Frischer Wind in Adlershof

Junger Apotheker übernimmt Bienfaits Apotheke Alexandra Negt, 12.07.2020 15:13 Uhr

Berlin - 

Seit Juni weht in der Adler-Apotheke in Berlin Adlershof ein frischer Wind. Apotheker Oscar Lienau hat den Betrieb von Dr. Rainer Bienfait übernommen. Der ehemalige Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins (BAV) hat den Ruhestand angetreten. Lienau, der zuvor in einer Apotheke mit Rezeptur-Schwerpunkt gearbeitet hat, will die Herstellung von Dermatika & Co. jetzt in seiner eigenen Apotheke etablieren. Die umliegenden Ärzte sind informiert.

Als Lienau die Entscheidung traf, die Apotheke von Bienfait zu übernehmen, dachte keiner an eine Pandemie. Corona kannte man noch nicht. Als sich die Übergabe zunächst ein wenig hinzog, traten die ersten Fälle in Deutschland auf. Auf die Frage, ob eine Apothekenübernahme in Zeiten von Corona besondere Hürden mit sich bringe, lächelt der junge Apotheker nur und nickt mit dem Kopf. „Teilweise war es echt schwer, jemanden bei den Behörden zu erreichen. Durch Corona zog sich alles noch mehr in die Länge.“ Lienau hatte sich sehr auf die Übergabe gefreut, doch er wurde immer wieder vor Herausforderungen gestellt. „Das ist gar nicht so einfach zu wissen, welche Formulare wie ausgefüllt und bis wann sie abgegeben werden müssen. Wir haben uns schlussendlich auf der Kammeseite des Saarlandes und Sachsens bedient. Hier gibt es extrem hilfreiche Leitfäden zum Thema Apothekenöffnung und -übernahme.“

Nachdem der junge Apotheker die „Welt der Formulare“ durchgearbeitet hatte, ging es an die nächste Baustelle. „Im Backoffice-Bereich herrschte schon ziemliches 90er-Jahre-Feeling. Da mussten und müssen wir noch viel tun. Nicht nur optisch. Auch Computer & Co. waren überholt.“ Die Struktur im hinteren Bereich der Apotheke habe er bisher gut modernisiert, so Lienau. „Als Außenstehender denkt man vielleicht, dass es um Platzierungen in Sicht- und Freiwahl geht, aber vornehmlich geht es erstmal darum, eine Basis zu schaffen.“ Und da sei Corona nicht immer hilfreich gewesen. Viele Termine konnte der junge Apotheker nicht wahrnehmen, vieles musste anders organisiert werden. Auf die Frage, ob es hilfreich gewesen sei, dass er einen in der Apothekenwelt prominenten Vorgänger, hatte antwortet er diplomatisch: „Natürlich muss ich, unabhängig von meinem Vorgänger, alle Unterlagen lückenlos und fristgerecht einreichen. Dennoch: Der Name Bienfait ist den meisten Mitarbeitern von BAV und LaGeSo ein Begriff.“

Bienfait war von 1990 an im Vorstand des BAV. Seit 1997 war er dessen Vorsitzender. Ab 2009 gehörte Bienfait dem Geschäftsführenden Vorstand des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) an, dort war er Vorsitzender des Vertragsausschusses. Ihm wurde 2019 die höchste Auszeichnung der deutschen Apothekerschaft, die Hans-Meyer-Medaille, verliehen. Die Apotheke in Moabit gab er schon vor einigen Jahren ab und arbeitete zuletzt mit seiner Frau zusammen in der Adler-Apotheke in Adlershof. Nun geht er in den Ruhestand. Allzu schwer fiel der Abschied wohl nicht. „Außerhalb der Pharmazeuten-Welt, also was den Kiez und die Kunden der Apotheke angeht, kannte man eher seine Frau. Wenn die Kunden nach Bienfait fragen, dann meinen sie eigentlich immer die Ehefrau, die bis zuletzt stetig und ständig im Handverkauf tätig war“, so Lienau.

Lienau will frischen Wind in die Apotheke bringen; auch in der Rezeptur sieht er Potenzial. „Bisher hatte die rezepturmäßige Herstellung wenig Relevanz in der Apotheke. Das möchte ich ändern.“ In seiner vorherigen Apotheke war Rezeptur ein großes Thema: „Ich habe in der Bezirksapotheke viel über Medizinalcannabis gelernt. Aber auch über die Bedeutung der patientenindividuellen Herstellung. Die ersten Rezepturen haben nun auch schon die Apotheke verlassen.“ Lienau möchte für die umliegenden Arztpraxen eine Anlaufstelle bei allen Fragen rund um das Thema Rezeptur werden. „Da soll es nicht nur um einfache Dermatika gehen. Auch Lösungen für nicht lieferfähige Arzneimittel oder das Angebot von pädiatrischen Rezepturen möchte ich erweitern.“ Der junge Apotheker ist davon überzeugt, dass die Rezeptur weiterhin einen wichtigen Stellenwert in der Apotheke hat und auch wirtschaftlich sein kann – man müsste es nur richtig umsetzen. „Die Menge macht‘s.“ Eine erste positive Zwischenbilanz konnte der Apotheker bereits nach vier Wochen ziehen: Die Zahl der Rezepturen steigt. Lienau hofft, dass dieser Trend anhält.

„Aber wir wollten noch mehr Neues machen.“ Er lächelt und erzählt weiter: „Der Bote der Bienfaits ist gemeinsam mit dem Ehepaar in den Ruhestand gegangen. So brauchten wir ein neues Lieferkonzept. Und so wird nun mit Motorrad ausgefahren. Das war gar nicht so einfach: Ein Motorrad als Botenfahrzeug zuzulassen – damit wurden die Berliner Behörden anscheinend auch noch nicht so oft konfrontiert.“ Das Ausfahren übernimmt sein Partner Chris Seifert. Als Nicht-Pharmazeut unterstützt er Lienau in allen anderen anfallenden Dingen. „Wir sind da echt ein gutes Team. So etwas alleine auf die Beine zu stellen, ist sicherlich nochmal was anderes, so hat man immer jemanden, der einen unterstützt.“

Auch außerhalb der Apotheke sind die beiden ein gutes Team. So unterstützen sie beispielsweise in Thailand ein Kinderwaisenhaus. Einmal im Jahr fahren die beiden nach Pattaya und übergeben Medikamente und Gegenstände des medizinischen Bedarfs sowie einen Spendenbetrag. Umso trauriger, dass dieser Besuch in diesem Jahr ausfallen muss: „Eigentlich hatten wir die Flüge schon gebucht. Auch vor Ort hatte man sich bereits auf unseren Besuch gefreut, doch leider war das Reisen aufgrund der Pandemie nicht möglich.“ Ob und wann die beiden in diesem Jahr nach Asien reisen können, ist noch ungewiss. Doch so bleibt auch erstmal mehr Zeit für die Adler-Apotheke.