Schadensersatz nach Abrechnungsbetrug

Frist verpasst: Kassen verlieren 2,4 Millionen Euro

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Berlin -

Den Krankenkassen sind mögliche Rückzahlungen im Wert von fast 2,4 Millionen Euro entgangen. Die Ansprüche sind laut einem nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Hamburg verjährt. An dem zugrunde liegenden Abrechnungsbetrug mit Kontrastmitteln war auch ein Apotheker beteiligt, der aktuell seine Haft verbüßt.

Das Betrugssystem durch Kick-Back-Zahlungen und Übermengenbestellungen bei der Verschreibung von Röntgenkontrastmitteln hatte sich ein Arzt ausgedacht, der als ärztlicher Leiter diverse Radiologiepraxen und MVZ führte. Für die gesamte Hanserad-Gruppe zentralisierte er den Sprechstundenbedarf und profitierte über eine Firmenkonstruktion von den Geschäften.

Die Kontrastmittel wurden über den Großhandel des Apothekers bezogen und in Einzeldosen abgerechnet. Die Gewinne aus dem Mengenrabatt sollen zu 95 Prozent wieder an Hanserad geflossen sein. Mit den übrigen 5 Prozent hatte sich der Apotheker bereichert. Er wurde 2016 zu fünf Jahren Haft verurteilt, der Geschäftsführer der Hanserad zu viereinhalb Jahren. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision der beiden Verurteilten zurückgewiesen. Der Arzt als eigentlicher Drahtzieher war geflohen, zuletzt bekannter Aufenthaltsort war Dubai.

Der Schaden für die Krankenkassen lag insgesamt im zweistelligen Millionenbereich. Die Barmer war im fraglichen Zeitraum von Juli 2011 bis November 2012 im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) für alle Kassen mit der Abrechnung des Sprechstundenbedarfs betraut. Unabhängig vom Strafprozess klagte sie auf Schadenersatz wegen zu Unrecht abgerechneter Leistungen, hat dabei allerdings aus Sicht des LG Hamburg getrödelt.

Bereits im Sommer 2011 war bei der Kasse ein deutlicher Anstieg der Verordnungsmengen aufgefallen. Der Chef der Abrechnungsstelle ordnete damals an, alle Rezepte und Rechnungen der Hanserad-Betriebsstätten zu kopieren und zu sammeln. Ein anschließend eingeschalteter Statistikdienstleister bestätigte die Vermutung: Die Verordnungsmengen waren „objektiv exorbitant gestiegen“. Wegen der vermuteten Überbestellmengen wurden mit der Hanserad ab Sommer 2012 Verhandlungen über eine Rückzahlung in Höhe von 6,5 Millionen Euro geführt – allerdings ohne Ergebnis. Kurz darauf wurde die Staatsanwaltschaft Hamburg eingeschaltet wegen des Verdachts auf Betrug, die AOK Nordwest wandte sich parallel an die Staatsanwaltschaft Kiel. Im März 2013 durchsuchten die Ermittler Geschäft- und Privaträume.

Wegen der unzulässigen Beteiligung des Arztes als stiller Gesellschafter am Großhändler des Apothekers bestand schon überhaupt kein Erstattungsanspruch. Das betraf insbesondere die von ihm selbst ausgestellten 62 Verordnung für Kontrastmittel im Wert von knapp 2,4 Millionen Euro. Diesen Betrag verlangte die Barmer für die Kassen vor dem LG Hamburg zurück. Die KVH hatte ihrerseits die Regressforderungen gegenüber den MVZ an die Barmer abgetreten.

Allerdings hat die Kasse die Frist verpasst: Denn die Barmer hatte nach Auffassung des Gerichts spätestens im Verlauf des Jahres 2013 Kenntnis von den Umständen und den handelnden Personen. Der zuständige Mitarbeiter der Rechtsabteilung habe nämlich bereits Ende 2012 der Staatsanwaltschaft über seinen Verdacht berichtet. Zwar konnte er in dem Schreiben nur über „Luftverordnungen“ spekulieren. Doch spätestens als er die Ergebnisse der Durchsuchungen kannte, sei der Fall für ihn klar gewesen. Selbst wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren, hätte die Kasse das Risiko eines Prozesses eingehen müssen. Der Umstand der stillen Beteiligung sei zu diesem Zeitpunkt kein Anfangsverdacht mehr gewesen, sondern eine feststehende Tatsache.

Die Kasse hatte sich darauf berufen, dass nicht gleich klar gewesen sei, welche Rezepte von anderen Ärzten der MVZ-Gruppe ausgestellt worden seien und welche der am Großhandel beteiligte Arzt selbst unterschrieben hatte. Das hätte die Kasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts allerdings klären können und müssen, so das Gericht. Von einer „grob fahrlässigen Unkenntnis“ geht die Rechtsprechung aus, „wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden“. Dass die Konstruktion rechtswidrig war, sei ohne Weiteres aus den bekannten objektiven Umständen erkennbar gewesen.

Damit begann die dreijährige Verjährungsfrist laut Gericht Ende 2013, endete entsprechend mit Ablauf des Jahres 2016. Die Klage auf Schadenersatz hatte die Barmer aber erst am 16. Mai 2017 anhängig gemacht. Damit besteht laut Landgericht Hamburg kein Anspruch mehr. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Kasse kann noch in Berufung gehen.

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