Nachtdienstgedanken

Pille danach: „Die ist ja schon wieder teurer geworden!“

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Berlin -

Wenn das Arbeiten zu einer körperlichen sowie geistigen Herausforderung wird und die Reaktionsgeschwindigkeit abnimmt, wenn man statt eines „Danke, dass Sie da sind“ ein „Sie sind doch eh da“ hört, kann es nur Zeit für die Apotheke sein – willkommen im Nachtdienst!

Diesmal habe ich mir vorgenommen, weder Rezepte zu kontrollieren noch irgendwas anderes zu machen. „Du musst auch mal abschalten!“, sagt Max. „Ich habe da was vorbereitet. Heute schauen wir uns Filme deines Lieblingsschauspielers an.“ Während er in die Küche läuft und mich mit Popcorn und Tapas überrascht, bereite ich das Nachtdienstzimmer vor. Hin und wieder stehe ich zwar auf, weil Kunden wegen gängigen Notdienst-Wünschen wie Schmerztabletten und Nasenspray klingeln. Dennoch träume ich von einer ruhigen und entspannten Nacht.

Dingdong! Die Klingel läutet gefühlt fünfmal, Max ist im Tiefschlaf. Im Fernsehen läuft inzwischen die Wiederholung des Filmes, den wir uns angeschaut hatten. Ich schaue auf die Uhr, es ist kurz nach drei! Es klingelt wieder. Oh nein, der Kunde wartet auf mich! Schnell muss ich mich Richtung Tür bewegen, doch ich bin antriebslos und mental nicht ganz dabei.

Ein Mann kam mit einem Rezept vom Bereitschaftsdienst. Der Arzt hatte Nadroparin verordnet, was wir nicht an Lager haben. Mir war klar, dass ich nun anrufen muss. Auf der Verordnung war eine Handynummer zu erkennen. Im Halbschlaf gebe ich die Zahlen ein, nach dem zweiten Versuch habe ich es geschafft. „Stephan“, sagt der Mediziner. „Hallo Stephan, es gibt ein Problem. Wir haben nur Enoxaparin da. Kann er das auch nehmen?“, frage ich. „Der Patient hat einen kräftigen Körperbau, dann geben Sie ihm doch bitte die 40-mg-Spritzen mit dem Wirkstoff Enoxaparin mit. Danke.“ Ich hoffe, Herr Dr. Stephan hat mir meine Anredeform nicht übel genommen.

Nach einem Glas Wasser lege ich mich erstmal hin, der Dienst zehrt heute an meinen letzten Energiereserven. Doch die Ruhe hält nicht lange an. Um 4.55 Uhr klingelt es erneut. Diesmal steht eine junge Dame vor der Tür. „Gute Nacht“, zwinge ich mich zu sagen. Denn die Nacht alles andere als gut. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich brauche die Pille danach“, sagt sie. „Wann ist es passiert?“, möchte ich wissen. „Um 2.20 Uhr.“ So genau wollte ich es das eigentlich nicht wissen. Nach Abklärung einiger Fragen habe ich das Arzneimittel aus der Schublade geholt. „Inklusive Notdienstgebühr sind das dann 35 Euro, bitte“. „Die ist ja schon wieder teurer geworden!“, beklagt sie. Letztens habe sie noch 30 Euro bezahlt. „Für eine Tablette kann man doch nicht so viel Geld ausgeben. Können Sie mir diese unschlüssige Preisentwicklung erklären?“, sagt die Frau fordernd.

„Ich werde Ihnen morgens um diese Uhrzeit sicherlich keine Einführung in die Warenwirtschaft geben“, gebe ich ihr zu wissen. Und dann noch die Notdienstgebühr? Sie hätte „noch nie“ 2,50 Euro im Notdienst aufbringen müssen. „Im Krankenhaus bezahlt man schließlich auch nicht für einen Notfall!“ Weiterhin versuche ich ihr vergeblich klar zu machen, dass das ein Notfallmedikament und nicht für den regelmäßigen oder gar dauerhaften Gebrauch geeignet ist. Ich gebe ihr das Präparat mit. „Sie wollen doch nur Kasse machen“, kommentiert sie und geht. „Was gibt es denn wieder im Notdienst zu diskutieren?“, sagt Max, der wegen der lebhaften Debatten wach wurde. „Bitte frag nicht nach“, bemerke ich antrieb- und emotionslos. Mit meiner letzten Kraft werfe ich mich auf das Bett und hoffe, wenigstens zwei Stunden ungestört schlafen zu dürfen.

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