„Lieber impfen als Shampoos verkaufen“

So gut funktionieren Corona-Impfungen in der Apotheke Tobias Lau, 19.01.2021 14:58 Uhr

Impfen, impfen, impfen – bis zur Normalität: Inhaber Hasan Khan betreibt eine der sechs ersten Apotheken in England, die gegen Covid-19 impfen.
Berlin - 

Die Corona-Impfkampagne in Großbritannien läuft rund. Mehr als 3,5 Millionen Menschen wurden bereits geimpft und bald soll es noch schneller gehen: Hunderte Apotheken im ganzen Land sollen bald Impfungen durchführen. Die Apotheke von Hasan Khan im Londoner Vorort Edgware gehörten zu den sechs ersten in England, die Corona-Impfungen durchführen. In kürzester Zeit hat er seine Apotheke in eine Impfklinik umgewandelt: „Es ist gerade wichtiger, gegen Covid-19 zu impfen, als Shampoos zu verkaufen“, sagt er. Und er zeigt sich begeistert: Die Organisation laufe reibungslos, der Staat helfe großzügig und die Hilfsbereitschaft anderer Heilberufler sei beeindruckend.

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Khan hatte mit seiner Cullimore-Chemist-Apotheke eigentlich etwas andere Pläne. „Bereits vor der Pandemie hatten wir drei gesonderte Beratungsräume eingerichtet, um eine kleine Reiseklinik anzubieten“, erzählt er. An Reisen ist gerade nicht zu denken, eine kleine Klinik betreibt er mittlerweile trotzdem. Khans Betrieb gehört zu den ersten sechs Apotheken in Großbritannien, die Covid-19-Impfungen durchführen. Seit vergangenem Donnerstag ist das auf Initiative der Regierung in London hin möglich, um die Immunisierung der Bevölkerung noch schneller voranzutreiben.

„Die Apotheker haben die gesamte Pandemie über unermüdlich gearbeitet, waren dabei oft die erste Anlaufstelle für medizinischen – und sie waren oft dann noch offen, wenn alle anderen schon geschlossen hatten“, so Gesundheitsminister Matt Hancock bei der Verkündung des Programms. „Apotheken liegen im Herzen der meisten Kommunen und werden einen großen Unterschied bei der Durchführung unseres Programms machen, indem sie lokale, einfach zu erreichende Orte für diejenige darstellen, die Anspruch auf eine Impfung haben.“

Hancocks Plan: Als Pilotprojekt starten sechs Apotheken, die gleichmäßig über England verteilt sind. Und der Erfolgsfall tritt gerade ein, schon in den kommenden Tagen soll die Zahl um 200 weitere wachsen, um schließlich bei rund 700 zu liegen. „Im Wesentlichen soll es bald in jeder Stadt mindestens eine Apotheke geben, die gegen Covid-19 impft“, sagt Khan. Die sechs bisherigen Betriebe haben sich nämlich bisher behauptet, auch durch ihre Hands-on-Mentalität.

„Wir haben unsere Apotheke innerhalb von fünf Tagen umgebaut und sind nun sowas wie eine kleine Klinik verwandelt“, erzählt der Inhaber. „Wir haben alles auf die Impfungen ausgerichtet und dazu auch Verkaufsregale beiseite geräumt. Dadurch verkaufen wir natürlich gerade weniger als sonst, werden dafür aber vom NHS angemessen entlohnt.“ Der NHS, National Health Service und nationales Heiligtum der Briten, ist für die Durchführung der Impfkampagne in Apotheken zuständig und stellt sicher, dass die technischen Voraussetzungen dafür gegeben sind.

Der deutsche Apotheker mag sich die Augen reiben, aber nach Khans Darstellung spielen überbordende Bürokratie, Kompetenzstreitigkeiten und Debatten um die Höhe der Vergütung dabei keine Rolle. „Der NHS stattet uns komplett aus“, erzählt er. „Wir haben Kühlschränke für die Impfstoffe erhalten, kriegen regelmäßig Verbrauchsmaterialien und Persönliche Schutzausrüstung geliefert, es ist sogar jemand gekommen und hat uns hier fünf Computer samt Software installiert, um Buchhaltung und Terminvergabe durchzuführen und so weiter.“

Der Impfstoff werde jeden Mittwoch zentral angeliefert: Jede Apotheke erhält wöchentlich 120 Vials des Impfstoffs von AstraZeneca, der anders als die Biontech-Vakzine nicht bei -80 Grad Celsius tiefgekühlt und zur Konstitution auch nicht verdünnt werden muss. Eines hat er jedoch mit Comirnaty gemeinsam: die Überfüllung. „Jedes Vial hat eine garantierte Mindestmenge von zehn Impfdosen, aber man kann fast immer noch mindestens eine Dosis mehr herausziehen, manchmal sogar zwei. Das tun wir natürlich auch“, erklärt Khan.

„Wir kalkulieren damit, dass wir allein aus der ersten Lieferung 1400 Dosen verimpfen können.“ Auf diese Zahl komme er in der ersten Woche mit Sicherheit – und erklärt das auch stolz: „Wir können in der gleichen Zeit viermal so viele Menschen impfen wie Hausärzte, die zusätzlich noch allerlei andere Patienten versorgen müssen. Wenn jetzt noch im ganzen Land Hunderte hinzukommen, sind das hunderttausende Impfungen pro Woche allein in den Apotheken.“

Und Khan arbeitet hart, um das zu gewährleisten: von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends impft seine Apotheke – sieben Tage die Woche. Das Material dafür hat er vom Staat, das qualifizierte Personal musste er selbst besorgen. Und das war einfacher als gedacht: „Wir haben in sozialen Medien einen Aufruf gestartet, dass wir Helfer brauchen. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir unzählige Rückmeldungen und konnten ein Team aus Ärzten, Zahnärzten, Krankenschwestern, Hebammen und anderen Freiwilligen zusammenstellen, die uns ehrenamtlich neben ihrem eigentlichen Beruf unterstützen“, erzählt er. „Die Leute haben Corona einfach satt und wollen einen Beitrag leisten, damit das so schnell wie möglich vorüber geht.“

Unterstützung kann sein Team dabei gut gebrauchen, denn mit Impfen und Verbuchen ist es nicht getan, zahlreiche organisatorische Fragen kommen im Windschatten mit. „Wir haben beispielsweise Freiwillige, die dafür sorgen, dass die Menschen in der Schlange die Sicherheitsabstände einhalten, oder die den Ankommenden Parkplätze zuweisen.“

Mit der Bürokratie habe er bei alldem keine Probleme, beteuert er. „Der NHS hat gerade viele Prozesse beschleunigt und Regulierungen für die Zeit der Pandemie vereinfacht, um einen schnellen und reibungslosen Ablauf zu gewährleisten“, sagt er.

Bleibt nur noch die Frage nach dem Geld – da könne er sich überhaupt nicht beschweren. Für Material und Personal fallen keine Kosten an, pro Impfung erhalte er 12,50 Pfund (14 Euro). „Das deckt alle Ausgaben und Einbußen ab, wir haben sogar noch genug Geld, um allen Helfern die ganze Zeit Kaffee und Snacks zu bezahlen“, scherzt er.

„Natürlich läuft auch mal etwas nicht ganz rund, wenn man so ein großes Projekt auf die Beine stellt, aber allein die Zahl der Impfungen, die wir bisher durchgeführt haben, spricht doch für sich. Wir werden jetzt einfach die nächsten Monate impfen, impfen und nochmals impfen, bis das Land endlich zur Normalität zurückkehren kann.“