Umstrittene Anweisung in NRW

Die verflixte siebte Dosis Alexander Müller und Alexandra Negt, 15.02.2021 11:14 Uhr

In NRW sollen sieben Dosen Corona-Impfstoff aus einer Durchstechflasche entnommen werden. Das Vorgehen ist umstritten. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

In den Impfzentren in Nordrhein-Westfalen (NRW) sollen ab sofort sieben statt sechs Dosen Impfstoff aus einer Durchstechflasche entnommen werden. Die Verfahrensanweisung zur Rekonstitution sieht in der Tat ein sehr sparsames Vorgehen vor – möglicherweise sogar zu sparsam. Wird in NRW systematisch Impfstoff unterdosiert?

Beim Biontech-Impfstoff Comirnaty sah die Zulassung zunächst sogar nur die Entnahme von fünf Impfdosen à 0,3 ml vor. Da sich in der Praxis schnell herausstellte, dass sechs Entnahmen möglich sind, wurde die Zulassung – auch mit Blick auf die bestehenden Lieferengpässe – entsprechend angepasst.

NRW erlaubt nun – wenn es möglich ist – auch die Entnahme der siebten Dosis. Dass diese Option überhaupt besteht, liegt an der aktuellen Verfahrensanweisung des Ministeriums Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS). Dort heißt es: „6x 0,3 ml des anwendungsfertigen Impfstoffes werden dann nacheinander in einem Arbeitsgang in jeweils eine 1 ml Spritze mittels einer 23 G-Kanüle aufgezogen. Beim Spritzenwechsel verbleibt die Aufziehkanüle im Septum des Impfstoff-Vials.“

Diese unterscheidet sich von der Anleitung, die beispielsweise für Sachsen von der Kassenärztlichen Vereinigung veröffentlicht wurde. In beiden Herstellanweisungen bleibt die Aufziehkanüle im Vial stecken. In Sachsen sollen Apotheker:innen und PTA nach dem Aufziehen von 0,3 ml aber zusätzlich etwas Luft aufziehen, in NRW wird direkt abgeschraubt. Im folgenden Schritt wird in beiden Anweisungen die Injektionskanüle aufgesteckt, mit der Arzt schließlich impft.

Der Unterschied liegt im Detail: Sachsen zieht ein wenig Luft mit auf, um das Totvolumen der steckenden Kanüle in die Applikationsspritze zu überführen. Denn das noch leere Totvolumen der neuen Kanüle muss noch geflutet werden. In NRW müsste es somit beim Fluten der neuen Injektionskanüle zu einer Unterfüllung kommen. Je nach verwendetem Spritzentyp fällt diese unterschiedlich aus. Doch auch bei Totvolumen-sparenden Systemen beläuft sich diese Menge auf 0,01 bis 0,02 ml.

Das MAGS hat gegenüber Impfteams erklärt, dass die Verfahrensanweisung mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) abgestimmt sei. Eine Bestätigung des PEI hierzu steht noch aus.

Hersteller Biontech betont, dass die Zulassung nur für die Entnahme von sechs Dosen besteht. Auch in der Praxis würde die zusätzliche Entnahme zu Problemen führen, gerade mit Blick auf das nicht zu vernachlässigende Totvolumen. In der Praxis berichten Impfteams, dass sich für sehr geübte Apotheker:innen und PTA teilweise auch eine siebte Dosis entnehmen lässt, allerdings bei weitem nicht in jedem Fall. Sie wünschen sich vor allem klare Vorgaben. Denn die abweichenden Vorgaben verunsichern: Die Impfteams wollen weder Impfstoff unterdosieren noch unnötigerweise Impfstoff verwerfen, der so dringend gebraucht wird.

Immerhin eine Frage ist in NRW jetzt geklärt. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) hat nunmehr der Verwendung der siebten Dosis zugestimmt. Zuvor war den Ärzten untersagt, diese Dosen zu verabreichen, die die Impfteams laut MAGS herstellen können – eine vertrackte Situation. Die KVNO betont aber, dass es sich um eine vollständige Einzeldosis mit 0,3 ml handeln muss und auf keinen Fall Reste unterschiedlicher Vials miteinander vermengt werden dürften.