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Staatsanwalt lässt Apotheker laufen

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Berlin -

Beraten statt bestraft: Vor einem Jahr wurde Eugene van E. in erster Instanz vom Vorwurf des Steuerbetrugs freigesprochen. Knapp zwei Millionen Euro soll der Apotheker aus Chemnitz mit vermeintlich grenzüberschreitendem Versandhandel hinterzogen haben. Obwohl die Staatsanwaltschaft mit der Entscheidung des Landgerichts (LG) mehr als unglücklich war, wurde die Revision jetzt zurückgenommen.

Im Strafverfahren konnte E. das Gericht überzeugen, dass es ihm nie darum gegangen sei, den deutschen Fiskus um Steuern zu betrügen. Vielmehr habe er einen Wettbewerbsvorteil auf dem deutschen Markt durch Nutzung der Rabattmöglichkeit auf Medikamente in den Niederlanden angestrebt, so die Richter in ihrer für viele Apotheker provokanten Urteilsbegründung. Weil auch seine Berater überfordert waren, sei dem Apotheker keine Schuld anzulasten.

Die Staatsanwaltschaft hatte E. Steuerhinterziehung in acht Fällen vorgeworfen und drei Jahre Haft gefordert. Mit dem Freispruch wollten sich die Ankläger nicht zufrieden geben; sie legten daher umgehend Revision ein. Doch dieses Rechtsmittel wurde jetzt zurückgenommen: „Die Revision wurde nach umfangreicher Prüfung der Urteilsgründe mangels Erfolgsaussichten zurückgenommen“, so eine Sprecherin.

Nun muss die Landesapothekerkammer prüfen, ob der Fall einen sogenannten berufsrechtlichen Überhang hat, ob E. also noch mit Konsequenzen rechnen muss, weil seine Vergehen die Ausübung des Berufs tangieren. Falls nicht, würde der Apotheker straffrei davon kommen.

E. war in den 1990er Jahren nach Chemnitz gekommen. Zuvor hatte der gebürtige Niederländer als Berater in München für einen Pharmahersteller gearbeitet; aus der Abfindung wollte er in Sachsen Ärztehäuser nach dem Vorbild der Polikliniken aufziehen – mit der Absicht, dort jeweils Apotheken zu etablieren. Er gründete mehrere Ärztehäuser und arbeitete mit etwa 70 Ärzten zusammen, darunter auch Onkologen, die er auch mit Sterilrezepturen belieferte. Insgesamt betrieb er 17 Unternehmen in vier Ländern.

Als der Versandhandel zugelassen wurde, gründete er 2005 die Versandapotheke Postpills in Amsterdam. Kunden konnten Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel erhalten, wenn sie einen Fragebogen zu ihrem Wohlbefinden ausfüllten. Wer viele hochpreisige Rx-Artikel bestellte, konnte so bis zu 25 Euro sparen. Später wurde das Bonusmodell auf Treiben der Apothekerkammer verboten.

Tatsächlich war Postpill nur teilweise in den Niederlanden aktiv. Ihren operativen Sitz hatte die Versandapotheke in Geschäftsräumen im ersten Obergeschoss über seiner Apotheke am Flughafen in einem Neubaugebiet in Chemnitz. Hier wickelten die Beschäftigen der Apotheke die Annahme und Versendung der Waren sowie die Durchführung des Geschäftsbetriebes der Versandapotheke ab. Im Januar 2007 wurde dieser Umstand bei einer Inspektion durch das Regierungspräsidium Leipzig entdeckt. Die Geschäftstätigkeit für Postpills wurde mit sofortiger Wirkung untersagt.

Der deutsche Sitz war aber auch für die Abrechnung von Rezepten wichtig. Anders als sein Vorbild DocMorris sah sich E. nicht in der Lage, mit den Kassen Einzelverträge zu schließen – erst ab 2009 konnten EU-Versender dem Rahmenvertrag beitreten. Im März 2005 beantragte E. für Postpills ein Institutionskennzeichen (IK) und beauftragte die VSA mit der Abrechnung. Voraussetzung hierfür war jedoch nicht nur das IK, sondern auch ein Sitz der abrechnenden Apotheke in Deutschland.

Die Vereinbarung mit der VSA sah darüber hinaus einen Warenumsatz von etwa einer Million Euro pro Jahr vor. Trotz Flyerwerbung und Rx-Bonus erreichte Postpills dieses Volumen anfangs nicht, sodass E. gelegentlich Rezepte über kostenintensive onkologische Arzneimittel über die Versand- statt seine Vor-Ort-Apotheke abrechnete. Vor Gericht bezeichnete er das als „Schieberezepte“ – er sei davon ausgegangen, dass er dazu als Alleineigner sämtlicher beteiligter Unternehmen berechtigt gewesen sei.

Laut Gericht verstand er Postpills bis zur Inspektion durch das Regierungspräsidium als „eine Art Filiale der Apotheke am Flughafen“ und meinte, dass ein wirtschaftlicher Ausgleich durch entsprechende Buchführung erfolgen werde. Steuerrechtliche Fragen, insbesondere mit Blick auf den Auslandsbezug, hätten sich ihm überhaupt nicht gestellt. Dafür habe er ja seine Berater gehabt.

Tatsächlich hatte E. mehr als ein halbes Dutzend Steuerberater mit der Abwicklung seiner Buchführung beauftragt, teilweise renommierte internationale Kanzleien. Die Zuständigkeiten wurden je nach Firmensitz streng getrennt, E. wollte nach eigenem Bekunden verhindern, dass seine Berater sich aus der Verantwortung stehlen konnten.

Seine drei Apotheken in Sachsen wurden von der Treuhand Hannover betreut. Die zuständige Sachbearbeiterin bemerkte 2006 die Umsätze der Versandapotheke und wollte diese beim zuständigen Finanzamt Kleve anmelden. Doch E. pfiff sie zurück: Sein niederländischer Berater werde sich um die Angelegenheit kümmern. Der jedoch war überfordert – erst im Herbst 2007 kam Bewegung in die Sache, als eine von einer kreditgebenden Bank eingesetzte Kanzlei auf den Sachverhalt aufmerksam machte.

Eine Verrechnung zwischen den beiden Firmen gab es nicht. Vor Gericht sagte die Mitarbeiterin der Treuhand aus, sie habe die offenbar für die Versandapotheke eingekauften Waren als Privatentnahme gebucht. Der Berater der ebenfalls auf Apotheken spezialisierten Kanzlei aus den Niederlanden gab an, er habe den Wareneinsatz bei Postpills aufgrund seiner Erfahrung geschätzt und entsprechend gebucht.

Obwohl er anhand der VSA-Gutschriften auf den Kontoauszügen bereits 2005 hätte erkennen können, dass es sich um Umsätze mit deutschen Kunden handelte, rechnete er die Umsatzsteuer in den Niederlanden ab. Dem – von den Kassen vereinnahmten – deutschen Satz von 19 Prozent stellte er den günstigeren Satz von 6 Prozent gegenüber.

Im Endeffekt prellte E. den deutschen Fiskus um Umsatz-, Gewerbe- und Einkommenssteuer – welcher Schaden den Kassen entstand, ist nicht bekannt. Der Staatsanwaltschaft zufolge sind knapp drei Jahre lang falsche oder teilweise gar keine Steuererklärungen abgegeben worden. Der Schaden soll bei mehr als 1,9 Millionen Euro gelegen haben.

Das LG Chemnitz sprach ihn trotzdem vom Vorwurf der Steuerhinterziehung frei. Die Richter waren von seiner Unschuld überzeugt: Er sei stets davon ausgegangen, dass er sich rechtskonform verhalten habe. Von seinen steuerlichen Beratern, die er umfassend über seine Geschäftstätigkeit informierte, sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass Teile seines generierten Umsatzes in Deutschland statt in den Niederlanden zu versteuern gewesen waren.

Seine Berater – insbesondere die Treuhand – hätten die wirtschaftlichen und damit steuerlichen Zusammenhänge nicht ausreichend erforscht und den Angeklagten nicht aufgefordert, zur Aufklärung beizutragen. E. wiederum habe bis Oktober 2007 „keinen Anlass gehabt, Zweifel an der zutreffenden Behandlung seiner Steuerangelegenheiten durch renommierte Beratungsgesellschaften, für deren Tätigkeit er von Anfang an erhebliche Geldbeträge aufbrachte, zu hegen“.

Als er die Unstimmigkeiten erkannt habe, habe er sich persönlich um Bereinigung bemüht und das zuständige Finanzamt Chemnitz Süd um „sachdienliche Hinweise“ zur korrekten steuerlichen Abrechnung gebeten. „Letztlich hat er, nachdem feststand, dass die Umsatzsteuer hier in Deutschland zu erklären war, dies auch getan und die Steuern nachgezahlt“, so eine Sprecherin.

Laut Gericht war E. „objektiv gar nicht in der Lage, die europaweit bestandenen steuerlichen Pflichten im Blick zu haben und selbst zu erfüllen“. Zwar habe der Apotheker 1985 an einer einjährigen Weiterbildung im Bereich der Betriebswirtschaftslehre – mit nur begrenztem Nutzeffekt – teilgenommen. Ihm sei aber nicht nachzuweisen gewesen, dass er „über ausreichende steuerliche und buchhalterische Kenntnisse verfügte, die steuerlichen Erklärungen selbst zu erstellen beziehungsweise die gefertigten Erklärungen mit all den Wechselwirkungen bei einer Auslandsberührung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und Fehlleistungen der Berater zu erkennen“.

Er sei also auf professionelle Hilfe angewiesen gewesen – habe also einem „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ unterlegen. Dass er so viele verschiedene Kanzleien engagiert hatte, sahen die Richter nicht als Manko, zumal es keinen Hinweis auf eine versuchte Vertuschung gegeben habe.

E. hat laut Gericht den Schwerpunkt auf den geschäftsmäßigen, unternehmerischen Bereich gelegt und die notwendigen steuerlichen Angelegenheiten, denen er „weder nach seiner Person noch seiner Ausbildung gewachsen war“, auf Fachleute zu delegieren gewusst. „Die Beauftragung spezialisierter Berater erfolgte in einem Umfang, der dem Wirtschaftsfeld des Angeklagten angemessen erscheint und für sich bereits gegen eine Betrugsabsicht spricht, da er nicht nur mit einem immensen Kostenaufwand zu realisieren war, sondern auch die Aufdeckung etwaiger Machenschaften fürchten lassen musste.“

Den Richtern zufolge stellte die Umsatzsteuerdifferenz mit Blick auf den unterschiedlichen Einkommensteuerhöchstsatz auch keinen ausreichenden Anreiz für einen Steuerbetrug mittels einer Versandapotheke dar. „Denn mit der Verlagerung der Gewinnseite in die Niederlande kam – nicht nur wegen des höheren Einkommensteuerhöchstsatzes – auch zugleich ein größerer Einkommensteueraufwand zum Tragen.“

In diesem Zusammenhang könne auch der „hinlänglich bekannte und die unternehmerische Entscheidung, eine Versandapotheke zu betreiben, beeinflussende Widerstand der deutschen Apothekerschaft gegen die Etablierung von Internet- und Versandapotheken nicht übersehen werden“. Dazu heißt im Urteil: „Maßgeblich für den Angeklagten war – trotz der mit der Umsetzung einer neuartigen Geschäftsidee verbundenen Unwägbarkeiten – der mit einer Versandapotheke zu erreichende Wettbewerbsvorteil gegenüber den etablierten deutschen Apotheken und nicht ein steuerlicher Anreiz.“

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