Personalmangel

„50 Prozent über Tarif ist die Regel“

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Berlin -

Der Personalmangel ist in den meisten Apotheken bereits deutlich spürbar: Jeder zweite Inhaber hat Probleme bei der Besetzung offener Stellen. So geht es auch einem Apotheker aus einer ländlichen Region in Süddeutschland. Seit Monaten sucht er vergeblich einen Approbierten – erfolglos. Jetzt hat er eine Personalagentur eingeschaltet.

Der Schritt ist ihm nicht leicht gefallen. Immerhin ist das Honorar ist mit einem fünfstelligen Betrag überdurchschnittlich hoch: „Aber meine Personalnot ist so groß, ich versuche es jetzt auch diesem Weg.“ Seine bisherigen Erfahrungen bei der Personalsuche haben ihn ernüchtert. Die meisten Bewerber hätten es nur auf höheres Gehalt abgesehen.

„Unter 20 Prozent Aufschlag auf das Tarifgehalt kommt keiner mehr“, so der Apotheker. Erlebt hat er sogar schon Forderungen über Zuschläge von bis zu 70 Prozent. In der Regel einige man sich dann auf 40 bis 50 Prozent über Tarif. „Bei einem Tarifgehalt von gut 3600 Euro monatlich für einen Apotheker mit ein paar Jahren Berufserfahrung geht es dann schnell um 800 bis 1500 Euro monatlich.“

Trotzdem findet er seit Monaten keinen Bewerber. Weil die Grenze zur Schweiz nicht weit ist, zieht es viele deutsche Apotheker wegen der noch besseren Bezahlung ins Nachbarland. Apotheken in der Region hätten schon schließen müssen, weil kein Nachfolger zu finden gewesen sei, sagt er.

Seine ersten Erfahrungen mit der Personalagentur waren zwiespältig. Der Ansprechpartner sei sehr forsch gewesen. Das hat den Apotheker gestört. Aber immerhin wurde nach kurzer Zeit ein junger Bewerber aus Deutschland in die Apotheke geschickt. Der sei aber eigentlich gar nicht auf Jobsuche gewesen. Der Bewerber sei von der Agentur angefragt worden, habe sich gewundert und sei aus Interesse und Neugier zum Vorstellungsgespräch gekommen. „Wir hatten ein nettes und sympathische Gespräch.“

Mehr kam zunächst nicht dabei heraus. Der junge Apotheker versprach, sich das Angebot durch den Kopf gegen lassen. Die Antwort steht noch aus – ebenso wie die Einschätzung, ob sich der hohe Preis für die Personalvermittlung bezahlt macht. Ob und wann weitere Anwärter von der Agentur geschickt werden, weiß der Apotheker noch nicht.

Die Personalnot drückt nicht nur im Süden: Auch in Brandenburg schlagen die Apotheker Alarm. Auch Kammerpräsident Jens Dobbert wird mit seiner Apotheke in Cottbus nicht fündig: „Ich suche zwei Apotheker. Ich finde niemanden“, beklagte er im Februar. So wie ihm gehe es vielen Apothekern im Lande: „Es ist ein ganz akutes Problem, das immer heftiger wird.“ In der Landeshauptstadt Potsdam merke man das vielleicht nicht. „Aber in der Lausitz oder in der Uckermark schon“, so Dobbert. Brandenburg gehört in seinen ländlichen Regionen zu den sehr dünn besiedelten Gebieten in Deutschland.

Eine Umfrage von APOSCOPE, dem Panel von APOTHEKE ADHOC, zeigt, wie ernst das Problem ist: 36 Prozent der Inhaber gaben an, dass bei der Personalsituation am meisten Verbesserungsbedarf besteht – mehr als bei den Punkten Prozesse/Abläufe (35 Prozent) und Bezahlung (17 Prozent). Bei den Angestellten sehen immerhin 30 Prozent die Personalsituation als dringendstes Problem; während PTA sich vor allem mehr Geld wünschen, sehen die meisten Approbierten Verbesserungsbedarf bei der internen Organisation. Insgesamt nahmen 306 Panelisten an der Umfrage teil.

Einer APOSCOPE-Umfrage aus dem Oktober zufolge gelingt es nur in jeder fünften Apotheke, offene Stellen schnell wieder zu besetzen: 46 Prozent haben dagegen Probleme bei der Suche. Von den insgesamt 466 Teilnehmern empfanden 39 Prozent der Teilnehmer die Personalsituation als angespannt oder sehr angespannt. Für ein weiteres Drittel traf dies zumindest teilweise zu. Dagegen empfand nur jeder Vierte die Personalsituation nicht als angespannt. In einigen Apotheken scheint die Situation geradezu gravierend zu sein: Fast 20 Prozent stimmten der Aussage vollkommen oder überwiegend zu, in ihrer Apotheke werde bereits im „Notbetrieb“ gearbeitet.

Der Personalmangel spiegelt sich auch in den Einkommensverhältnissen wider. 54 Prozent der Approbierten und 45 Prozent der PTA werden laut Umfrage über Tarif bezahlt, viele erhalten zusätzlich leistungsorientierte Boni oder sonstige zusätzliche Leistungen. Viele Inhaber tun darüber hinaus etwas für ihre Mitarbeiter: Weihnachtsgeld wird in 78 Prozent der Apotheken gezahlt. In drei von vier Apotheken gibt es Inhouse-Schulungen, in gut jedem dritten Betrieb wird auch externe Fortbildung auf die Arbeitszeit angerechnet. In fast jeder zweiten Apotheke gibt es zudem öfter Teammeetings, in jeder dritten sogar gemeinsame Ausflüge.

Als Reaktion auf den Notstand setzen Apotheker vermehrt auf ausländische Kollegen: Gerade einmal zwei Monate arbeitete beispielsweise Isabel De Miguel Madronero in ihrem Beruf als Apothekerin in Madrid. Dann wagte sie den Sprung ins kalte Wasser und zog nach Bremerhaven. „Ich hatte schon immer Fernweh“, berichtete die junge Spanierin. Bereits zuvor sei sie viel gereist. Während ihres Pharmaziestudiums habe sie im Rahmen des Erasmus-Programms ein halbes Jahr in Frankreich verbracht. Nun sollte es eben Deutschland werden. „Ich wusste, wenn ich das jetzt nicht mache, dann mache ich es nie“, sagte sie.

Angekommen ist sie in der Sander-Apotheke von Thomas Anthes. Die Idee, Apotheker aus dem EU-Ausland nach Bremerhaven zu holen, hatte Anthes bereits seit längerer Zeit. „Vor einiger Zeit war eine Apothekerin aus Slowenien im Rahmen des Erasmus-Programms bei uns”, erinnerte er sich. Man habe gute Erfahrungen mit ihr gemacht. Irgendwann habe er eine E-Mail eines Kollegen bekommen, der Apotheker aus Spanien vermittelt. Dass Anthes in Spanien nach Fachkräften hat suchen lassen, liegt ebenfalls am Bewerbermangel in der Region. „Zuletzt habe ich im Schnitt ein Dreivierteljahr gebraucht, um eine Stelle nachzubesetzen”, berichtete er. „Deshalb wollte ich einen anderen Weg ausprobieren.”

Aber die Integration ins Apothekenteam läuft nicht von selbst: „Wer denkt, dass man jemanden bekommt, den man in die Apotheke stellt und dann läuft es von allein, irrt sich gewaltig”, mahnte der Apotheker. Vielmehr binden die neuen Kollegen am Anfang vor allem personelle Ressourcen. „Man muss jemanden abstellen, der sich engmaschig um sie kümmert.” Das könnten eben nicht alle Apotheken stemmen. Für Kollegen, die die nötigen und personellen Ressourcen hätten, seien Apotheker aus dem Ausland eine echte Chance, das Team mit qualifizierten Fachkräften zu verstärken, sagte Anthes: „Sie sind motiviert und engagiert, auch weil sie sich ganz bewusst für diesen Schritt entschieden haben.”

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