Ansteckung mit Sars-CoV-2

Corona: Geschlossene Räume als Risiko dpa/ APOTHEKE ADHOC, 18.08.2020 14:34 Uhr

Aerosole in geschlossenen Räumen gelten als Risikofaktor für eine Ansteckung mit Sars-CoV-2. Foto: ImageFlow/shutterstock.com
Berlin - 

An der frischen Luft ist Corona fast kein Problem – davon sind die meisten Forscher überzeugt. Gefährlich wird es jedoch in geschlossenen Räumen: Dabei kann es einen Unterschied machen, ob man im Büro, im Fitnessstudio oder im Restaurant ist. Die Gefahr einer Corona-Infektion ist in geschlossenen Räumen nach bisherigen Erkenntnissen im Vergleich zu an der frischen Luft extrem erhöht – das könnte in der bevorstehenden kalten Jahreszeit zum Problem werden.

Eines der einfachsten Mittel zum Schutz gegen Corona: Ab an die frische Luft. Im Freien wirbelt – vereinfach gesagt – der Wind die Viren davon. Jetzt im Sommer ist das Draußensein kein Problem. Besuche im Biergarten, Schläfchen am Seeufer oder eine Radtour. Aber spätestens im Herbst, wenn es kälter wird und Fenster geschlossen bleiben, dürfte das Ansteckungsrisiko steigen – die Corona-Gefahr wächst.

Aerosole als Übertragungsweg

Als wichtiger Übertragungsweg von Sars-CoV-2 gelten Aerosole, Mischungen winziger Teilchen in der Luft. Daneben gibt es aber auch andere Möglichkeiten der Virenübertragung, etwa als Schmierinfektion. Und auch bei Aerosolen lassen sich schwer pauschale Aussagen treffen. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob der Raum über offene Fenster, eine eingebaute Lüftungsanlage oder gar nicht belüftet wird. Einfluss hat auch, ob ein paar Menschen in einem Raum mehr oder weniger still vor sich hinarbeiten oder – etwa in einer Bar – laut sprechen, grölen oder singen.

Konkrete Zahlen gibt es bislang noch nicht. Das lasse sich auch nicht genau beziffern, erklärte eine Sprecherin des Robert Koch-Instituts (RKI). Der frühere Präsident der internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, verwies aber auf eine Studie aus China, nach der von 318 untersuchten Ausbrüchen mit drei oder mehr Infektionsfällen Anfang des Jahres nur ein einziger im Freien stattgefunden hatte. In fast 80 Prozent der Fälle steckte der Erkrankte andere Menschen zu Hause an, schreiben die Forscher. Ansteckungen gab es auch in Verkehrsmitteln und etwa beim Einkaufen.

Scheuch macht eine Beispielrechnung: Er nimmt dafür an, dass in einem Raum 50 Viren pro Liter Luft sind. Würde eine Person in zehn Minuten etwa 150 Liter Luft inhalieren, seien darin rund 7500 Viren enthalten. „Laut meinen amerikanischen Kollegen von der Harvard Uni reichen wahrscheinlich 300 bis 1000 Viren aus, um eine Infektion auszulösen“, macht Scheuch deutlich. „Das bedeutet: Diese Person hat mindestens das Siebenfache an Grenzdosis abbekommen.“ Erst kürzlich haben US-Forscher in Versuchen bestätigt, dass von Corona-Infizierten ausgestoßene Aerosole intakte Viruspartikel enthalten können. „Ich glaube, dass einfaches Atmen schon genügt“, meint Scheuch.

Geschlossene Räume als Hotspot

Und genau hier liegt im Grunde das Problem: In einem geschlossenen Raum atmet, hustet, niest ein Erkrankter immer wieder schubweise Virenwolken. Weht kein Wind, verteilen die Viren sich im Raum – die Corona-Konzentration steigt. Daher warnt das RKI, bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen könne sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als zwei Meter erhöhen. Dabei spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle – etwa wie viele virushaltige Partikel der Infizierte ausstößt und wie lange sich andere im selben Raum aufhalten und die Luft einatmen.

Doch Innenraum ist nicht gleich Innenraum, wie Scheuch erklärt: „In Fitnessstudios kann natürlich durch die körperlichen Anstrengungen die Produktion der Aerosole durchs Atmen deutlich erhöht werden.“ In einem Klassenzimmer mit vielen schreienden, durcheinanderlaufenden Kindern sei die Gefahr auch größer als in einem Büro.

Lüften gegen Aerosole?

Eine Querlüftung mit geöffneten Fenstern an gegenüberliegenden Seiten einer Wohnung oder eines Raums sei das Beste, erklärt Dieter Scholz vom Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Auch gekippte Fenster brächten noch mehr als eine eingebaute Lüftungsanlage, so Scholz. Doch nicht immer reiche das regelmäßige Lüften aus, erklärt Martin Kriegel, Deutschlands führender Experte für die Belüftung von Räumen, gegenüber der „Wirtschaftswoche“: Etwa wenn der Wind nicht wehe oder die Temperaturen im Raum und draußen gleich seien – „dann strömt nichts durchs Fenster.“

Er erklärt daher auch den Einfluss von Lüftungsanlagen: Entgegen vieler Behauptungen seien sie keine Virenschleudern. „Wenn binnen zwei Minuten die Aerosole sowieso überall im Raum sind – auch ohne Lüftungsanlage – dann sind sie es mit einer Lüftungsanlage vielleicht in anderthalb Minuten.“ Dafür würden die Anlagen jedoch Frischluft in den Raum bringen, was die Aerosolkonzentration verdünne. „Sie werden aus dem Raum abtransportiert und gegen frische Luft ersetzt – das ist dann sehr gut“, erklärt er. Es müsse jedoch klar sein, dass sich in einem normalen Büro keine aerosolfreie Luft herstellen lasse.

Die Experten halten daher auch CO2-Messgeräte bei geschlossenen Räumen für hilfreich. „Der CO2-Gehalt ist ja ein Maß für die Luftqualität in einem Raum mit mehreren Personen. Dann würden sie als Warnanlage helfen“, erklärt Scheuch. Auch Kriegel hält die Anschaffung der CO2-Sensoren für sinnvoll: „Die kosten nur ein paar Euro, geben aber indirekt Auskunft darüber, wie viele Aerosole sich im Raum befinden – je mehr CO2, desto mehr Aerosole gibt es im Büro. Und die Geräte zeigen, wie gut jemand lüftet.“