Rezeptsammlung im Supermarkt

Versandhandel über Botendienst zulässig

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Berlin -

Apotheken mit Versandhandelserlaubnis dürfen Bestellungen in ihrem lokalen Umfeld auch mit dem eigenen Botendienst beliefern. Der Betrieb einer Rezeptsammelstelle in einem Supermarkt ist damit als eine Spielart des Versandhandels zulässig. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im April. In den jetzt vorliegenden Urteilsgründen steht auch, dass Versandhandel auch in lokalem Umfang möglich ist.

Apothekerin Dr. Kerstin Boje-Petzokat betreibt im Ruhrgebiet drei Apotheken, darunter die Pinguin-Apotheke in Herne. Im Dezember 2014 hatte sie eine Rezeptsammelbox in einem Edeka-Supermarkt installiert. Mit einem zwei Meter großen Aufsteller im Eingangsbereich des Marktes wollte sie Rezepte und OTC-Bestellungen einsammeln, die die Kunden zusammen mit einem ausgefüllten Bestellschein in einen Umschlag stecken und in den angebrachten Briefkasten werfen konnten.

Der Briefkasten wird von Mitarbeitern der Apotheke montags bis freitags einmal täglich geleert. Im Stadtgebiet liefert Boje-Petzokat die bestellten Arzneimittel versandkostenfrei durch Boten der Apotheke aus. Für Zustellungen außerhalb des Stadtgebietes beauftragt sie einen externen Dienstleister, wobei für den Kunden Versandkosten anfallen. Die Apothekerin verfügt seit Dezember 2006 über eine Versanderlaubnis.

Die Aufsichtsbehörde hatte das Konstrukt als nicht genehmigte Rezeptsammelstelle in einem Gewerbebetrieb bewertet und den Betrieb untersagt. Gegen die im Oktober 2015 erlassene Ordnungsverfügung klagte die Inhaberin. Nach ihrer Auffassung handelt es sich um eine „erlaubnisfreie Pick-up-Stelle“, die sie im Wege des Versandhandels betreibe. Weder vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hatte sie Erfolg. Doch sie gab sich nicht geschlagen und bekam schließlich vor dem BVerwG Recht: Ende April genehmigten die Leipziger Richter das Konzept. Der Versandhandel mit Arzneimitteln umfasse auch das Einsammeln von Rezepten und Botenauslieferungen im Einzugsbereich der Präsenzapotheke, so das Kernargument der Richter.

Die Vorinstanzen hatten jeweils entschieden, dass das Vertriebskonzept nicht dem Versandhandel zuzuordnen sei. Aus Kundensicht würden die Arzneimittel unmittelbar aus den Räumen der Apotheke abgegeben. Boje-Petzokat hielt dagegen, die Zustellung der Arzneimittel durch Boten der Apotheke stehe der Annahme von Versandhandel nicht entgegen.

Laut den jetzt vorliegenden Urteilsgründen des BVerwG war die Ordnungsverfügung der Aufsichtsbehörde rechtswidrig. „Die beanstandete Einrichtung zum Sammeln von Verschreibungen steht im Einklang mit den Vorschriften des Arzneimittel- und des Apothekenrechts“, heißt es im Urteil.

Zunächst stellte nach Auffassung des Gerichts schon das Schreiben der Behörde im Juli 2015 keine ausreichende Anhörung in Bezug auf den später folgenden Bescheid gegen die Apotheke dar. Daraus sei für die Inhaberin nämlich nicht zu erkennen gewesen, dass sie neben dem angedrohten Ordnungsgeld auch mit dem Erlass ordnungsrechtlicher Maßnahmen zu rechnen habe. Allerdings sei Boje-Petzokat dieser Umstand wegen des weiteren Schriftwechsels ihres Anwalts mit der Behörde durchaus bekannt gewesen, hakt das Gericht diesen formalen Punkt ab.

Spannender ist die inhaltliche Bewertung: Denn das BVerwG sieht in der Rezeptsammelbox keinen Verstoß gegen die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Die Vorinstanz habe den Begriff des Versandhandels falsch ausgelegt. Dieser umfasse die Möglichkeit, die eingesammelten Rezepte über den eigenen Botendienst zu beliefern. „Es handelt sich hierbei um ein Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels“, so das Gericht.

Versandhandel ist laut Urteil des BverwG auch „im örtlichen Einzugsbereich der Präsenzapotheke“ und mit Einsatz eigener Boten möglich. „Beim Versand erfolgt die Arzneimittelabgabe aus einer öffentlichen Apotheke heraus, ohne dass der Kunde gehalten ist, die Apothekenbetriebsräume zu betreten. Er kann seine Bestellung schriftlich, telefonisch oder elektronisch aufgeben und sich die bestellten Medikamente an einen beliebigen Ort zustellen lassen“, fassen die Richter zusammen. Schon in seinem Pick-up-Urteil 2008 hatte das BVerwG entschieden, dass die Übersendung auch an eine Abholstation erfolgen kann. Damals ging es um die Sammelstellen der Europa Apotheek Venlo in dm-Drogeriemärkten. Gemäß Arzneimittelgesetz müssten auch verschreibungspflichtige Arzneimittel „nur von, aber nicht in Apotheken abgegeben werden“, heißt es dazu im aktuellen Urteil.

Die Apotheke muss laut BVerwG keine externe Transportdienstleister einsetzen. Das Apothekengesetz fordere nur, „dass das zu versendende Arzneimittel so transportiert und ausgeliefert wird, dass seine Qualität und Wirksamkeit erhalten bleibt“. Die Apotheke müsse zudem sicherzustellen, dass an die richtige Person ausgeliefert wird. „Ob die Apotheke für Transport und Auslieferung eigenes Personal einsetzt oder einen Dritten damit beauftragt, gibt § 11a ApoG nicht vor“, so die Richter. Die Pflicht zur Sendungsverfolgung und Transportversicherung sei eben für den Fall bestimmt, dass die Apotheke einen Logistiker einsetze. Dadurch werde aber eine Beförderung durch eigenes Personal der Apotheke nicht ausgeschlossen.

Auch die Regelung des Botendienstes in der ApBetrO steht dem Angebot der Herner Apotheke laut Urteil nicht entgegen. Der Gesetzgeber habe unlängst sogar die Begrenzung auf den Einzelfall aufgehoben, um die Botenzustellung als Versorgungsform der Vor-Ort-Apotheke und als Alternative zum Versandhandel zu stärken. „Es ist nicht zu erkennen, dass damit eine Botenzustellung für den Bereich des Versandhandels ausgeschlossen werden sollte“, so das Urteil. Und mit Blick auf den Verbraucherschutz und die Arzneimittelsicherheit stellte das Gericht fest, dass der Transport durch eigenes Personal der Apotheke sich gegenüber dem Versand per Post nicht als weniger sicher erweist. „Im Gegenteil dürfte dies die Sicherheit noch erhöhen“, sind die Richter überzeugt.

Der Begriff des Versandhandels umfasse nicht nur Vertriebsmodelle mit überregionaler, deutschlandweiter oder internationaler Ausrichtung, sondern auch kleinräumige Vertriebsformen – etwa im Lebensmittelversand. Im Arzneimittelbereich sei der Versandhandel zugelassen worden, um Verbrauchern den Arzneimittelbezug zu erleichtern. „Dabei hat der Gesetzgeber nicht allein Kunden mit größeren Entfernungen zur nächsten Apotheke im Blick gehabt“, so die Richter. Ein lokaler Versand trage dem Anliegen von Kunden Rechnung, die ihre Versandbestellung gezielt bei einer Vor-Ort-Apotheke aufgeben möchten, die sie kennen.

Anders als bei einer „normalen“ Rezeptsammelstelle benötige Boje-Petzokat keine Genehmigung, wenn sie im Rahmen des Versandhandels eine Einrichtung zum Sammeln von Verschreibungen betreibe. „Einzuräumen ist, dass Präsenzapotheken, die Rezeptsammelstellen nur nach Maßgabe des § 24 ApBetrO unterhalten dürfen, gegenüber Apotheken mit Versanderlaubnis, die diesen Beschränkungen nicht unterliegen, im Nachteil sind“, geben die Richter zu. Diese Differenzierung sei aber Folge der Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln.

Es sei Sache des Gesetzgebers, ob und gegebenenfalls welche Folgerungen er daraus für die ApBetrO zieht. „Ebenso liegt es bei ihm, gegebenenfalls ergänzende Regelungen über die Anforderungen an Einrichtungen zum Sammeln von Verschreibungen und Bestellungen im Versandhandel zu erlassen“ so die Richter abschließend. Ein Verbot von Pick-up-Stellen war tatsächlich lange diskutiert worden. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hatte das Vorhaben aber aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken seinerzeit nicht umgesetzt.

 

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