Debatte um Atemmasken

Mundschutzpflicht in der Öffentlichkeit: Sinnvoll oder unnütz?

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Berlin -

Der Blick in eine Innenstadt: Tausende auf den Straßen und jeder trägt einen Mundschutz – diese Bilder kannte man früher, vor der Coronakrise, aus Ländern wie Japan oder Südkorea. Nun rechnen jedoch immer mehr Menschen in Deutschland damit, sich auch hierzulande an diesen Anblick gewöhnen zu müssen. Die thüringische Universitätsstadt Jena hat als erste Kommune in Deutschland eine Atemmaskenpflicht in der Öffentlichkeit eingeführt. Ob das auch bundesweit kommt, ist nicht klar – und ob es Sinn ergeben würde, ist umstritten.

Für viele Apothekenmitarbeiter wäre es eigentlich gar keine so große Umstellung: Einer Aposcope-Umfrage zufolge arbeiten 25,7 Prozent der Apothekenteamteams bereits mit Mundschutz, 20,4 Prozent planen diese Maßnahme. Und es gibt auch schon Apotheken, die eine Mundschutzpflicht zum Mittel der Wahl erkoren haben: Wer die Schlüssel-Apotheke im schweizerischen Rheineck betreten will, trägt eine Maske oder muss für drei Franken eine kaufen. Der Inhaber sieht das vor allem als Schutz für sich selbst: Wenn seine Kunden ihn anstecken, könne er nicht mehr für sie da sein. Bei den Behörden kam das nicht gut an. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit hält die Verpflichtung für „ein bisschen übertrieben“.

Im Nachbarland Österreich sieht der Gesetzgeber das wohl etwas anders: Die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündete am Montag die Pflicht, Nasen- und Mundschutz in Supermärkten zu tragen. Ab Mittwoch sollen dort Masken verteilt werden – mittelfristig sei jedoch auch eine generelle Mundschutzpflicht in der Öffentlichkeit möglich. Dass die Masken derzeit schwer zu bekommen sind, hält Kurz nicht von der Maßnahme ab. Selbst gebastelte Masken würden als ausreichender Mundschutz ebenfalls akzeptiert. Von unseren südlichen Nachbarn schwappt das Thema nun nach Deutschland über, trifft jedoch auf Widerstände.

So wägt die bayerische Landesregierung, die sich in der Coronakrise schon mehrmals als Vorreiter und Einzelgänger bei der Verschärfung von Schutzmaßnahmen hervorgetan hat, nun ab, ob eine solche Pflicht Sinn ergibt. „Uns beschäftigt der Gedanke ehrlich gesagt auch“, erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag. Es gäbe allerdings noch keine konkreten Pläne. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich da schon detaillierter geäußert: Eine Mundschutzpflicht in Supermärkten halte er für sinnvoll, eine generelle Verpflichtung wolle er aber nicht einführen – und zwar aus ganz praktischen Gründen: „Dazu müssen wir erst die ausreichende Zahl an Masken haben, ohne dass der vorrangige Einsatz im medizinischen und pflegerischen Bereich beeinträchtigt wird. Dieser hat absolute Priorität“, so Kretschmann.

Unterdessen ist in Thüringen die erste Kommune vorgeprescht und hat sich dabei explizit auf das Vorbild Österreich bezogen: „Österreich hat heute den Weg eingeschlagen und auch Jena hat sich entschieden, weitere Schritte für den Schutz der Bevölkerung einzuleiten“, schreibt die Stadtverwaltung. Ab kommender Woche soll das Tragen eines Mund-und-Nasen-Schutzes in Jenaer Verkaufsstellen, dem öffentlichen Nahverkehr und Gebäuden mit Publikumsverkehr verpflichtend werden. Das habe der Fachdienst Gesundheit angemahnt. Für Menschen, die in der systemrelevanten Infrastruktur arbeiten, sei eine Grundausstattung vorhanden – an die Bevölkerung hingegen appelliert die Stadt mit einer „eindringlichen Bitte: Nähen Sie sich selbst und anderen Menschen den wichtigen Mund-Nasenschutz, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Jede Maske ist besser als gar keine Maske.“

Wie aus der Landes- kommen auch aus der Bundespolitik bisher uneindeutige Signale: „Wenn es Sinn macht, sollte man so etwas nicht ausschließen“, erklärte Außenminister Heiko Maas am Montag in einem Bild-Interview zu einer möglichen Maskenpflicht. Allerdings müsse dann aber auch sichergestellt sein, dass die Masken geeignet sind, um sich selbst oder andere zu schützen. „Es nützt nichts, sich irgendetwas ins Gesicht zu hängen, was überhaupt keine Schutzwirkung entfaltet“, so Maas.

Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat sich angesichts der Maßnahmen in Österreich reserviert und dennoch offen gezeigt: Es handele sich bei den Masken, die dort verpflichtend geworden sind, nicht um medizinische Masken, sondern lediglich um einen Mund-Nase-Schutz, wendete ein BMG-Sprecher ein. Trotzdem könne der zumindest andere vor einer Infektion schützen. Vor allem im Rahmen einer Exit-Strategie könne eine Maskenpflicht deshalb in Erwägung gezogen werden.

Die WHO wiederum positioniert sich da recht eindeutig: Sie sehe keinen Nutzen in einer allgemeinen Mundschutzpflicht, so die Weltgesundheitsorganisation. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass das etwas bringe, erklärte WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan am Montag in Genf. Im Gegenteil: Es könne zu zusätzlichen Risiken kommen, wenn Menschen die Masken falsch abnehmen und sich dabei womöglich infizieren. „Unser Rat: wir raten davon ab, Mundschutz zu tragen, wenn man nicht selbst krank ist“, sagte Ryan.

Doch gerade wegen dieser kranken Menschen ergebe auch eine allgemeine Mundschutzpflicht Sinn, wenden andere Experten ein. Dass sich normale OP-Masken als Infektionsschutz nicht eignen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Um sich selbst gegen eine Infektion zu schützen, benötigt es mindestens den Standard FFP2 oder FFP3. Auch wenn OP- oder selbst gebastelte Masken also nur einen verringerten Schutz gewährleisten, haben sie einen entscheidenden Vorteil: Sie verringern die Ansteckungsgefahr, die von Infizierten ausgeht. Und infiziert heißt nicht, dass jemand an Covid-19 leidet: Die Studienlage weist mittlerweile relativ eindeutig darauf hin, dass auch Menschen infektiös sind, die (noch) komplett symptomfrei sind – und entsprechend in den allermeisten Fällen selbst nicht wissen, dass sie das Virus verbreiten.

So sieht es auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). „Bestellen Sie sich keine professionellen Schutzmasken im Internet oder kaufen solche. Wenn Sie nicht im Gesundheitswesen tätig sind oder entsprechende Vorerkrankungen haben, dann brauchen Sie keine FFP2- oder FFP3-Masken“, appelliert BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung an die Bevölkerung. Es sei wichtig, diese professionellen Masken für Ärzte und Pfleger aufzusparen. Stattdessen sollten die Menschen auf einfache Masken ausweichen. „Mein Rat: Besorgen Sie sich einfache Schutzmasken oder basteln Sie sich selber welche und tragen Sie diese im öffentlichen Raum. Diese Masken garantieren keinen Schutz vor Ansteckung. Aber sie können ein wenig helfen, das Risiko zu verringern, andere anzustecken oder selbst angesteckt zu werden.“

Auch Virologen wie Professor Dr. Christian Drosten argumentieren so. „Je näher dran an der Quelle, desto besser. Deswegen muss die Maske an der Quelle sein und nicht am Empfänger", erklärte Drosten kürzlich in seinem NDR-Podcast. Eine Maske in der Öffentlichkeit zu tragen, nutzt dieser Lesart nach eher dem Schutz der Gesellschaft als dem des Individuums. Sein Kollege, der Bonner Virologe Professor Dr. Hendrik Streek stimmt Drosten da zu. Auch selbstgenähte Masken würden in der Öffentlichkeit davor schützen, andere durch Tröpfcheninfektion anzustecken, „und zudem ist es natürlich auch ein Zeichen von Solidarität und Mitarbeit, dass man diese Erkrankung und das Virus eindämmen will“. Auf diesen psychologischen Effekt setzt auch Drosten. Würden alle Menschen in der Öffentlichkeit Masken tragen, würde sie das auch stets an den Ernst der Lage erinnern.

Der Virologe Professor Dr. Alexander Kekulé wiederum geht noch einen Schritt weiter: Für ihn spielen die einfachen Atemmasken eine zentrale Rolle nicht nur bei der Bewältigung der aktuellen Krise, sondern auch darüber hinaus im zukünftigen Umgang mit dem Virus. „Wir müssen uns wirklich darauf einstellen, dass wir in der Größenordnung von einem Jahr unser Verhalten ändern müssen“, erklärte er kürzlich. „Und da ist jetzt die Frage: Wie macht man das so, dass möglichst wenige soziale, wirtschaftliche und psychologische Kollateralschäden gibt?“ Er plädiere deshalb für ein Konzept, das er selbst entwickelt hat: „Smart Distancing“ anstelle von Social Distancing.

„Das heißt, wir machen es eine Stufe sanfter“, so Kekulé. Ein zentraler Aspekt sei dabei, dass Menschen, wenn sie anderen näher als zwei Meter kommen, eine solche einfache OP-Maske tragen müssen. „Der schützt auf jeden Fall andere und es gibt auch neuere Daten, dass die Menschen dadurch bis zu einem gewissen Grad selbst geschützt werden gegen dieses Virus. Also etwas andere Informationen als man es bisher gehört hat.“ Aus Hong Kong wisse man bereits, dass das allgemeine Tragen von OP-Masken in der Öffentlichkeit, „offensichtlich einen ganz erheblichen Effekt hat, um die Krankheit unter Kontrolle zu kriegen“. Er plädiere deshalb dafür, dass die OP-Masken „zum Standard für alle“ werden.

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