Rezepturen

Cannabis-Preise: Apotheker zeigen Unverständnis

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Berlin -

Rückwirkend zum 1. März hat sich die Preisbildung für Cannabisblüten und -zubereitungen geändert. Die neuen Regelungen zur Taxierung stoßen bei manchen Apothekern auf Unverständnis. Der Einheitspreis für Cannabisblüten entspreche oft nicht dem Einkaufspreis der Apotheke. Die Staffelung der prozentualen Aufschläge nach dem Motto „Je mehr, desto weniger“ erscheine nicht praxisorientiert. Auch der Verband der cannabisversorgenden Apotheken (VCA) sieht die neu festgelegten Preise kritisch. Bei einigen Rezepturen ergeben sich nach den neuen Taxierungsregeln Differenzbeträge von über 500 Euro, berichten zwei Apotheker, die sich seit längerem mit der Abgabe von Medizinalhanf beschäftigen.

„Zunächst hielt ich die neue Regelung für einen Aprilscherz, kommuniziert am 1. April und keiner hat zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet – die Anlage 10 ist alles andere als konstruktiv,“ so die erste Reaktion von Melanie Dolfen, Inhaberin der Bezirksapotheke in Berlin. Die Preisänderung mitten in der Corona-Krise sorgte in ihren beiden Apotheken zunächst für Verwunderung: „Wir bedauern, dass wir vorab nicht informiert wurden. Die Änderungen in der Form, wie sie nun in Anlage 10 vorliegen, kamen sehr überraschend.“

Cannabis gehört in ihrer Apotheke zur Tagesordnung. Am Standort am Roten Rathaus, direkt am Alexanderplatz, werden zahlreiche Patienten mit der Heilpflanze versorgt. Dolfen gehörte 2017 zu den ersten Apotheken in Deutschland, die sich intensiv mit dem Thema Cannabis auseinandersetzten. „Die Cannabistherapie und die angemessene Versorgung durch die Apotheken ist mir wirklich ein Herzensprojekt. Mit einem Teil meiner Marge finanziere ich beispielsweise Informationsabende und Fortbildungen zum Thema Medizinalhanf, um das Thema weiter voranzubringen. Deshalb ist die Schmälerung der Marge nicht nur aus unternehmerischer Sicht ein Rückschritt.“

Unter Schmälerung der Marge versteht Dolfen den vereinheitlichten Preis für Cannabisblüten. Egal welche Sorte verordnet wurde, ab sofort darf der Apotheker nur noch einen Preis von 9,52 Euro pro Gramm berechnen. Einzelne Sorten würden jedoch auch bei guten Konditionen deutlich über diesem Betrag liegen. „Unsere Einkaufspreise variieren und liegen zwischen 8,50 Euro und 11,95 Euro. Es gibt aber auch Blütensorten, die deutlich teurer sind im Einkauf. Hier gibt es nie eine gleichmäßige Verteilung. Eine Mischkalkulation ist kaum möglich“, bedauert Dolfen. Es gibt Blüten, die häufiger verordnet werden als andere. Seltener verschrieben werden einzelne Sorten mit einem ganz bestimmten Verhältnis von THC zu CBD: „Diese Sorten liegen im Einkaufspreis zum Teil auch noch deutlich höher als 12 Euro pro Gramm.“ Hinzu kommt, dass die Apotheke nun je nach Abgabemenge andere Zuschläge erheben darf, auch hier übt die Apothekerin Kritik: „Die Staffelpreise sind für mich nicht logisch nachvollziehbar.“

Die Staffelpreise beziehen sich bei der Abgabe von unverarbeiteten Blüten beispielsweise auf die Menge in Gramm. So darf bis zu einer Gesamtabgabemenge von 15 Gramm mit 9,52 Euro pro Gramm taxiert werden. Für jedes weitere Gramm bis zu einer Gesamtmenge von 30 Gramm sind 3,70 Euro abrechnungsfähig. Für alle Mengen über 30 Gramm können je Gramm 2,60 Euro taxiert werden. Dolfen gibt zu bedenken, dass der Großteil der Verordnungen über 15 Gramm liegt: „Kleine Mengen werden zumeist nur zu Beginn einer Therapie verschrieben. In der sogenannten Titrationsphase muss der Patient zunächst schauen, was für ihn die beste Dosierung ist.“ Hier wären auch kaum Verluste im Vergleich zum alten Berechnungschema zu erwarten. Dolfen erzählt jedoch, dass 60 Prozent der Verordnungen mehr als 15 Gramm umfassen. „Von diesem Anteil liegen weitere 60 Prozent über 30 Gramm.“

Bei einer Abgabe von 60 Gramm würde sich allein der Preis für das Cannabis pro Gramm bezogen auf den Fixzuschlag wie folgt verteilen: Für die ersten 30 Gramm könnten 285,60 Euro in die weitere Berechnung mit einbezogen werden, für die weiteren 30 Gramm lediglich 78 Euro. Für die Praxis bedeutet das: Je höher die verordnete Gesamtmenge, desto geringer der Preis, der abgerechnet werden kann.

Dolfen war sich bewusst, dass die ursprünglich vereinbarten Preise von 2017 angepasst werden müssten und schließt sich der Meinung des VCA an: „Wir wollen eine Preisgestaltung, die unsere pharmazeutischen Leistungen honoriert. Die Preisgestaltung von 2017 war so nicht zu halten, das war uns klar und deshalb waren wir immer gesprächsbereit. Die jetzt beschlossenen Preise könnten dazu führen, dass Apotheken die Versorgung mit Cannabis vermehrt ablehnen. Das wiederum gefährdet die wohnortnahe Versorgung.“

Dabei geht es der Apothekerin auch darum, die Verwendung von Cannabis weiter bekannt zu machen und auch galenisch zu optimieren: „Mir geht es auch um die Frage, wie man die Heilpflanze bestmöglich für den Patienten aufarbeiten oder aufbereiten kann. Nicht jeder Patient kann mit einem Vernebler zur Inhalation umgehen. Hier können Apotheken ihr gelerntes Handwerk zum Thema Rezeptur zeigen. Wir Apotheken können Arzneimittel herstellen, dazu gehört auch die Optimierung von Rezepturen und Darreichungsformen.“

Dolfen möchte nicht, dass Apotheken, die seltener solche Rezepturen haben, aufgrund der neuen Preisregelungen dazu verleitet werden könnten, solche Verordnungen abzulehnen: „Wir haben eine Versorgungspflicht – das darf nicht vergessen werden. Generell dürfen wir Apotheken keine Arzneimittelverordnungen, in dem Fall Cannabis, ablehnen.“ Auch wenn sie versteht, dass das Thema bei manchen Apothekern für einen unangemessenen Mehraufwand stehen könnte.

„Man darf nicht vergessen, dass Cannabisrezepturen unter das BtM-Gesetz fallen. Neben dem höheren Beratungsaufwand und einem hohen Aufwand der Prüfung des Ausgangsstoffes fällt auch ein generell höherer Dokumentationsaufwand an.“ Auch deshalb plädiert Dolfen auf eine angemessene Vergütung: „Ich hoffe, dass wir mit den Verantwortlichen zusammenkommen können, um beispielsweise über Vereinfachungen im Hinblick auf die Prüfung von Cannabis und die Dokumentation zu sprechen.“ Sie hofft, dass nach der Pandemie erneut Gespräche aufgenommen werden können: „Aktuell verfügen wir über wenig freie Zeit. Die Corona-Krise fordert jeden Mitarbeiter. Die Anlage 10 kommt deshalb zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.“ Aus diesem und anderen Gründen plädieren sie für eine temporäre Friedenspflicht.

Apotheker Christian Müller aus Erftstadt in Nordrhein-Westfalen wird bei den Berechnungen ein wenig konkreter: „Bei den Staffelpreisen bedeutet das, dass ich mit den ersten 10 bis 20 ml meiner Rezeptur den Großteil meines Gesamtpreises erziele.“ Er bezieht sich hier auf die Preise für Dronabinol-Tropfen.

Werden Cannabisextrakte weiterverarbeitet, so gelten andere Regeln zur Taxation als bei Blüten: Es ist der günstigste Apothekeneinkaufspreis für die Abrechnung heranzuziehen. Für die weitere Taxation gelten prozentuale Zuschläge: Abrechnungsfähig sind 90 Prozent Zuschlag auf den jeweils niedrigsten ermittelten Preis pro Milliliter der eingesetzten Packungen. Auch hier gilt: Diese Rechengrundlage greift nur bis zu einer maximalen Summe von 80 Euro. Bei höheren Summen gilt: Für jeden weiteren Milliliter sind 3 Prozent auf den für den jeweiligen Anteil ermittelten Preis zusätzlich abrechnungsfähig. „Grob gesagt sind somit alle Dronabinol-Rezepturen mittlerer bis großer Verordnungsmengen deutlich weniger rentabel als zuvor.“

Müller stellt in seiner Apotheke nicht so häufig Cannabis-Rezepturen her. Als die neue Preisverordnung kam, musste er sich zunächst intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Und wie es der Zufall wollte, kam genau in diesen Tagen eine Verordnung über ölige Dronabinoltropfen nach NRF 22.8. – der Apotheker nahm sich die veröffentlichten Beispielrechnungen und taxierte vorab per Hand. Eine Taxierung mittels Software sei nämlich aktuell nicht möglich. Dies könne seiner Meinung nach das Risiko für Retaxierungen steigern. Gerade Apothekern, die nicht so häufig Cannabis in der Rezeptur verarbeiten, fehle die Übung bei der Abrechnung.

Müller ist über die Preisdifferenz ziemlich überrascht: „Wenn ich eine Verordnung über 60 ml ölige Dronabinoltropfen nach der neuen Anlage 10 taxiere, ist der Endbetrag rund 500 Euro niedriger, als vor der neuen Preisregelung.“ Ihm scheint es nicht logisch, weshalb er nur bis zu einem festgelegten Betrag von 100 Euro mit einem Zuschlag von 90 Prozent rechnen darf und es danach nur noch 3 Prozent sind. „Gerade zu Beginn bekommen die Patienten natürlich kleine Mengen verordnet, die Therapie muss schließlich zunächst bei jedem Patienten individuell auf ihre Eignung geprüft werden." Danach kämen bei diesen Patienten Verordnungen über Kleinstmengen jedoch nicht mehr vor.

Auf die Frage, ob er mit Retaxierungen rechnet, antwortet er nur, dass man sehen wird wie streng die Krankenkassen das Ganze bearbeiten werden. Dass die Retaxierungen, wenn sie denn dann kommen, bei diesem speziellen Thema schneller als erst in einem Jahr erscheinen werden, da sind sich beide Apotheker relativ sicher. Dennoch hoffen beide auch auf Verständnis seitens der Kassen und plädieren für eine Friedenspflicht.

 

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