„Finsterstes Raubrittertum“

Venlafaxin-Engpass: KKH retaxiert trotzdem

, Uhr
Berlin -

Solch einen Wochenstart hätte Friedemann Ahlmeyer sich gerne erspart: Am Morgen flatterte dem Inhaber der Kompass-Apotheke in Bochum ein Brief der Retaxfirma GfS ins Haus. Die Rezeptprüfer aus Dresden beanstandeten im Auftrag der Kasse eine Verordnung über Venlafaxin: Rabattvertrag nicht beachtet, Nullretax. Der Apotheker ist empört – hatte er doch erheblichen Aufwand auf sich genommen, um den Versicherten überhaupt versorgen zu können.

Ahlmeyer gehört nicht zu jenen temperamentvollen Kollegen, die ihrem Ärger über die Kassen direkt Luft machen. Aber diesmal war es auch ihm zu viel: Als im Oktober einer seiner Patienten in der Stern-Apotheke in Herne ein Rezept über Venlafaxin vorlegte, setzte er alle Hebel in Bewegung, um das Antidepressivum zu besorgen. Verfügbarkeitsabfragen in Filiale und Hauptapotheke blieben ohne Ergebnis, schließlich gelang es ihm, das Präparat von 1A Pharma in seiner zweiten Filiale in Herne zu besorgen und per Bote an den anderen Standort liefern zu lassen. Das Rezept wurde mit der Sonder-PZN bedruckt, mit handschriftlicher Begründung samt Unterschrift versehen und in die Abrechnung gegeben.

Die GfS retaxierte die Abrechnung trotzdem von 40 Euro auf Null. „Die Verwendung des Sonderkennzeichens Nichtverfügbarkeit ist unplausibel“, schreibt die Prüffirma. „Als Nachweis wird eine Bestätigung von einem Großhändler zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels akzeptiert. Wenn die KKH für einen Wirkstoff mehrere Rabattpartner hat, ist für alle Rabattpartner ein Nachweis vorzulegen.“

Ahlmeyer ist entsetzt. Zur fraglichen Zeit sei Venlafaxin dauerhaft von fast gar keiner Firma in keiner Stärke lieferbar gewesen. Er sehe zwar durchaus ein, dass die Kassen beziehungsweise ihre Dienstleister einen Prüfauftrag haben – wobei er übrigens bislang nicht ein einziges Mal eine Korrektur zu seinen Gunsten erhalten habe.

Dass die Kasse ihm in diesen Fall die Abrechnung auf Null kürze, erinnere ihn an „finsterstes Raubrittertum“: „Es ist stark zu vermuten, dass die KKH hier retaxiert, weil sie davon ausgeht, dass die Apotheke bei bekannten Defekten nicht stets aufs Neue eine Verfügbarkeitsabfrage stellt. Leider typisch für diese Krankenkasse.“

Zwar hatten in diesem Fall sowohl die Filial- als auch die Hauptapotheke jeweils Verfügbarkeitsabfragen durchgeführt, die er nun auch vorlegen kann. Doch die Wut bleibt: „Es ärgert mich maßlos, dass trotz des Aufwands um die Versorgung des Versicherten – der deutlich höher als die Bezahlung durch die Krankenkasse war – die KKH hier zusätzlich noch die Zeche prellen will und abermals einen Aufwand von 20 Minuten Arbeitszeit für die Bearbeitung der Retaxation verursacht. Der KKH müsste die Liefersituation ihrer Rabattpartner eigentlich bekannt sein.“

Ein paar persönliche Anmerkungen konnte Ahlmeyer sich bei seinem Einspruch daher nicht verkneifen: Angesichts der monatelang andauernden Versorgungsschwierigkeiten bei Venlafaxin sei er „sehr verwundert“, eine solche Retaxation zu erhalten, heißt es in seinem Schreiben an die Retaxfirma. „Gerade Ihnen als rabattvertragsabschließende Partei müsste diese Situation bekannt sein. Wahrscheinlich hoffen Sie, dass bei allseits bekannten Lieferschwierigkeiten die Apotheke nicht bei jedem Vorgang eine erneute Verfügbarkeitsabfrage startet. Ich werte Ihre Retaxation daher als Versuch, sich Ihrer Leistungspflicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu entziehen.“

Der Apotheker verweist darauf, dass der Vorgang ihn fast eine halbe Stunde seiner Zeit zusätzlich gekostet habe – und dass er dies „im Wiederholungsfall mit dem üblichen Stundensatz eines Akademikers in Rechnung stellen“ werde.

 

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Neuere Artikel zum Thema

APOTHEKE ADHOC Debatte