Fluch und Segen

Remdesivir zeigt Nutzen und schwere Nebenwirkungen

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Berlin -

Remdesivir (Gilead) wurde am 3. Juli unter dem Namen Veklury in Europa zur Behandlung von Covid-19 zugelassen. Die Europäische Kommission hatte der bedingten Zulassung von Remdesivir vor drei Monaten zugestimmt. Aktuell prüft der Pharmakovigilanz-Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in einem Sicherheitsreview mögliche Nebenwirkungen. Erste Auswertungen zeigen ein erhöhtes Risiko für akute Nierenschädigungen. Auf deutschen Intensivstationen berichten Mediziner, dass Veklury gewissen Patientengruppen durchaus helfen kann schneller zu genesen.

Ursprünglich wurde Remdesivir für die Behandlung von Ebola entwickelt. Diese Krankheit wird ebenfalls durch einen Virus ausgelöst. Unter dem Namen Veklury ist das Virostatikum zur Behandlung von Covid-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen ab12 Jahren mit einem Mindestgewicht von 40 Kilogramm zugelassen. Bei der „bedingten Zulassung“ sind weniger umfangreiche Daten für eine Markteinführung erforderlich. Drei Monate später liegen nun erste Berichte zu Nebenwirkungen vor. Das aktuelle Sicherheitsreview des Pharmakovigilanz-Ausschuss der EMA setzt die Nieren in den Fokus.

Gehäufte Nierenschäden

Die EMA beschreibt für Veklury eine vermehrte Berichterstattung über nierenschädigende unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Für Remdesivir wurde die Nierentoxizität zum Zeitpunkt des Zulassungsantrags zunächst hauptsächlich auf der Grundlage von Tierversuchen bewertet. Im Risikomanagementplan der EMA wurde dieser Punkt von Anfang an als ein wichtiges potenzielles Risiko hervorgehoben, sodass eine Sammlung von weiteren Informationen und Patientenberichten als erforderlich angesehen wurde. So wurde in monatlichen zusammenfassenden Sicherheitsberichten in den vergangenen drei Monaten ein erhöhtes Risiko für Nierenschäden festgestellt.

Remdesivir als tatsächlicher Auslöser?

Aktuell kann die EMA keine Aussage darüber treffen, ob Remdesivir der alleinige Auslöser für die Nierenschäden in den vorliegenden Berichten ist. Auch Covid-19, sowie Vorerkrankungen könnten einen Einfluss haben. Die EMA spricht von einem vorliegenden „Sicherheitssignal“, welches weitere Überprüfungen fordert. Eine Nierenverletzung könne auch durch andere Faktoren verursacht werden, so die EMA. Als mögliche Faktoren, die dieses Leiden begünstigen zählt die Agentur die europaweit stark verbreitete Stoffwechselerkrankung Diabetes. Der Ausschuss wird nun alle verfügbaren Daten sorgfältig prüfen, um festzustellen, ob das Arzneimittel möglicherweise für die Nierenprobleme verantwortlich war. Sollte dies der Fall sein, so müsste die vorhandene Fachinformation zu Veklury angepasst werden. Die Empfehlungen für die Anwendung des Arzneimittels verändern sich vorerst nicht. Bereits jetzt wird Ärzten empfohlen, Patienten vor und während der Behandlung auf Nierenfunktionsstörungen zu überwachen und die Behandlung bei Patienten mit schlechter Nierenfunktion nicht einzuleiten.

Positive Berichte aus der Klinik

Auf den Intensivstationen wird Remdesivir auch in Deutschland eingesetzt. Mediziner berichten zum Teil von guten Ergebnissen. Die Therapie mit dem Virostatikum könne die Heilungsdauer bei bestimmten Patientengruppen signifikant reduzieren. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) berichtet der Mediziner Cihan Çelik, Funktionsoberarzt für Innere Medizin und Pneumologie am Klinikum Darmstadt, dass Remdesivir den Patienten helfen kann, schneller zu genesen. Wichtig sei der richtige Zeitpunkt des Therapiestarts. Je früher das Medikament eingesetzt wird, desto größer die Wirkung. Remdesivir hemmt die Virus-Vermehrung – je niedriger die Viruslast, desto besser die Erfolgschancen. Çelik und seine Kollegen setzen das Mittel nicht bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder Multiorganversagen ein. Hier habe sich das Arzneimittel als eher nachteilig erwiesen, so der Mediziner. Weiterhin behandeln sie mit Cortisonen wie Dexamethason.

Fortlaufende neue Erkenntnisse

Gilead veröffentlichte Mitte Juli zusätzliche Daten zu Remdesivir. Die Daten umfassten eine vergleichende Analyse der Phase-III-Simple-Severe-Studie und eine reale retrospektive Kohorte von Patienten mit schweren Covid-Verläufen. Die neuen Erkenntnisse bestätigten die Annahme, dass die Therapie mit dem Virostatikum eine Hospitalisierung im Schnitt um vier Tage verkürzen kann. Gilead strebt darüber hinaus eine Indikationserweiterung für Kinder und Schwangere sowie Stillende an. Wenige Tage nach der bedingten Zulassung konnte aus Analysen des Compassionate-Use-Programms gezeigt werden, dass 83 Prozent der pädiatrischen Patienten und 92 Prozent der schwangeren Frauen bis zum 28. Tag wieder gesund wurden. In diesen Populationen wurden keine neuen Nebenwirkungen mit Remdesivir identifiziert. Gilead kündigte daraufhin die Einleitung einer globalen, offenen Phase-II/III-Studie an, um die Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik von Remdesivir bei pädiatrischen Patienten zu bewerten.

Im Vorfeld viel Kritik

Als sich abzeichnete, dass Remdesivir auch in Deutschland mittels bedingter Zulassung eingesetzt werden könnte, zeigten sich viele Mediziner und Experten kritisch. So auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig. Er stand einer eingeschränkten Zulassung zur Behandlung von Corona-Erkrankten kritisch gegenüber. „Wir wissen noch viel zu wenig über die Nebenwirkungen“, sagte Ludwig der Tagesschau. Das einzige, was Remdesivir bisher gezeigt habe, sei, dass es die Krankheitsdauer um vier Tage verkürzt. „Aber das Mindeste müsste doch sein, dass die Patienten, die es rechtzeitig bekommen, weniger schwer krank werden.“

 

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