ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Wegen Hitze: „Wir sind jetzt im Keller“

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Berlin -

Eine Apotheke in Niedersachsen hat vor der Hitze kapituliert: „Ende aus, mir reicht‘s, ich fahr‘ an den See“, ruft der Inhaber über die Schulter und schon verschwindet er in der flirrenden Luft. Er ist das erste Opfer der toxischen Mischung aus Klimawandel und Apothekenbetriebsordnung.

Aber der Reihe nach: Als das Thermometer 42,6 °C zeigt, dreht der Inhaber die Klimaanlage auf volle Stufe. Doch es hilft nichts, die Tür geht ständig auf und zu, Menschen mit roten Köpfen kommen nicht als Blutdruckpatienten, nicht einmal als Kunden. Sie wollen sich abkühlen, denn in der Apotheke ist es verlässlich unter 25 °C.

Ist es das? Der Pharmazierat kommt nassgeschwitzt in die Offizin und misst 26,4 °C. Es tut ihm ja auch leid, er will nicht kleinkariert sein. Aber wo fängt man an, bei der Arzneimittelsicherheit Kompromisse zu schließen? Nicht geschmolzene Kapseln sind ein wichtiges Abgrenzungskriterium gegenüber dem Versandhandel. „Wenn Sie nicht unter 25 kommen, müssen Sie leider schließen“, so die klare Ansage. Ob er eine Drehtür einbauen dürfe? Der Pharmazierat ist schon nicht begeistert, doch als er beim Denkmalamt anklopft, knallt ihm der Sachbearbeiter die Drehtür vor der Nase zu. Geht nicht!

Also wird in Sachen Klimatisierung nachgerüstet: Die Anlage wird verdoppelt, weitere 18 mobile Kühlgeräte und acht Ventilatoren sorgen ab sofort für konstante Temperaturen um 18 Grad. Die Mitarbeiter frieren und motzen. Und es dauert nicht lange, bis ein Mann von der Berufsgenossenschaft auftaucht und erklärt, dass es so auch nicht geht. Der Apotheker hatte sowieso ein schlechtes Gewissen wegen der Ökosünde.

Sein neuer Einfall: Alle Arzneimittel werden eine Etage tiefer gelagert. Und da er unten viel Platz hat und das Team unmöglich den ganzen Tag vom kühlen Keller in die heiße Offizin rennen kann, wird auch der Eingang an die Seite verlagert. Die Kunden gelangen nun über eine Kellertreppe nach unten in die improvisierte Apotheke. Aber nicht lange. Der Pharmazierat taucht wieder auf und erinnert mit zerknirschter Miene an die Barrierefreiheit. Und das ist der Moment, in dem der Apotheker im flirrenden Nichts verschwindet.

Spaß beiseite, in dieser Woche MUSSTE aber tatsächlich eine Apotheke schließen. Beziehungsweise, die Inhaberin hat vorsorglich geschlossen, weil es teurer geworden wäre, wenn die Aufsicht dies am Wochenende angeordnet hätte. Und in diesem Punkt war der Pharmazierat sehr klar. Die Apotheke hat jetzt aber eine Klimaanlage angeschafft und darf dann auch wieder öffnen. Die spannende Frage, die sich viele Kollegen stellen: Wie ergeht es in der Zwischenzeit den Arzneimitteln in der Apotheke? Antwort: Kontakt zu den Herstellern und dann immer Einzelfallentscheidung in Abstimmung mit dem Pharmazierat. Kann im schlimmsten Fall teuer werden.

Relativ günstig davongekommen ist ein Kollege aus dem Saarland, der seiner Pharmazierätin einen charakterlichen Totalschaden attestiert hatte und deswegen von der Kammer zu 2000 Euro Ordnungsgeld verdonnert wurde. Weil er ihre Darstellung der Szene extrem ungerecht fand, zog er vor das Apothekergericht. Und die Berufsrichter waren milder: 750 Euro soll er spenden, dann ist die Beleidigung vergessen. Mit den Anwalts- und Gerichtskosten ist es zwar für den Apotheker vermutlich eine Milchmädchenrechnung, aber manchmal geht es ums Prinzip und immerhin hat er jetzt keinen Ordnungsgeldbeschluss in seiner Akte.

Ohne böse Worte, aber dennoch deutlich hat sich Apothekerin Christine Jöntgen ihren Frust von der Seele geschrieben. Sie hat einen Kommentator gekontert und dafür bei Facebook viel Lob geerntet. Mit so viel Gegenwehr hatte der Autor wohl nicht gerechnet. Aber die Apotheker gerade im Fokus: Die taz hat sich in ihrer Satire-Rubrik „Die Wahrheit“ schon zum zweiten Mal binnen einer Woche mit der Offizin befasst. Nach den Thekenfürsten waren es jetzt die Rätsel für Dumme.

Die Linke ist nicht der Meinung, dass die Apotheker eine übermächtige Lobby haben. Die Fraktion hat bei der Bundesregierung nachgehakt, wie sie es mit den Versandapotheken hält. Das Bundesgesundheitsministerium protokolliert zwar nicht alle Gespräche und Anfragen der EU-Versender minutiös, weil das viiiiiel zu aufwändig wäre, aber auch das Gelieferte ist recht aufschlussreich. Die Kontrolle der Versender hinter der Grenze will die deutsche Regierung sich von den niederländischen Kollegen jedenfalls nicht aufs Auge drücken lassen. Naja, irgendwer wird schon zur Temperaturkontrolle vorbeischauen.

Bayer hat gegenüber den Apothekern erklärt, dass man von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft selbst aus der Presse erfahren habe und dass es sich eigentlich nicht um das Risiko von Iberogast handeln kann. Der Konzern bleibt dabei: Richtig dosiert ist das Magenmittel absolut sicher. In den USA hat Bayer zumindest einen Teilerfolg in einem Glyphosat-Streit errungen – die Strafe wurde gesenkt.

Wie man ganz leicht Geld spart, haben die Kassen mal wieder unter Beweis gestellt. Die Knappschaft etwa, die den Aufwand bei Medizinprodukten einfach an die Apotheken abwälzt. Oder die Techniker Krankenkasse, die eine Apotheke retaxiert, weil der Patient einen Tag zu früh verstorben ist.

Kehren wir zum Schluss noch einmal in die wohltemperierten Apotheken zurück: Da ist Apotheker Gerninghaus, der gezielt mit dem angenehmen Klima in seiner Offizin wirbt. Kollege Wolz, der zum Jubiläum Einblick hinter die Kulissen gewährt. Da ist die Frosch-Apotheke, deren Inhaber-Schwestern mit einer frechen Anzeige Verstärkung suchen. Und in dieser Apotheke ist es zwar nicht zu heiß, dafür fürchtet sie um die Anbindung an die Welt – Sperrgebiet. An der Luegallee in Düsseldorf zwar gut erreichbar wird die easy-Apotheke sein, das Prestigeprojekt wird aber erst im Oktober – nach einem Dreivierteljahr Leerstand – wiedereröffnet.

Wenn es in Ihrer Apotheke auch zu heiß ist, können Sie die Temperaturfibel lesen. Autorin und Celsius-Expertin Linn Born weiß, dass viele Kollegen noch Bedarf für Verbesserungen haben. Sie legt den Finger in die Wunde, hat aber auch konkrete Tipps. Ich habe auch einen: Hören Sie sich am Wochenende die neue Episode unseres Podcasts WIRKSTOFF.A an: Totenkopf im Handverkauf. Wie Chefs mit tätowierten Mitarbeitern umgehen und wann Lippenstift im HV zur Pflicht wird. Schönes Wochenende!

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