zu stoppen“, erklärte Professor Dr. Bruno Giannetti, Chief Medical Officer von Pharming. Die vielfältige Wirkweise von Ruconest mache es daher zu einem vielversprechenden Kandidaten, um schwere Komplikationen bei Covid-Patienten zu verhindern.

Ist die Studie erfolgreich, könnte in weiteren Untersuchungen auch ein breiteres Anwendungsgebiet bei schweren Komplikationen der Atemwege oder anderen Organversagen ermittelt werden, die durch einen Zytokinsturm verursacht werden. Die klinische Studie werde daher nicht nur für die Behandlung von Lungenentzündungen infolge einer Covid-19-Infektion wichtig sein – sondern auch wichtige Einblicke in die künftige Behandlung von Krankheiten liefern, die durch das Komplementsystem beeinflusst werden.