Verzögerungen bei Impfzertifikaten

Keine Briefe, keine Praxen: Ansturm auf Apotheken

, Uhr aktualisiert am 10.06.2021 16:27 Uhr
Berlin -

Apotheken sollen ab Montag primär Impfungen aus Hausarztpraxen in das digitale Impfzertifikat übertragen. Wer seine Immunisierung in Impfzentren erhalten hat, sollte auch von dort den Zugangscode zugeschickt bekommen und nicht in eine Apotheke müssen. Doch bereits jetzt zeigt sich: Vielerorts werden sich die Menschen damit noch gedulden müssen – voraussichtlich bis Mitte Juli. Auch die Praxen brauchen noch Wochen. Was das ab Montag für das Aufkommen in Apotheken bedeutet, lässt sich erahnen.

Apotheken könnten in den kommenden Wochen zahlreiche Geimpfte in der Offizin stehen haben, für die sie eigentlich nicht zuständig sind. Denn alle in den Impfzentren Immunisierten – aktuell rund zwei Drittel der Geimpften – sollen ihre Zugangscodes per Post zugesendet bekommen. Wie das organisiert wird und wer dafür verantwortlich ist, unterscheidet sich jedoch von Bundesland zu Bundesland: Mancherorts sind die Gesundheitsministerien zuständig, anderswo die Impfzentren in Eigenregie, wiederum anderswo – in Hessen beispielsweise – das Innenministerium. Bereits jetzt ist absehbar, dass der automatische Postversand aus den Impfzentren Problem aufwerfen wird: Viele Impfzentren beklagen bereits, dass sie gar nicht die Adressdaten aller Bürger:innen haben, die bei ihnen geimpft wurden. Hinzu kommen technische Hürden. In Hamburg teilte die Sozialbehörde – sie ist in der Hansestadt zuständig – bereits mit, dass es zu Verzögerungen kommen werde, weil die technische Infrastruktur noch nicht vorhanden ist.

In Sachsen sieht es zumindest einheitlich aus: Hier wurden in den Impfzentren keine Adressdaten gespeichert. „Ein Nachtrag in den Impfzentren ist nicht möglich“, erklärt das Sozialministerium auf Anfrage. Der Freistaat verzichtet daher komplett auf den Postversand. „Eine postalische Zusendung des QR-Codes für bereits vollständig Geimpfte ist nicht geplant.“ Stattdessen sollen dort alle Geimpften ihren Nachweis in der Apotheke erhalten: „Wir setzen in Sachsen auf diesen Weg. Wir gehen nach Rückmeldung der sächsischen Verbände davon aus, dass sich auch in Sachsen viele Apotheken beteiligen werden.“

So soll es auch in Schleswig-Holstein aussehen. Die Hälfte der Apotheken dort hat sich nach Angaben des Apothekerverbands bereits registriert und auf sie könnte eine Menge Arbeit zukommen: Die Impfzentren seien zwar auf die Ausstellung des digitalen Nachweises direkt nach den jeweiligen Impfungen vorbereitet, noch stehe allerdings eine Freischaltung der notwendigen Technik seitens des Bundes aus. Wenn es so weit ist, können dann im laufenden Betrieb Geimpfte direkt nach der Impfung den entsprechenden Nachweis erhalten.

Allerdings: „Eine nachträgliche Ausstellung auch für in den Impfzentren geimpfte Personen kann voraussichtlich ab kommender Woche vorerst in teilnehmenden Apotheken bei Vorlage des Impfausweises oder der entsprechenden Impf-Bescheinigung sowie eines Lichtbildausweises erfolgen, wenn das System dort gestartet ist.“ Das heißt, dass jede:r Geimpfte aus einem Impfzentrum, der vor der Freischaltung dran war, ihr oder sein digitales Impfzertifikat in der Apotheke holen muss – also alle bisher Geimpften.

Immerhin im Saarland soll es nach Angaben der dortigen Landesregierung rund laufen: „Schon ab Montag werden alle in den vier Impfzentren Erst- und Zweitgeimpfte das neue Zertifikat erhalten und können es neben dem Impfausweis als Dokument für eine durchgeführte Impfung nutzen“, so Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU). „Insbesondere können die Geimpften den zugeteilten QR-Code einscannen und in der kostenlosen CovPass-App oder der Corona-Warn-App hinterlegen und den digitalen Impfausweis bequem als Nachweis für die Corona Impfung nutzen.“ Sogar die Uhrzeit steht demnach schon fest: Ab 7 Uhr am kommenden Montagmorgen sollen alle Besucherinnen und Besucher der Impfzentren im Saarland automatisch das neue Zertifikat erhalten.

Diejenigen, die in den Impfzentren, durch mobile Teams in den Pflege- und Behinderteneinrichtungen oder in den Krankenhäusern bereits vollständig geimpft sind, oder deren Erstimpfung bereits zurückliegt, erhalten Ihre Zertifikate postalisch an die Meldeadresse. „Das sind aktuell über 500.000 Personen, die in den kommenden Wochen Post erhalten werden“, so Bachmann. Der Versand werde insgesamt rund zwei Wochen in Anspruch nehmen.

Die Apothekerkammer des Saaralnds befürchtet dennoch einen großen Ansturm ab Montag – und ruft die Bevölkerung deshalb vorsorglich zur Umsicht auf. „In den ersten Tagen wird die Zahl der Apotheken, die das Angebot machen, wahrscheinlich noch begrenzt sein. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Apotheken sehr schnell steigen wird“, so Kammerpräsident Mafred Saar. „Ich darf aber an alle Bürger:innen appellieren, nicht bereits am Montag die saarländischen Apotheken zu stürmen. Bitte lassen Sie den Bürger:innen den Vortritt, die urlaubs- oder berufsbedingt einen digitalen Impfnachweis kurzfristig benötigen. Allen Bürger:innen sofort und direkt einen digitalen Impfnachweis auszustellen, ist schlichtweg nicht möglich!“

Länger dauern wird es hingegen auch in Bayern. Zwar ist der Freistaat nach Angaben seines Gesundheitsministers grundsätzlich bereit für die Einführung des digitalen Impfzertifikats – aber eben nur grundsätzlich. Die bayerische Landesregierung setzt dabei mit dem Portal BayIMCO, über das auch Termine in Impfzentren vergeben wurden, auf eine eigene Lösung. Hat man dort bereits einen Account, kann man sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums nach dem Einloggen einen QR-Code herunterladen. „Damit das unkompliziert möglich ist, sollte nach der Zweitimpfung im Impfzentrum der Account nicht gelöscht werden“, so ein Sprecher. Allerdings soll die entsprechende Programmierung für die Funktion „voraussichtlich noch im Juni abgeschlossen sein“ – wird also in den kommenden Wochen noch nicht verfügbar sein.

Hat man keinen BayIMCO-Account, aber die Impfdaten sind elektronisch vorhanden, sollen Geimpfte künftig über eine „Schwester-Webseite“ von BayIMCO ihre elektronische Impfbestätigung anfordern und dann per verschlüsselter E-Mail oder Post einen entsprechenden QR-Code erhalten können. Auch hier gilt: „Diese Webseite wird aktuell noch erstellt.“ Gibt es weder Account, noch gespeicherte Impfdaten, wird es schwieriger – sowohl für die Geimpften als auch die Zentren.

Dann müssen die Geimpften sich nämlich telefonisch an das Call-Center in ihrem Impfzentrum wenden. Das soll dann wiederum einen elektronischen Nachweis erstellen und per verschlüsselter E-Mail oder per Post zustellen. Sowohl die telefonische Anforderung als auch die „Schwester-Webseite“ lassen jedoch noch eine Weile auf sich warten. Die technischen Voraussetzungen „sollen bis spätestens Mitte Juli abgeschlossen sein“, so der Ministeriumssprecher. „Wir bitten daher, zunächst von Anfragen bei den Impfzentren abzusehen.“

Bis dahin könnten jedoch auch in Arztpraxen Geimpfte aus der Gruppe fallen, die in der Apotheke ihr digitales Impfzertifikat erstellen lassen: Es ist geplant, dass künftig auch direkt beim Arzt ein QR-Code zur erfolgten Impfung ausgehändigt wird – auch wenn sich viele Ärzt:innen noch gegen die neue Aufgabe sträuben. IBM – der IT-Konzern, der vom BMG mit dem Aufbau der technischen Infrastruktur für die Impfzertifikate betraut ist – ist nach eigenen Angaben in Gesprächen mit allen Kassenärztlichen Vereinigungen, um die Einbindung der Anwendungen zur Erstellung der Zertifikatscodes in den Praxisverwaltungssystemen zu ermöglichen. Bis das möglich ist, wird es aber wohl auch noch bis Mitte Juli dauern – also dann, wenn auch Geimpfte aus den Impfzentren ihre Codes erhalten. Bis dahin soll es eine Übergangslösung geben – und Gespräche mit den großen EDV-Anbietern, um die Sache zu beschleunigen.

„Nicht sofort flächendeckend, sondern zunächst nur im Rahmen einer begrenzten Testphase wird der digitale Impfnachweis in Deutschland starten“, betonte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Thomas Kriedel stellte er klar, dass die niedergelassenen Haus- und Fachärzte digitale Impfzertifikate noch nicht ausstellen können – außer, wenn sie in Modellvorhaben eingebunden sind. Der Feldversuch läuft laut IBM aber gerade aus.

„Noch sind die technischen Voraussetzungen und Klarheit über genaue technische Abläufe in den Praxen nicht gegeben. Für eine flächendeckende Anwendung wird das die Voraussetzung sein“, erklärte Hofmeister. „Der digitale Nachweis ist eine freiwillige Ergänzung des weiter gültigen gelben Impfheftes aus Papier“, sagte Kriedel. Deutschland setze damit ein Vorhaben der Europäischen Union um. „Urlaubsreisen scheitern ohne das digitale Impfzertifikat aber nicht“, betonte er. „Der gelbe Impfausweis ist die internationale Bescheinigung über Impfungen und bei Auslandsreisen das Nachweisdokument erster Wahl.“

Keine Briefe, keine Praxen also. Bis Mitte Juli dürften in den Apotheken sowohl Geimpfte aus Praxen als auch solche aus Impfzentren auf der Matte stehen.

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