Westfalen-Lippe

Apotheke 2.0: Modellprojekt in Steinfurt gestartet APOTHEKE ADHOC, 12.06.2019 11:56 Uhr

Berlin - 

Vor einem Jahr hat der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) das Gemeinschaftsprojekt Apotheke 2.0 mit der Universität Osnabrück sowie der Gesundheitsregion „Euregio“ initiiert. Damit soll das bestehende Apothekennetzwerk in der Region genutzt werden, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu sichern und zu verbessern – und zwar mit Hilfe von digital unterstützten Dienstleistungen. Als Modell-Apotheke wurde Apotheker Abed Daka mit seiner Steinfurter Apotheke am Bauhaus ins Boot geholt. Daka ist Vorstandsmitglied bei Euregio.

Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt – und damit auch die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und Pflegeangeboten. Zugleich aber herrscht in Gesundheits- und Pflegeberufen ein Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird, so eine Pressemitteilung des AVWL. „Deshalb begrüßen wir das Modellprojekt Apotheke 2.0, das nun bei uns im Kreis Steinfurt gestartet ist“, so Landrat Dr. Klaus Effing.

Ein Beispiel für Apotheke 2.0 ist die elektronische Arzneimitteltherapie-Sicherheitsprüfung, die Apotheker Daka, der früher einmal DocMorris-Apotheker war, nun in seiner Steinfurter Apotheke einsetzt. Bekommt ein Patient ein neues Arzneimittel verschrieben, gleicht Daka das Mittel digital auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ab, die der Patient bereits nimmt – und informiert den Arzt über mögliche Probleme.

„Wenn Medikamente nicht gut aufeinander abgestimmt sind, steigt bei älteren Patienten, die mehrere Mittel zugleich nehmen, das Sturzrisiko deutlich an“, so Daka. „Aus Studien wissen wir, dass sich durch konsequente Medikationschecks 58 Prozent der arzneimittelbezogenen Stürze verhindern lassen“, fügt er hinzu. „Das entlastet Ärzte, Kliniken und Pflegepersonal und spart dem Gesundheitssystem Folgekosten – vor allem aber den Patienten Unannehmlichkeiten und Leid“, ergänzt Dr. Olaf Elsner, Vorstandsmitglied des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe.

Ein zweites Beispiel ist laut AVWL das patientenindividuell Verblistern. Wenn ältere Patienten mehrere Arzneimittel einnehmen müssen, zu verschiedenen Tageszeiten, manche davon vielleicht nur einmal pro Woche, kommt es schnell zu Fehlern, weiß Daka. „Mal wird etwas vergessen, mal werden die Packungen verwechselt und der Blutdrucksenker abends statt morgens eingenommen – mit riskanten Folgen“, so der Apotheker. Pflegende Angehörige kostet es vor allem Nerven, professionelle Kräfte Zeit, die Medikamente mehrmals täglich zusammenzustellen. Mit Hilfe einer digitalen Plattform kann der Apotheker für seine Patienten die richtige Portion für die richtige Tageszeit automatisiert zusammenzustellen.

„Das entlastet Pflegekräfte, die sich dann auf ihre eigentliche pflegerischen Tätigkeiten konzentrieren können“, ergänzt Dr. Olaf Elsner. „Es entlastet aber auch pflegende Angehörige sowie ambulante Dienste und ermöglicht Patienten, die noch fit sind, jedoch mit den Arzneien durcheinander kommen, länger zu Hause zu bleiben, statt einen Heimplatz zu benötigen“, fügt er hinzu.

In Zukunft sei es sogar vorstellbar, dass die Apotheke vor Ort nicht mehr für jeden Patienten passend die Arzneimittel verblistert, sondern mit einem 3D-Drucker individuell die richtige Tablette mit allen Wirkstoffen herstellt. Ein weiterer Ansatz sind smarte Tabletten, welche die notwendigen Wirkstoffe zum korrekten Zeitpunkt freisetzen. So schilderten Alina Behne und Christian Fitte von der Uni Osnabrück künftige Möglichkeiten der Digitalisierung, die sie im Rahmen des Projektes am Fachgebiet für Unternehmensrechnung und Wirtschaftsinformatik untersuchen. Ferner biete die Digitalisierung – beispielsweise die digitale Gesundheitsakte sowie Internet-of-Things-Technologien – das Potenzial, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens wie Apothekern, Ärzten und Pflegediensten sowie die Kommunikation mit den Patienten zu verbessern. Beide erarbeiten in dem Projekt Handlungsempfehlungen für Apotheken zu digitalen Möglichkeiten. Dabei gilt der Grundsatz: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern soll Prozesse zielgerichtet unterstützen und vereinfachen.

„Unser Anspruch ist dabei, analoge und digitale Angebote sinnvoll und intelligent zu verknüpfen, so dass eine Entmenschlichung der Versorgung auf dem Lande verhindert wird“, so Dr. Olaf Elsner. „Ein Mausklick ersetzt nicht den Händedruck.“ „Damit Apotheke 2.0 wirken kann, müssen wir allerdings verhindern, dass das bestehende Apothekennetzwerk weiter ausdünnt“, warnt Dr. Klaus Michels, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe. So ist im vergangenen Jahr die Zahl der Apotheken in Westfalen-Lippe auf den Tiefststand seit 40 Jahren gesunken.

Künftig werde vor allem den Apotheken auf dem Land die Konkurrenz durch den Versandhandel zu schaffen machen, fürchtet Michels. „Der Versandhandel allerdings leistet keine Nacht- und Notdienste, keine intensive, vertraute Beratung wie die Vor-Ort-Apotheker“, so Michels. Damit auch die Patienten in ländlichen Regionen noch eine Anlaufstelle vor Ort finden, müsse der Gesetzgeber die Präsenzapotheken stärken, indem er die Gleichpreisigkeit bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bewahrt: „So wie das Kulturgut Buch über die Preisbindung gestützt wird, muss auch die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten und Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit bewahrt werden.“

Apotheke 2.0 steht unter der Schirmherrschaft von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und wird vom Bundesministerium für Ernährung und ländliche Entwicklung gefördert im Rahmen des Bundesprogramms ländliche Entwicklung. Das Projekt ist in der Modellregion Steinfurt gestartet.