Umsatzeinbußen

Baustelle vor der Apotheke: „Ich kann so nicht überleben“

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Berlin -

Sommerzeit ist Baustellenzeit. Viele Apotheker plagen deshalb Existenzängste. Sie fragen sich besorgt, wie lange ihre Kunden noch lächelnd Baugruben oder Pflastersteinberge überwinden werden. Oder ob sie nicht doch lieber weiterfahren zur nächsten Apotheke. Für einige ist die Baustelle vor der Haustür existenzbedrohend. Glücklich, wer treue Stammkunden hat!

In der Löwen-Apotheke im anhaltinischen Köthen machen Bauarbeiten den Alltag derzeit zur Qual. Sie begannen ohne jegliche Ankündigung von Seiten der Stadt. Als Apothekerin Katharina Pfeiffer am vergangenen Montag zur Arbeit kam, rückten Bauarbeiter an, die Absperrungen aufstellten. Sie hätte sich über eine Information gefreut, um ihre Kunden vorab in Kenntnis setzen zu können.

Gegenüber der Lokalpresse gab die Pressesprecherin der Stadt Köthen zu, dass man die „Information der Anlieger leider versäumt“ habe. Dabei verlässt sich das Amt auf die Presse, die dann hoffentlich darüber berichtet. Wenn nicht, erfährt der Rest der Welt eben nicht, was die Stadt plant.

Derzeit wird der Pflastersteinboden auf dem Köthener Marktplatz erneuert. Die jahrhundertealten Mauern des denkmalgeschützten, mehr als 400 Jahre alten Gebäudes der Löwen-Apotheke haben während der Bauarbeiten Risse bekommen. Der vermeintliche Grund: Der Pflastersteinboden auf dem Marktplatz wird erneuert. Die Maschinen, mit denen die Pflastersteine festgedrückt werden, erzeugen massive Schwingungen.

Pfeiffer sagt: „Derselbe Fußweg, der jetzt saniert wird, wurde von der Stadt schon vor einigen Jahren gemacht. Damals wurde falsches Material verwendet, Teile der kleine Pflastersteine platzten ab. Im Fußweg entstanden Löcher.“ Im Grundsatz ist die Apothekerin dafür, dass vor Ort etwas geschieht: „Wir finden ja schön und gut, dass es gemacht wird, aber wir hätten gern vorab die Patienten informiert. Die Stadt teilte uns mit, dass wir ja auf ihre Website hätten schauen können. Aber wer macht das schon? Zeitweise war der Haupteingang zur Apotheke überhaupt nicht passierbar, weil ein großer Stemmhammer im Einsatz war.“

Die Risse im Gebäude beunruhigen sie: „Wir gehen davon aus, dass sie von den Rüttelplatten verursacht wurden. Leider wurde vorher keine Baubegehung gemacht. Wir haben jetzt vorsichtshalber einen Rechtsanwalt eingeschaltet und fragen uns, wer größere Schäden bezahlen wird.“ Die Bauarbeiten in Köthen dauern bis zu sechs Monaten. „Im Augenblick ist Ferienzeit, auch einige Ärzte sind verreist, es ist ruhiger bei uns als sonst.“

Einen finanziellen Ausgleich wegen eines möglichen Verdienstausfalls könne die Apothekerin nicht erwarten, sagt ihr Rechtsanwalt Matthias Nollau aus Leipzig: „Wenn Sie einen Presslufthammer vor der Tür haben, dann ist das erst mal unangenehm. Aber der Weiterbetrieb ihrer Apotheke ist in seiner Existenz nicht gefährdet, darum können hier auch keine Schadensersatzleistungen geltend gemacht werden. Bauarbeiten und damit verbundene Einschränkungen müssen hingenommen werden. Anders sieht es aus, wenn durch die Baustelle Schäden am Gebäude entstanden sind. Das wird im Augenblick untersucht.“

Apothekerin Evdoxia Mesonichti-Brandenburger im baden-württembergischen Ketsch ist seit fast zwei Jahren von einer wandernden Riesenbaustelle umgeben. „Alles fing im September 2015 an, damals wurde direkt vor unserem Geschäft die Kanalisation gemacht. Danach begann der Bau eines großen Kreisels am Ende der Schwetzinger Straße. Das ist tödlich für meine Apotheke“, sagt die Unternehmerin. „Ich glaube nicht, dass die Bauarbeiten vor 2018 beendet sein werden. Ich kann so nicht überleben.“

Unterstützung bekommt sie von politischer Seite keine: „Ich war mehrmals beim Bürgermeister. Er teilte mir mit, dass ein gesundes Geschäft das überleben könnte.“ Mesonichti-Brandenburger hatte mit der Enderle-Apotheke ein gesundes Geschäft – bis die Bagger kamen. „Zu mir kommen viele ältere Menschen und es gibt fast keine Parkplätze mehr. Kürzlich hat jemand seinen Wagen drei Tage lang vor der Apotheke geparkt. Als ich ihn darauf angesprochen und gebeten habe, er möge das nicht mehr tun, reagierte er mit Unverständnis.“

Natürlich darf auf einem öffentlichen Parkplatz jeder parken, besonders sozial ist es in diesem Fall allerdings nicht, dringend benötigte Parkplätze vor einer Apotheke tagelang zu blockieren. „Die älteren Leute brauchen den Parkplatz ja nur zehn Minuten“, erläutert die Apothekerin.

Der monatelange Stress und Ärger rauben ihr zunehmend die Energie. „Ich hatte Knieprobleme, drei Operationen.“ Für 16 Stunden in der Woche hat sie nun zur Unterstützung, während sei krankheitsbedingt ausfällt, eine Apothekerin eingestellt. „Die Geschäfte laufen schlecht, mehr kann ich mir nicht leisten.“ Ihre drei anderen Mitarbeiterinnen, eine PTA und zwei Helferinnen, haben aus Solidarität ihre Arbeitsstunden heruntergefahren. „Wenn es der Apotheke besser geht, arbeiten sie wieder mehr Stunden.“

Mesonichti-Brandenburger versucht, optimistisch zu bleiben, aber die Realität ist unerbittlich: „Es kommen viel weniger Kunden, die Laufkundschaft bleibt natürlich ganz weg. Ich kann nichts dagegen machen. Und es gibt auch keinen Fonds, der die Geschäfte finanziell unterstützt.“ Auch der Bäcker und der Metzger in ihrer Straße leiden unter den Auswirkungen der Bauarbeiten.

Mut machen ihr ihre Stammkunden: „Die kommen trotzdem immer noch zu mir.“ Ihr Baustellen-Mantra: „Ich habe zwei Jahre durchgehalten, ich schaffe hoffentlich auch noch den Rest.“ Jede noch so kleine Verbesserung ist für sie und ihr Team ein Hoffnungsschimmer: „Am Anfang der Bauarbeiten gab es eine Phase, in der alles zu war und man überhaupt nicht in unsere Straße fahren konnte." Apotheker sind, so scheint es, unerschütterliche Optimisten.

Auch im westfälischen Lotte-Büren ist die Treue der Stammkunden Trost in schwierigen Zeiten. „Die Laufkundschaft fehlt, wir haben nur noch geringen Handverkauf“, sagt Apothekerin Anke Marx. Aber das ist nur ein Problem von vielen, seit der Berliner Platz vor ihrer Westfalen-Apotheke restauriert wird. „Der große Platz wird neu gepflastert“, erzählt sie. Grundsätzlich eine gute Nachricht. Leider hat die Stadt auch hier „vergessen“, die Anwohner und Gewerbetreibenden zu informieren.

Marx verzeichnet bisher einige tausend Euro Umsatzeinbußen, ihre Apotheke ist je nach Stand der Bauarbeiten mal besser, mal weniger gut zu erreichen. „Wie sollen Ältere mit Rollator oder Menschen mit Stock den Weg schaffen“, fragt sie. Zu den Pflasterarbeiten kam eine unangekündigte Schacht-Freilegung unter dem Eingangsbereich der Apotheke. „Die Bauarbeiten sind eine enorme Belastung für die Gewerbetreibenden am Berliner Platz“, sagt die Apothekerin. Derzeit ist ihre Apotheke nur durch eine zwei Meter breite Rampe betretbar. Eine Herausforderung für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind.

Baubeginn war am 1. Mai. „Das Betriebsergebnis im Mai war katastrophal. Wir erhalten keinen finanziellen Ausgleich. Ich habe diese Apotheke vor 19 Jahren eröffnet, nun ist meine Existenz bedroht. Wir haben schon genug zu kämpfen, nun gibt es die Baustelle quasi noch oben drauf. Ein Nachbar von uns hat zum Beispiel vor einigen Monaten erst einen Kiosk übernommen. Auch das Blumengeschäft nebenan und der Friseur sind deutlich in ihrer Existenz bedroht.“

Sie hofft, dass sie ihre sechs Mitarbeiter halten kann. „Sie haben schon ihre Arbeitsstunden reduziert. Noch weniger kann man beim besten Willen nicht einsparen.“ Am Berliner Platz in Lotte hoffen alle nur eines: Dass die Baustelle bald ein Ende hat.

Auch im unterfränkischen Bad Königshofen hat Apotheker Michael Weigand seine liebe Not mit Bauarbeiten vor der Haustür seiner Stadt-Apotheke. Sie hat zwei Eingänge, am Hintereingang befinden sich die Parkplätze – und die Baustelle. „Die benachbarte Sparkasse lässt sich eine Wärmeleitung legen“, erzählt er.

Vor Ostern war Baubeginn: „Im August sind die Arbeiten hoffentlich beendet.“ Er beschreibt die aktuelle Situation mit zwei Worten: „Wir weinen.“ Die Bauarbeiten werden abschnittsweise ausgeführt, danach muss das Pflaster zehn Tage „ruhen“.

Die Zufahrtsmöglichkeiten zur Stadt-Apotheke wechseln ständig. „Wenn die Leute erst mal denken, oh, da ist eine Baustelle, dann kommen sie nicht mehr. Sie sagen sich: In diese Straße fahre ich besser gar nicht hinein.“ Anfangs hat er es mit Rabattaktionen probiert, die nicht funktionierten, weil viele Kunden ausblieben. „Drei Viertel der Kunden kommen, wenn sie wissen, dass sie einen Parkplatz finden.“ Wie seine baustellengeplagten Kollegen freut auch er sich über das Verhalten seiner Stammkunden: „Sie bemühen sich, zu uns zu gelangen. Die Kundentreue ist super, das freut uns.“

Ein kleiner Hoffnungsschimmer kommt von der Park-Apotheke im nordrhein-westfälischen Arnsberg-Neheim. „Die Baustelle in der Stembergstraße nähert sich dem Ende“, posten die Mitarbeiter auf Facebook. Verbunden mit einer Einladung an die Kunden: „Die letzten Schönheitsreparaturen werden geleistet und dann können Sie sich selbst überzeugen, wie sich die neue Straße befahren lässt.“

 
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