Verhütung

Apotheker: Kinder statt Kondome

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Berlin -

Wer in der Undine-Apotheke im Berliner Bezirk Neukölln Kondome kauft, findet zwei Beipackzettel: Inhaber Andreas Kersten steckt in jede Packung eine persönliche Notiz, mit der er für die „Lebensbereicherung durch Kinder“ wirbt. Eine Kundin empörte sich darüber auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Die Twitternutzerin Salomé Balthus entdeckte in der Kondom-Packung aus der Undine-Apotheke den beigelegten Zettel. Darauf stand: „Bitte werben Sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln: Setzen Sie sich ein für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen, und für eine sorgsame Abwägung bei der Entscheidung für ein Verhütungsmittel – im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder! Herzlichen, lieben Dank! Ihr Andreas Kersten.“

Balthus reagierte entrüstet auf die Botschaft. „Unverschämtheit!“ kommentierte sie ein Foto des Zettels auf Twitter. Andere Nutzer reagierten ähnlich: „Na nicht, dass die Dinger noch microperforiert sind“, twittert ein Nutzer. Die Apotheke sei „inakzeptabel und nicht vertrauenswürdig“, postet ein anderer. „Und was ist mit der Lebensbereicherung durch Geschlechtskrankheiten?“, fragt ein anderer Twitter-User.

Kersten will nichts weiter zu der Packungsbeilage sagen: „Was ich ausdrücken will, steht bereits auf dem Zettel.“ Der Apotheker ist überzeugter Katholik. Daher legt er Packungen von Verhütungsmitteln wie Kondomen oder – zumindest in der Vergangenheit – der Pille eine solche Botschaft bei. Bei Arzneimitteln wäre dies tatsächlich unzulässig.

Der „Zettel mit fundamentalistisch religiösen Texten“ provozierte bereits zum Frauentag im März 2011 einen Anschlag auf seine Offizin: Eine Protestgruppe bekannte sich dazu, die Apotheke „umgestaltet“ zu haben – wobei Scheiben zu Bruch gegangen seien.

Zum Frauenkampftag im Oktober 2014 wurde die Undine-Apotheke mit roten Farbbeuteln beworfen. Auf der Website indymedia.org bekannten sich Täter aus der linken Szene zu dem Anschlag: Kersten tue „sich als fanatischer Lebensschützer hervor“, hieß es zur Begründung. „Wer aus Gewissensgründen meint, Frauen das Recht auf Selbstbestimmung streitig machen zu müssen, darf sich nicht wundern, wenn er aus Gewissensgründen seinen Laden demoliert bekommt.“

Nachdem mehrere Tageszeitungen den Tweet von Balthus aufgenommen haben, darunter die Berliner Morgenpost und das Hamburger Abendblatt, erhielt der Apotheker zahlreiche Anrufe. Einen weiteren Fall von Sachbeschädigung habe es aber bislang nicht gegeben.

Der Pharmazeut weigert sich außerdem, Notfallkontrazeptiva oder Spiralen abzugeben. Im Kiez zeige man sich solidarisch. Frauen, die bei ihm nach der „Pille danach“ fragten und von ihm abgelehnt würden, suchten eine andere Apotheke auf, berichtet Kersten.

Mit der Abgabeverweigerung begibt sich der Apotheker rechtlich auf dünnes Eis. Die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sieht einen Kontrahierungszwang ausdrücklich zwar nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel und verordnete OTC-Arzneimittel vor. Für OTC-Arzneimittel gibt es keine entsprechende gesetzliche Grundlage. Die Abgabe kann laut ApBetrO bei Missbrauchsverdacht verweigert werden. Der Kontrahierungszwang wird aber grundsätzlich aus der Apothekenpflicht abgeleitet.

In der Kommentierung zur ApBetrO wird eine Abgabepflicht im Notdienst daher auch für OTC eindeutig erkannt. Ob diese Pflicht auch zu den normalen Öffnungszeiten besteht, ist dagegen umstritten. Je nach Bundesland und den entsprechend zuständigen Aufsichtsbehörden müssen Apotheker aber mit Schwierigkeiten rechnen, wenn sie die Abgabe ohne ersichtlichen Grund verweigern.

Ein Apotheker kann jederzeit pharmazeutische Bedenken gegen eine Abgabe geltend machen, sofern sich diese begründen lassen. Ethische, moralische oder religiöse Bedenken fallen nicht in diese Kategorie. Gemäß der Güterabwägung kommt es auf den Einzelfall an: Hat die Patientin Alternativen? Tagsüber in einer Großstadt ist mehr möglich als im Notdienst in der einzigen Apotheke eines entlegenen Dörfchens.

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