Bestellplattform verspricht Lieferung in zwei Stunden

Arzneipost: Apothekerin macht Amazon Konkurrenz

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Berlin -

Plattform hier, Portal da – aber niemand kommt mit seinen vermeintlichen Innovationen so richtig zu Potte. Apothekerin Stephanie Kaufmann wollte nicht mehr warten und hat glücklicherweise einen Wirtschaftsinformatiker zum Bruder, der bereits einen Lieferalgorithmus entwickelt hat. Mit ihm hat sie deshalb ihre eigene Botendienstplattform gebaut, die den Kunden die Lieferung innerhalb von 120 Minuten verspricht. Ab Januar soll die Plattform anderen Apotheken offenstehen.

Das E-Rezept steht vor der Tür und dürfte gerade Versandapotheken vieles leichter machen. Die ersten Versender bieten bereits die Same Day Delivery und wollen sie künftig sukzessive über die Ballungsgebiete der Republik ausrollen. Und die Vor-Ort-Apotheken? Die haben auch ihre Branchengrößen, die Allianzen schmieden und Plattformen bauen – nur in der Praxis ist noch nicht viel rumgekommen. „Es bringt doch nichts, ein Riesending für ganz Deutschland zu bauen, und dann scheitert es. Ich kann nicht sagen, dass die bisherigen Konzepte schlecht seien, aber die Warteposition ist einfach unbefriedigend. Wir haben keine Zeit mehr, zu warten. Wir sehen die Felle schon schwimmen und müssen uns engagieren“, sagt Kaufmann. „Die Frage ist, wie gut man sich jetzt aufstellt. Und ‚jetzt‘ ist am besten schon gestern.“ Statt auf den ganz großen Wurf zu warten, hat sich Kaufmann mit ihrer Viktoria Apotheke in der Kölner Innenstadt deshalb selbst gekümmert und will den Verbrauchern mit den Vor-Ort-Apotheken in der Domstadt ein Angebot machen, das die Versprechungen der Versender alt aussehen lässt.

120 Minuten: so lange werde es maximal dauern vom Klick auf den Bestell-Button bis zum Klingeln an der Haustür, verspricht das Portal Arzneipost.de. Dahinter steht neben der Viktoria Apotheke auch Daniel Kaufmann, der Bruder der Inhaberin. Der hat zu ihrem Glück bereits einige Erfahrungen damit, wie man ein solches System aufbaut: 2015 gehörte er zum Gründungsteam des Kölner Essenslieferanten Mealmates und baute dessen Auslieferungssoftware. Und die hat es in sich: Mealmates sichert den Kunden eine Lieferung innerhalb von 20 Minuten zu. Der Dienst funktioniert nicht wie Lieferheld oder Lieferando, sondern kocht selbst täglich verschiedene Gerichte, die sich dann vor allem Firmen für die Mittagspause leifern lassen. Rund 150 Unternehmen im Kölner Raum verpflegen ihre Mitarbeiter mittlerweile so. „Das war eine logistische Herausforderung, die wir aber sehr gut gemeistert haben“, sagt Kaufmann. „Algorithmen für die Auslieferung und Routenplanung waren schon lange mein Steckenpferd.“

Warum also nicht dem Betrieb der eigenen Schwester aushelfen? Die schaute nämlich im Frühjahr in die Röhre, als sie angesichts der Covid-19-Pandemie Wege suchte, ihre Kunden kontaktlos zu erreichen. „Wir haben den Kundeneinbruch gespürt und nach einer schnellen und anwenderfreundlichen Lösung gesucht, damit die nicht bei DocMorris oder Shop-Apotheke bestellen. Da haben wir uns verschiedene Portale angeschaut, aber nichts gefunden, was schnell und unkompliziert genug ist“, so die Inhaberin.

Also setzten sich die Kaufmanns zusammen und entwickelten das Liefertool Arzneipost.de: Auf dessen Internetseite geben die Kunden ihre Postleitzahl ein und sehen dann direkt das OTC- und Freiwahlsortiment derjenigen Apotheken, bei denen sie bestellen können. Wird bei einem Produkt der 120-Minuten-Service angeboten, ist das direkt gekennzeichnet. „Ursprünglich ging es nur um den Eigenbedarf, wir wollten auf der Homepage der Apotheke eigentlich nur ein neues Formular für den Botendienst einrichten“, erklärt Daniel Kaufmann. „Erst einmal sollte das nur für die Stammkunden sein. Dann kamen wir auf die Idee, das auf ganz Köln auszuweiten und auf eine Plattform zu packen, die nun ab dem 1. Januar jeder Apotheke in der Stadt offensteht.“ Ab dann sei auch die Lieferung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln möglich.

Bisher sind erst zwei Apotheken angeschlossen, im neuen Jahr kommen acht weitere hinzu. Dabei denken die Kaufmanns auch die Kundenakquise von unten: Sie bewerben ihr Portal vor allem in der Offizin und im Schaufenster als neuen Service für ihre Kunden und wollen sie so an sich binden. Suchmaschinenoptimierung soll ebenfalls regional erfolgen, um die Sichtbarkeit gezielt dort zu erhöhen, wo das Angebot genutzt werden kann. Und auch bei den Lieferanten gehen sie so vor: „Viele Plattformen haben ja den Anspruch, möglichst viele Apotheken auf die Plattform zu holen. Aber so eine Plattform zu entwickeln und dann den Apotheken aufs Auge zu drücken, ist kein guter Weg. Man muss das von den lokalen Strukturen her denken, wir wollen deshalb erst einmal das regionale Netzwerk nutzen.“

Dazu sprechen sie selbst Apotheken an und erklären ihnen ihre Lösung: Sie erhalten einen Login für die Seite und können dort ihr Sortiment auf Arzneipost.de hochladen. Erhalten sie eine Bestellung über die Seite, ploppt diese im Kassenbildschirm auf – inklusive eines Timers, der anzeigt, wie viel Zeit noch für die Auslieferung bleibt. Damit das keinen Mehraufwand erzeugt, hat Daniel Kaufmann ein paar zusätzliche Funktionen integriert: „Das unterscheidet uns von Angeboten wie Curacado. Wir haben ein paar Tools entwickelt, die die Abwicklung für die Apotheken erleichtern, die Routenplanung für den Botendienst automatisch berechnen, den Kunden ein Livetracking ihrer Bestellung und eine Online-Bezahlfunktion über PayPal ermöglichen. Unser Ziel ist es, einen normalen Onlineshop zu haben, der aber schneller liefert als jeder Versender.“

Routenplanung und Optimierung der Auslieferung seien dabei weitaus weniger kompliziert als bei seinem vorherigen Projekt, erklärt er: „Die Essensauslieferung ist operativ weitaus anspruchsvoller als die von Arzneimitteln, weil man viel mehr Dinge beachten muss: Man hat weniger Zeit zur Verfügung, das Essen muss frisch zubereitet werden, es muss warm bleiben und so weiter.“ Für Arzneimittel sei mit der entwickelten Lösung selbst das Versprechen der 120-Minuten-Lieferung recht leicht einzuhalten. Hinter der Zwei-Stunden-Frist stehe er Marketing: Die Kunden in Köln seien die Frist vom Getränkelieferanten Flaschenpost gewohnt, der ebenfalls innerhalb von zwei Stunden liefert.

Auch das Angebot für die Apotheken versuche Arzneipost möglichst einfach zu halten, betont Kaufmann: 50 Euro im Monat koste der Dienst. Provisionen oder andere Kostenmodelle gebe es nicht. „Wir fänden es sehr schwierig, an den Arzneimitteln mitverdienen zu wollen, weil die meisten Apotheken sowieso schon sehr genau auf die Margen schauen müssen.“ Denkbar sei höchstens, dass das Tool in Zukunft um neue Funktionen erweitert wird, die dann modular hinzugebucht werden können. Aber das ist noch Zukunftsmusik. „Der Gedanke ist, das erst einmal in Köln auszutesten und wenn es hier klappt, klappt es sicherlich auch in anderen Städten.“ Bereits jetzt erhalte er Anfragen auch von Apotheken außerhalb Kölns.

Inhaberin Kaufmann kann das natürlich nachvollziehen, das Modell sei schließlich konkret auf die Bedürfnisse von Vor-Ort-Apotheken zugeschnitten und fülle die Lücke zwischen persönlicher Beratung und anonymer Bestellung. Insbesondere für ältere Kunden und Multimorbide sei es deshalb gut geeignet, verbinde es doch die einfache Lieferung mit der persönlichen Beratung. „Der Kunde hat einen Ansprechpartner und kennt dessen Gesicht. Den Spagat zwischen diesen Kunden und den jungen, digitalen Kunden hinzukriegen, war uns besonders wichtig“, sagt sie. Bisher habe sie deshalb auch durchweg positives Feedback für den neuen Service erhalten. Wenn sich nun tatsächlich genug Apotheken anmelden und den Service am HV durchgehend bewerben, könne sich Arzneipost zu einer lokalen Erfolgsgeschichte mausern, die Signalwirkung hat, betont sie. „Wenn wir uns zusammentun und da nach außen tragen, zeigt das, wie erfolgreich wir als Apotheker sein können und was wir als Gemeinschaft erreichen können.“

 

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