Gerichtsprozess um riskante Aktiendeals

Apotheker verzockt seine Altersvorsorge – und will sie zurück APOTHEKE ADHOC, 06.08.2021 15:20 Uhr

Schlecht beraten: Ein bayerischer Apotheker hat durch riskante Aktiengeschäfte seine Altersvorsorge verloren – und will das Geld nun vom Berater zurück. Foto: shutterstock.com/ iJeab
Berlin - 

Ein bayerischer Apotheker kämpft derzeit gerichtlich um seine Altersvorsorge: Er hatte sich von einem Vermögensberater, den er im Urlaub kennengelernt hatte, Aktiengeschäfte andrehen lassen, die weitaus riskanter waren, als ihm bewusst war. Innerhalb weniger Wochen verlor er hunderttausende Euro. Seine Schadenersatzklage gegen die Bank war erfolgreich – allerdings ging die Bank pleite, bevor er sein Geld zurückerhalten hatte. Also versucht er nun, sich das Geld vom Vermögensberater zu holen. Nun geht es vor Gericht um die Frage, ob er es besser hätte wissen müssen.

Ein Apotheker im Ruhestand wird bald erneut vor dem Oberlandesgericht München um einen erheblichen Teil seiner wirtschaftlichen Existenz kämpfen müssen. Denn den hat er aufgrund eines riskanten Spekulationsgeschäfts verloren – nach eigener Sicht unverschuldet. Anscheinend hätte er sich aber bei seiner Altersvorsorge nicht auf eine Urlaubsbekanntschaft verlassen dürfen: In den Ferien mit seiner Frau lernte der Pharmazeut im Juli 2012 einen Vermögensberater kennen und blieb mit ihm auch darüber hinaus in Kontakt. Ziemlich genau zwei Jahre später saß er in dessen Büro und ließ sich über Aktiengeschäfte beraten – nach eigener Aussage zur Mehrung seiner Altersvorsorge.

Einen Monat später schlossen die beiden einen Vermögensverwaltungsvertrag mit einer Bank. Wie der beigefügte Datenanalysebogen verrät, hatte der Apotheker keine Erfahrungen mit kreditfinanzierten Anlagegeschäften und mit Anlagen der Risikoklassen 5 und 6 wie Futures und Optionen. In den Anlagerichtlinien kreuzte der er als Anlageziele auf Anraten des Beraters „Vermögensaufbau“, „Alters-/Familienvorsorge“, „kurzfristige Gewinnerzielung/Spekulation“ und „Ausnutzung langfristiger Marktbewegungen“ an. Wie ihm der Berater riet, wählte er außerdem die höchste Risikoklasse 6 und fügte handschriftlich hinzu: „Spekulativer Kauf von Optionen und Optionsscheinen sind ausgeschlossen“.

Daraufhin eröffnete er ein Wertpapierdepot und ein Abwicklungskonto bei einer zweiten Bank. Der Bank, für die der Vermögensberater arbeitete, erteilte er eine Vollmacht zur Verfügung über Konto und Depot. Er überwies Wertpapiere im Wert von 40.000 Euro und ein Bankguthaben von 200.000 Euro. Dann kam der große Knall – und erneut war es ein Urlaub, der ihm zum Verhängnis wurde.

Denn die Bank, der er sein Geld anvertraut hatte, spekulierte kräftig, insbesondere mit Verkäufen indexbasierter Optionen, sogenannten Stillhalterpositionen. Damit kann man große Gewinne einfahren – allerdings ist das Verlustrisiko teilweise unbegrenzt. Am 15. Oktober, auf den Tag genau zwei Monate nach Vertragsabschluss, teilte ihm die Bank mit, dass Verluste von mehr als 15 Prozent des Depots eingetreten waren. Beziehungsweise versuchte sie, es ihm mitzuteilen: Denn offensichtlich hatte der Apotheker seinen Ruhestand bereits in vollen Zügen genossen. Laut Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) war er urlaubsbedingt nicht erreichbar. Kurz darauf forderte die zweite Bank eine Sicherheitsleistung von rund 814.000 Euro bis zum Folgetag. Da er dem nicht nachkam, leitete sie eine Schließung aller Depotpositionen ein. Der Negativsaldo aus den Optionsgeschäften belief sich laut Gericht auf 311.813,20 Euro. Um Kosten und Kapitalertragssteuer bereinigt betrug der Schaden gar 329.710,64 Euro. Dieses Geld will der Apotheker sich nun zurückholen.

Dabei hatte er auch einen ersten Erfolg vor Gericht, doch der stellte sich schnell als Pyrrhussieg heraus: Er verklagte die Bank vor dem Landgericht Stuttgart auf Schadenersatz und erhielt im Juli 2017 recht. Doch die Bank rutschte in die Insolvenz. Also versuchte der Apotheker sein Glück beim Vermögensberater und machte dabei geltend, dass er ihm vor Vertragsschluss eindeutig mitgeteilt habe, dass er sein angespartes Kapital als Altersversorgung benötige und keine Verlustrisiken eingehen wolle. Der Berater habe ihm in Aussicht gestellt, durch den Verleih von Aktien risikolos eine Rendite von bis zu 12 Prozent pro Jahr erzielen zu können.

Das Landgericht München (LG) gab dem Apotheker recht und verurteilte den Berater zur Zahlung der geforderten Summe nebst Zinsen. Der ging jedoch in Berufung. Das Oberlandesgericht München (OLG) wies die Berufung zurück, die Revision des Beraters gegen diese Entscheidung war nun aber vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erfolgreich. Das Urteil wurde aufgehoben. Besonders bitter für den Apotheker: Es war sowohl vor dem LG als auch vor dem OLG unstrittig, dass der Berater seine Pflicht zur anlage- und anlegergerechten Beratung verletzt hat. Nach den Feststellungen des LG habe er gewusst, dass der Kläger auf Sicherheit bedacht war und nur überschaubare Risiken eingehen wollte.

Trotzdem hatte er ihm den Abschluss des riskanten Vermögensverwaltungsvertrags empfohlen, das Anlagemodell als sicher dargestellt und ihm die Risiken der beabsichtigten hochspekulativen Optionsgeschäfte verschwiegen. Die Einordnung in die Risikoklasse 6 sei nur aus formalistischen Gründen erfolgt, hat er ihm demnach erzählt. Ein kompletter Verlust seiner Altersvorsorge sei schon wegen des Wertgehalts der Aktie faktisch ausgeschlossen. „Selbst wenn der Kläger das Anlagemodell verstanden haben sollte, verlöre dies durch die falsche Risikodarstellung an Gewicht“, so der BGH. Der Berater habe sich über das Bedürfnis nach Alterssicherung hinweggesetzt und seine eigene Risikoeinschätzung über diejenige des Klägers gestellt. Das lasse eine Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen des Apothekers erkennen, die sein Verhalten als sittenwidrig qualifiziere. Doch das half dem Apotheker nicht.

Denn der BGH ließ die Revision zu: Denn von der Sittenwidrigkeit sei unter den genannten Umständen keineswegs automatisch auszugehen. Schließlich hatte der Berater dem Apotheker erklärt, wie die Optionsgeschäfte funktionieren. Wenn dem so ist, habe der Berater, „keine Pflicht aus dem Beratungsvertrag verletzt, weil er annehmen konnte, dass der Kläger die Risiken verstanden hatte und sie bewusst einzugehen bereit war“, so der BGH. Und selbst wenn er diese Pflicht verletzt haben sollte: Es sei noch gar nicht ausreichend geklärt, ob es der Berater sei, der Apotheker überhaupt einen Anspruch gegenüber dem Berater hat.

Denn: „Die Würdigung des Berufungsgerichts, zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen, aus dem der Kläger einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB herleiten könne, ist von Rechtsfehlern beeinflusst“, schreiben die Richter nun. Die bisherigen Feststellungen würden nicht die Annahme tragen, dass der Vertrag zwischen dem Apotheker und dem Berater zustande gekommen sei. Heißt: Nach bisheriger Auffassung müsse davon ausgegangen werden, dass erst einmal nur die – insolvent gegangene – Bank für den Schadenersatz verantwortlich wäre. Ganz verloren ist der Fall – und damit die Altersvorsorge – für den Apotheker jedoch noch nicht: Der BGH hob die Entscheidung zur Zurückweisung der Berufung auf. Jetzt müssen Apotheker und Berater erneut darlegen, „wie der Kläger die Erklärungen des Beklagten und sein Gesamtverhalten verstehen und werten durfte. Entscheidend ist die objektivierte Empfängersicht“, so die Richter. Sie werden sich also bald vor dem OLG wiedersehen.