Kommentar

Pandoras Rezeptbox Alexander Müller, 23.04.2020 15:30 Uhr

Rezeptsammelstellen gibt es bis jetzt nur für die Versorgung entlegener Orte. Das könnte sich nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bald ändern. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Verfügt eine Apotheke über eine Versanderlaubnis, darf sie in ihrem Einzugsgebiet Rezepte sammeln und die Arzneimittel mit ihrem eigenen Botendienst ausfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hält das für eine Spielart des Versandhandels – und für ungefährlich. Sprengkraft hat dieses Urteil, aber keine Zukunft, kommentiert Alexander Müller.

Wie oft wurde schon über die Einrichtung einer Rezeptsammelstelle gestritten? Diese meist recht schmucklosen Briefkästen werden in besonders entlegenen Gebieten aufgebaut und von einer Apotheke in der Nähe betrieben. Erlaubt nur bei wirklichen Engpässen und die Auflagen sind streng – manchmal wird die Strecke zur nächsten Apotheke behördlich abgefahren, um den vorgeschriebenen Mindestabstand zu überprüfen.

Dieses Herumgegurke kann man sich nach dem Urteil des BVerwG künftig sparen. Möchte eine Apotheke in einem kleinen Dorf Rezepte sammeln, kann sie im womöglich letzten verbliebenen Gewerbetrieb einfach eine Box aufstellen. Sie benötigt dazu nur eine Versanderlaubnis, auch wenn anschließend keine Arzneimittel versendet, sondern gebracht werden.

In einem Punkt muss man den Leipziger Richtern recht geben: Wenn statt des DHL-Fahrers der Bote der Apotheke die Arzneimittel ausfährt, ist das bestimmt nicht unsicherer. Insofern kann man die verpflichtende Einschaltung eines externen Dienstleisters tatsächlich nur aus grundsätzlichen Erwägungen einfordern. Denn zumindest eine deutsche Versandapotheke ist immer auch Präsenzapotheke und kann deshalb auch einen lokalen Botendienst nutzen.

Die Folgen des Urteils könnten aber weitreichend sein: Die Rezeptsammlung kann damit als gezieltes Wettbewerbsinstrument genutzt werden. Dem ungeliebten Konkurrenten wird eine Sammelbox in den benachbarten Supermarkt gestellt, Rezepte und OTC-Bestellungen abgefischt. Das wird bestimmt kein flächendeckendes Problem werden, aber öfter als in Einzelfällen werden verfehdete Apotheker zu diesem Mittel greifen. Ob den Verbrauchern oder der Arzneimittelversorgung damit wirklich geholfen ist? Auch im Ausgangsstreit ging es mitnichten darum, eine Versorgungslücke zu schließen.

Das Bundesverfassungsgericht bleibt seiner Linie einer weiten Definition des Arzneimittelversandhandels treu. Schon 2008 fanden es die Richter normal, dass eine niederländische Versandapotheke in Drogeriemärkten Rezepte einsammelt und die Medikamente gleich in die sachkundigen Märkte zur Abholung liefert. Das Konzept hat zwar nicht überlebt, könnte aber bald Nachahmer auf lokaler Ebene finden.

Ob die Sammelboxen wirklich Zukunft haben, darf bezweifelt werden. Denn mit der bevorstehenden Einführung des E-Rezepts werden sich ganz neue Möglichkeiten auftun, möglichst früh nach dem Arztbesuch an die Verordnung zu kommen. Und in ein paar Jahren trifft man sich dann wieder in Leipzig und verhandelt über das Wesen der Arzneimittelversorgung.