Messebauer sattelt auf Apotheken um

Einrichter: „Plexiglas zu kriegen, wird immer schwieriger“

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Berlin -

Die Corona-Krise bringt viele Branchen an den Rand des Zusammenbruchs: Manche bangen um ihre Existenz, weil die Einnahmen komplett wegbrechen, andere geraten an die Leistungsgrenze, weil sie den enormen Ansturm an Kunden oder Patienten verkraften müssen. Das lässt sich auch bei den Inneneinrichtern und den Messebauern beobachten: Letztere haben mit einem historischen Einbruch zu kämpfen, rund 2 Milliarden Euro beträgt der Schaden für Branche bereits jetzt. Viele Apothekeneinrichter hingegen können sich gerade vor Aufträgen kaum retten, alle wollen Plexiglasscheiben auf dem HV. Grund genug für einen Messebauer aus der Nähe von Dortmund, jetzt schnell umzusatteln. Für ihn könnten die Apotheken die Rettung sein.

„Wir haben gerade so viel zu tun, dass man es kaum schafft“, erklärt Apothekenbauer Apo Interieur aus Mülheim an der Ruhr. „Wir hatten vorher schon eine gute Auslastung, da überläuft einen das. Man braucht immer ein paar Leute, das Material, muss dann vor Ort aufmessen und so weiter.“ Vorgefertigte Angebote gibt es bei Apo Interieur nicht, „das ist immer eine individuelle Anfertigung“, erklärt der Einrichter. Deshalb seien auch die Preise individuell und könnten nicht pauschal angegeben werden.

Ähnlich sieht es beim Einrichter Bisanz in Berlin aus. „Man versucht überall zu helfen, aber es gibt auch Kapazitätsgrenzen“, sagt der. „Es gibt auch laufende Projekte, da kann man nicht alles stehen und liegen lassen.“ Bisanz habe auch viele Kunden im Berliner Umland. „Wir fahren die ab, dann wollen viele erst einmal eine Beratung, haben dann aber keine Grundrisse. Außerdem warten wir täglich darauf, dass das Material knapp wird. Es ist keine einfache Situation.“ Deshalb empfiehlt Bisanz, dass Apotheker nach Möglichkeit auch selbst tätig werden.

„Es gibt ja auch Apotheker, die handwerklich fit sind, die können das selbst machen.“ So sei es ohne weiteres möglich, eine Schutzscheibe mit Material aus dem Baumarkt selbst abzuhängen. „Bei 2 bis 3 Millimeter Materialdicke auf 1 Meter mal 1,20 Meter kann man so eine Plexiglasscheibe auch mit Angelsehne von der Decke abhängen. Dazu braucht man keine Tischlerei“, erklärt er. „Es geht ja auch gerade nicht darum, Design-Objekte zu bauen, sondern etwas zweckdienliches.“ Wichtig sei nur, die Scheiben täglich von beiden Seiten mit Desinfektionsmitteln zu reinigen.

Einen anderen Ansatz als Apo Interieur und Bisanz verfolgt der schwäbische Einrichter Schalter Apothekenbau. Schon auf dessen Homepage schlägt dem Betrachter ein roter Balken entgegen: „Jetzt neuer Corona-Spuckschutz für Apotheken“, heißt es da. Der Link führt zur Seite mit den beiden Modellen, die Schalter jetzt im Angebot hat: „Spuckschutz premium“ und „Spuckschutz light“ für 296 Euro beziehungsweise – je nach Scheibengröße – 164 oder 174 Euro. Der Unterschied zwischen beiden Modellen liegt hauptsächlich in den Seitenscheiben: Während die Light-Version im Wesentlichen aus einer aufstellbaren Glasscheibe besteht, hat die Premium-Version welche.

Auch Schalter kann sich momentan vor Aufträgen kaum retten. „Es ist nicht einfach, die momentane Nachfrage zu bewältigen, sie ist sehr groß und die Apotheker wollen alle sofort geliefert bekommen“, erklärt Michael Schalter. Er habe kürzlich rund 400 Kunden angeschrieben, um auf das neue Angebot hinzuweisen. 100 davon hätten sich direkt zurückgemeldet. „Das können wir noch bewältigen, aber wir können dann nicht immer sofort liefern. Wir haben mittlerweile eine Lieferzeit von einer Woche.“ Probleme mache dabei auch der Versand, viele Paketdienste – DHL beispielsweise – würden die Pakete wegen der Maße und des Gewichts nicht annehmen. Die Folge: Speditionen müssen beauftragt werden, was teurer ist und länger dauert.

Vielen Apothekern ist eine Woche Wartezeit im Moment eindeutig zu lang, deshalb weist Schalter sie darauf hin, die Konstruktionen doch besser abzuholen. Und viele machen das – woran man laut Schalter ihre Nervosität erkennen kann. „Die Apotheker sind gerade sehr beunruhigt, deswegen holen auch viele ab, was sie normalerweise nicht tun.“ Dabei steigt die Nervosität auch beim Einrichter, wenn auch aus anderen Gründen: „Plexiglas zu kriegen, wird immer schwieriger. Die Lager der Hersteller leeren sich spürbar“, sagt Schalter.

Während Apothekeneinrichter also im Moment von der Nachfrage überschwemmt werden, erleben die Messebauer das andere Extrem. Kaum eine Branche hat es so hart getroffen. „Wir waren vor der Krise sehr gut aufgestellt, hatten fast 110 Prozent Auslastung“, erzählt Marcus Drengenberg, Geschäftsführer von Marco Messebau aus Holzwickede bei Dortmund. „Deshalb konnten wir die Absagen der ersten Messen noch relativ gelassen sehen. Dann wurden aber Messen abgesagt, für die wir die Stände schon gebaut hatten und am Ende hatten wir einen Totalausfall. Wir haben auf einen Schlag alle Einnahmen verloren.“ Er habe dann versucht, durch andere Arbeiten – vor allem Reparaturen – noch etwas Budget abzugreifen und habe so tatsächlich noch einige Aufträge an Land gezogen. „Doch die wurden dann nacheinander auch alle abgesagt. Die Lage ist, dass viele Unternehmen hohe Personalausfälle haben wegen der Kinderbetreuung und so weiter. Wenn bei denen die Produktion ausfällt, haben die natürlich auch kein Budget mehr für uns.“

Für Drengenberg und seine zehn Mitarbeiter ist die Krise absolut existenziell. Er musste bereits Kündigungen aussprechen und Fahrzeuge aus dem Fuhrpark abmelden. Doch da kam ihm die vielleicht rettende Idee: „Ein guter Schulfreund von mir ist Apotheker und erzählte mir, dass er jetzt zusehen muss, wie er seine Mitarbeiter schützen kann.“ Im Gespräch kam Drengenberg die Idee, den Apotheken unter die Arme zu greifen. „Das ist eine Win-Win-Situation“, sagt er. „Die Apotheker sagen mir, dass sie im Moment sowieso schon bis 23 Uhr in der Apotheke stehen und auch ihre Mitarbeiter keine Kapazitäten mehr haben, sowas selbst zu bauen. Und ich bin froh über die Aufträge.“

Deshalb bietet Marco Messebau seit dieser Woche steckbare Plexiglaskonstruktionen für Apotheken an. Und die Nachfrage ist auch hier groß. „Obwohl wir das noch gar nicht beworben haben, hat sich das schon so weit über Mund-zu-Mund-Propaganda verteilt, dass sich seit Montag jeden Tag zehn Apotheken bei uns melden.“ Wie bei Apo Interieur und Bisanz gibt es auch bei Marco kein vorgefertigtes Produkt, sondern Einzelanfertigungen. „Wir bauen individuell und lassen uns immer ein Foto des HV-Tisches sowie die Maße schicken.“ Entsprechend sind auch die Preise individuell, bewegen sich aber laut Drengenberg in der Regel zwischen 220 und 395 Euro.

Die neue Kundengruppe hat ihm eine Galgenfrist verschafft. Die ausgesprochenen Kündigungen konnte er bereits zurückziehen. „Aber das wird uns wohl nur ungefähr einen Monat lang tragen“, sagt er. „Wie es dann weitergeht, weiß ich noch nicht.“ Er hoffe, dass sich weitere Möglichkeiten ergeben könnten, Apotheken oder auch Arztpraxen unter die Armen zu greifen. „Der Messebau ist ja flexibel“, sagt Drengenberg. „Wir bauen alles, was die Kunden haben wollen.“

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