Kommentar

Null-Retax = Null-ErBarmen Nadine Tröbitscher, 24.04.2018 10:12 Uhr

Berlin - 

Missachtet ein Fußgänger die Rote Ampel, wird eine Strafe von fünf Euro fällig. Wer bei Rot geht und einen Unfall verursacht, zahlt zehn Euro. Missachtet ein Apotheker das Aut-idem-Kreuz oder den Rabattvertrag, kann die Strafe deutlich höher ausfallen. Dann bezahlt er sozusagen gleich die ganze Ampelanlage. Dass ihn das die Existenz kosten kann, beeindruckt die Kassen nicht.

Apotheker stehen nicht nur mit einem Bein im Gefängnis, sondern zusätzlich am Abgrund. Einen Fallschirm gibt es nicht, auf Rettung aus Kulanz dürfen Apotheker nicht hoffen. Jede kleine Unachtsamkeit kann bestraft werden und den Stoß in den Abgrund bedeuten.

Den Ritterschlag für den Schubs haben die Kassen vom Bundessozialgericht erhalten. Denn nach dem Urteil aus Kassel verlieren Apotheker den Vergütungsanspruch, wenn der Rabattvertrag der Kasse nicht bedient wird. Die Nullretax ist also Berufsrisiko, wenn der Apotheker seine Pflichten nicht erfüllt. Kassen müssen für „nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nicht zahlen“, urteilten die Richter.

Wie aber sollen Apotheker im Wirrwarr von Arzneimittelrichtlinien, Anlagen, Verträgen, Präqualifizierungen und Ausnahmen von Ausnahmen noch wissen, was vertragskonform ist. Die Aut-idem-Regelung ist ohnehin verwirrend. Vor jedem Arzneimittel ist das Kästchen „oder das Gleiche“ zu finden – ist es angekreuzt, wird der Austausch verhindert. Verkehrte Welt, denn sonst bedeutet ein Kreuz stets Zustimmung. Apotheker und Ärzte müssen also umdecken. Das Kreuz gilt jedoch nicht immer. Nur beim Austausch von Original und Generikum, nicht bei Original und Reimport – wieder umdenken! Dann gilt aber nicht jedes „Gleiche“, sondern nur was die Kasse als gleich befindet und in einem Rabattvertrag festhält.

Auf der anderen Seite heißt es in der Vereinbarung zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und Kassen: Kein Schaden, keine Retax. Aber worin und bei wem sich ein Schaden materialisiert, ist nicht definiert! Der Patient wurde mit dem richtigen Wirkstoff in der richtigen Dosierung und Darreichungsform versorgt. Der Kasse entgeht im schlimmsten Fall der Rabatt. Weil der aber geheim bleiben soll, zahlt die Apotheke den gesamten Deckel.

Kulanz? „Kulanz ist schön, aber ich nehme lieber das Geld“, sagt einmal ein Retax-Mitarbeiter in vertrauter Runde. Der Apotheker bleibt auf den Kosten sitzen, die Kassen sparen und bauen ihr finanzielles Polster aus. Vor allem wenn es um Hochpreiser geht, kann die Disziplinarmaßnahme existenzbedrohend sein. Von einer ungerechtfertigten Bereicherung müsste die Rede sein, denn diese ist definiert, dass jemand (= Kassen) durch die Leistung eines anderen (= Apotheke) einen finanziellen Vorteil erlangt. Nur das haben die Richter in Kassel irgendwie ausgeblendet.

Ein finanzieller Vorteil auf rechtlicher Grundlage also. Für die Apotheke Selbstmord in Raten. Unbezahlte Leitung kann bei kleineren Beträgen erst ein Körperteil kosten und bei Hochpreisern den Todesstoß bedeuten. Auch das wäre ein Thema, wenn wir über die GKV-Finanzreserven reden, lieber Jens Spahn.