ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Ab vorgestern: Präqualifizierung für Tests und Zertifikate

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Berlin -

Zum Glück ist die Pandemie bald vorbei! Es ist Sommer, die Inzidenz ist schon fast eine negative Zahl und bald können sich die Apotheken wieder ihren liebsten Aufgaben widmen: Retaxstreitigkeiten, Dokumentation und Nasensprayberatung im Notdienst. Doch sie könnten sich noch wundern, denn das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat wichtige Lehren aus der Seuche gezogen: Auf die letzten Meter schaut es nochmal ganz genau hin!

Was haben sich die Apotheken in den vergangenen Wochen wieder bereichert! 18 Euro pro Impfzertifikat – da kriegt wirklich jeder eins. Und zur Sicherheit kann man ja auch gleich zwei oder drei pro Person ausstellen, man kann ja auch das Handy verlieren. „Tut mir leid, Hunde dürfen leider nicht mit in die Apotheke. Ach so, er braucht ein Impfzertifikat? Natürlich, kommen Sie rein! Und bitte vergessen Sie beim Rausgehen nicht, ihr Gesicht und den kleinen Napoleon nochmal vor die Luke dort zu halten, da machen wir gleich noch zwei Abstriche. Keine Sorge, Sie kostet das nichts!“ Es waren solche Szenen, zu entdecken in wirklich jeder deutschen Stadt, die das BMG endlich zum Einlenken bewegten.

Natürlich setzte Hausherr und Pharmazeutenbändiger Jens Spahn zuerst dort an, wo es richtig wehtut: beim Geld. Doch gibt es weniger Honorar, erschleichen sich die Apotheken die Steuergelder eben über höhere Kundenzahlen. Also zieht das BMG jetzt völlig neue Saiten auf, bisher ungekannte Maßnahmen: Eine strengere Regulierung musste her. Seit Donnerstag dürfen keine Corona-Schnelltests mehr durchgeführt werden, wenn sich die zu testenden Subjekte nicht per Personalausweis als lebende Menschen identifizieren können. Napoleon ist damit schon mal raus. So manches echte Menschenkind eventuell auch, aber man kann nun mal nicht auf alle Rücksicht nehmen.

Bleibt noch das Milliardengrab Impfzertifikate. Das BMG sah da eigentlich keinen Handlungsbedarf, schließlich handelt es sich dabei um eine dermaßen high-endige Technik, dass Betrug oder Missbrauch faktisch ausgeschlossen sind. Und die Apotheken haben sich als zertifizierte Zertifikats-PDF-Analysten und Mobilfunkendgeräteberater ja auch behauptet, das muss man ihnen lassen. Damit sie mal nicht weiterwissen, muss man ihnen schon Impfzertifikate von nicht-staatlichen Impfzertifikateherstellern vor die Nase halten.

Wie ein Paukenschlag rissen da die Datensicherheits-Experten von G Data das BMG aus seinem sommerlichen Hängemattenschlaf: Das System ist ein dilettantischer Schnellschuss, fanden die höchst investigativ heraus. Und zwar nicht nur wegen der vielen technischen Unzulänglichkeiten, sondern auch, weil es keinen Schutzmechanismus gegen die gefährlichste Schwachstelle überhaupt gibt: Apotheker, die aus persönlichen, weltanschaulichen oder – Obacht! – finanziellen Gründen Schindluder mit den Zertifikaten treiben – mutmaßlich auch, um ihren PTA die üppigen Stadtgehälter zahlen zu können. Und dann funktioniert auch noch der Server ausgerechnet dann einmal, wenn es um die Abrechnungen geht. Gerade damit hätte nun wirklich keiner rechnen können.

Also musste schärfere Regulierung her: Ab dem 8. Juli ist es verboten, digitale Zertifikate digital auszustellen. Nur wer seinen ganzen Körper in die Apotheke wuchtet, kriegt auch seinen QR-Code. Die Abda ist davon allerdings nur so semi-begeistert – nicht, weil es bereits Apothekerinnen und Apotheker gibt, die im Sinne zeitgemäßer Kundendienstleistungen vollkommen digital digitale Codes ausstellen, sondern weil es auch geimpfte Kinder geben soll, für die Mutti und Vati Impfzertifikate abholen. Aber für die gilt dann wohl dasselbe wie für diese rücksichtslosen Kleinstmenschen, die sich einen Test erschleichen wollen.

Und dennoch: Wer betrügen will, kann betrügen. Den Apotheken wird schlicht zu viel Vertrauen entgegengebracht. Und da nicht alle Apotheker die Corona-Einschränkungen für so übertrieben halten, wie es ein Kollege aus Lörrach tut, hilft da wohl nur, noch mehr zu regulieren und vorher auszusieben. Rückwirkend zum Tag des ersten Lockdowns treten deshalb neue Regelungen in Kraft: Ausweis und Dokumentenprüfung reichen nicht mehr, Apotheken müssen nun auch personenbezogene Plausibilitätsprüfungen inklusive Angabe konkreter Gründe zur Notwendigkeit von Test und Zertifikaten ausstellen sowie alles dokumentieren und mindestens bis zur nächsten Pandemie, maximal aber bis zum 30. Juli 2036 archivieren. Eine Über-80-Jährige, die sich mit mehr als zehn Freunden treffen will? Unrealistisch. Herr Moruk ist Stammkunde hier, die Apotheke weiß, dass er mit seinem Gesundheitszustand gar nicht mehr ins Ausland reisen darf. Zertifikat abgelehnt. Schöner Nebeneffekt: Den Frust über die Zurückweisung kriegen mal wieder die Apotheken ab, nicht die Politik.

Aber auch bei den Apotheken ist natürlich Vorsicht geboten: Damit diejenigen, die tatsächlich noch Anspruch auf Tests und Zertifikate haben, nicht auf einen der skrupellosen Zertifikateschwindler hereinfallen, hat sich das BMG vom GKV-SpiBu beraten lassen. Denn wer hat mehr Erfahrung in regulationsgeführter Gewinnspannenverringerung von Apotheken als die Kassentechnokraten? Die sind so bewandert auf dem Gebiet, dass sie sich nicht einmal etwas Neues einfallen lassen mussten, sondern bereits bewährte Mittel aus dem Ärmel zaubern können: Abstrichstäbe und QR-Code-Zettel sind ab dem 1. Juli Hilfsmittel! Ohne umfassenden Präqualifizierungsprozess darf die künftig keine Apotheke mehr verwenden oder abgeben. Und natürlich gilt die Pflicht zur Vorabgenehmigung der Kostenübernahme durch den MDK. Doch das BMG steht deshalb natürlich längst nicht voreingenommen aufseiten der Kostenträger: Ein teils monatelanger Prozess samt möglichem Rechtsstreit um die verweigerte Kostenübernahme ist bei Tests und Impfzertifikaten einfach nicht praktikabel, den kann man höchstens Cannabispatienten zumuten.

Viele hauptberufliche Zettelprüfer sitzen sowieso nur noch im Büro, um zuhause Heizkosten zu sparen. Also hat das BMG beschlossen, dass die Kassen nach einem durch ein zwölfköpfiges Expertengremium bestimmten Verteilungsschlüssel Kontrolleure abzustellen haben, die vor Ort prüfen und dokumentieren, dass die steuerfinanzierten Apothekenleistungen auch regulierungskonform erbracht werden. Selbstverständlich nur für die Kassen- und BMG-interne Verwendung. Die apothekeneigene Dokumentation muss weiter angelegt werden.

Das ist natürlich alles ein gehöriger zusätzlicher Aufwand für die Apotheken – aber die sind es ja gewöhnt. Außerdem können sie sich ja nun voll und ganz auf ihr Kerngeschäft Abstriche und Zertifikate konzentrieren. Nicht auszudenken, was jetzt los wäre, wenn diese Woche noch etwas anderes Wichtiges angelegen hätte! Ständig werden ja irgendwelche Neuerungen als grundlegend oder gar historisch verkauft. So wie damals, 2007, als Alaska als letzter US-Bundesstaat das E-Rezept eingeführt hat und dadurch endlich im gesamten Land Arzneimittel elektronisch verordnet werden konnten. So einen Stress erspart die deutsche Gesundheitspolitik den Apotheken in diesen komplizierten Zeiten lieber. Es ist schon ein Geniestreich: eine E-Rezept-Einführung ohne E-Rezepte – da kann man mit einer historischen Weichenstellung prahlen, ohne den Betroffenen deren Mühen aufzuhalsen. Nur für die Versender ist das halt ärgerlich, aber wiederum auch nicht so schlimm: Das Internet ist ja auch digital. Und da gibt es so viele schöne Apothekenbildchen umsonst, dass man es auch einfach so aussehen lassen kann, als wäre die eigene Plattform schon voller Partner. Das war zwar ärgerlich für die Betroffenen, aber die Laune haben sie sich davon nicht verderben lassen. Und sie hoffentlich auch nicht, deshalb: ein schönes Wochenende!

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