„Dringende Empfehlung“

Krisenstab: Apotheken sollen Morphin für Covid-19-Patienten bevorraten APOTHEKE ADHOC, 02.04.2020 15:38 Uhr

Schlimme Befürchtungen: Der Krisenstab des Landes Baden-Württemberg geht davon aus, dass es wegen der erwarteten Welle an schweren Covid-19-Fällen bald einen erhöhten Bedarf an Morphin-Präparaten und palliativmedizinischen Sedativa gibt. Foto: Thaiview/shutterstock.com
Berlin - 

Der Krisenstab der Landesregierung Baden-Württemberg befürchtet angesichts der erwarteten Welle von schweren Covid-19-Fällen, dass es zu Engpässen bei Morphin-Präparaten und palliativmedizinischen Sedativa kommt. Die Apothekerkammer hat ihre Mitglieder deshalb am Donnerstag in einem Rundschreiben informiert, dass die Ärzteschaft sie gebeten habe, die Apotheken über einen wahrscheinlich bald steigenden Bedarf zu informieren. Die Apotheken sollen sich demnach mit beidem ausreichend bevorraten beziehungsweise den Bedarf mit Palliativteams klären.

Der Krisenstab hat die Kammer darum gebeten, die Apotheken zu informieren, „dass für die Behandlung von schwer erkrankten Covid-19-Patienten ein erhöhter Bedarf an Morphin-Präparaten notwendig sein wird“, heißt es in dem als „dringende Empfehlung“ überschriebenen Rundschreiben. Es sei damit zu rechnen, dass vermehrt schwere Erkrankungsfälle für vier bis fünf Tage mit Morphin behandelt werden müssten. Besonders erschreckend scheinen die Erwartungen der Ärzte mit Blick auf die Patientenzahlen zu sein: Laut Kammer gehen sie davon aus, dass das 20 Prozent der Infizierten betreffen könnte.

Die Apotheken sollen darauf vorbereitet sein. „Wir bitten Sie daher, sich ausreichend mit Morphin-Ampullen 10mg (s.c. und i.v.), sowie Morphin oral – retardiert 30 mg und 60 mg zu bevorraten“, so die Kammer. „Welche Mengen am Ende tatsächlich benötigt werden, ist natürlich noch nicht abschätzbar.“

Und die beängstigenden Nachrichten reißen damit noch nicht ab. Anscheinend aus einer anderen Quelle habe die Kammer die Information erreicht, dass möglicherweise nicht nur in den Krankenhäusern auch Medikamente zur palliativmedizinischen Sedierung benötigt werden. Konkret nennt die Kammer die Wirkstoffe Midazolam, Diazepam, Lorazepam, Levomepromazin, Phenobarbital und Propfol. „Sofern Sie Kontakt zu Palliativteams haben, bitten wir Sie, mit diesen einen zukünftigen Bedarf zu klären“, so die Kammer.

Laut dem Schreiben hat die Kammer nicht nur die Apotheken gewarnt, dass sie sich wappnen sollen, sondern auch den Großhändlern mitgeteilt, dass sie sich auf eine erhöhte Nachfrage bei diesen Mitteln einstellen müssen. Allerdings sollten sich die Apotheken wohl mit Blick auf die Großhändler nicht in Sicherheit wiegen: Aus Gründen der Dringlichkeit sei keine Abstimmung mit den Großhandlungen oder eine Klärung der Verfügbarkeit erfolgt, so die Kammer, die die Warnung dennoch kommuniziert hat: „Der Ernst dieser Bitte der Ärzteschaft hat uns dazu bewogen, diese Information sofort an Sie weiterzugeben.“

Die Ärzteschaft selbst scheint unterdessen noch nicht ganz im Bilde zu sein. Sowohl die Kassenärztliche Vereinigung (KV) als auch die Ärztekammer Baden-Württemberg dementieren, dass sie derartige Anfragen gestellt hätten. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat nach eigenen Angaben keine Kenntnis davon. Tatsächlich beruht jene Bitte der Ärzteschaft, wie es im Rundschreiben formuliert ist, laut Angaben der Apothekerkammer auf einer Aufforderung, die der Krisenstab im Ministerium für Soziales und Integration am Vortag ausgesprochen hatte. Woher die Information bezüglich der palliativmedizinischen Sedativa stammt, konnte die Kammer auf Anfrage jedoch nicht bekanntgeben.

Dass Schwerstkranken Opiode bei Atemnot helfen können, klingt zunächst paradox, da die starken Schmerzmittel die Atmung abflachen lassen. Palliativmediziner setzen die Wirkstoffe seit Jahren im palliativen Bereich zur Linderung von Atembeschwerden ein. Es gibt auch wissenschaftliche Belege dafür, dass Menschen mit COPD und einer akuten Exazerbation vom Einsatz oraler oder inhalativer Opioide profitieren können.

Wissenschaftler der Forschungsstelle für Palliativmedizin der Universität Bonn am Malteser Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg haben die positive Wirkung vor über zehn Jahren belegt. Dr. Katri Elina Clemens, mittlerweile Chefärztin der Palliativmedizin am Robert Janker Klinikum in Bonn, berichtete damals: „Unsere Untersuchungen ergaben, dass die Patienten durch eine den Beschwerden angepasste Opioid-Dosis ruhiger und tiefer atmen. Dies ist ein neuer Ansatz, da Schmerzmittel eigentlich die Atmung hemmen. In der richtigen Dosis können sie aber durchaus die Atemtätigkeit positiv beeinflussen. Eine zusätzliche Gabe von Sauerstoff, wie es oft praktiziert wird, lindert die Luftnot hingegen nicht.“

Die zentral wirksamen Analgetika wirken, indem sie die Atemarbeit erniedrigen und gleichzeitig die Atmung effektiver machen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die beruhigende und sedierende Wirkung: Angst und Panikattacken – Zustände, die zu einer erhöhten Atemfrequenz führen können – werden gelindert.

Zu den häufigen Nebenwirkungen bei einer Überdosierung von Opioden wie Morphin & Co. zählt die Atemdepression. Hierunter versteht man eine Abflachung der Atmung. Durch diese Herabsetzung kommt es zu einer Minderbelüftung der Lunge – eine Hypoventilation liegt vor. Hält dieser Zustand länger an, so klagen Betroffene über Müdigkeit, Verwirrtheit und Muskelzuckungen. Die Atemnot kann zu Panikattacken führen, die den Patienten wiederum zwingt, mehr zu atmen. Es kann zum Atemstillstand kommen.