Projekt Autofreie Zone

Abgeschnitten: Apotheke plötzlich im Sperrgebiet

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Berlin -

Die gute Erreichbarkeit einer Apotheke kann für den Erfolg des Betriebs entscheidend sein. Sind etwa durch eine Baustelle Zufahrtswege eingeschränkt, wirkt sich dies regelmäßig auf die Besuchsfrequenz aus. Der Kaiser-Apotheke in Hamburg steht eine ganz andere Hürde bevor: Ab September wird die Straße vor der Tür für sechs Monate wegen eines Modellprojekts tagsüber für den Verkehr komplett gesperrt. Auch Großhändler dürfen die Apotheke ab mittags nicht mehr anfahren.

Die Einzelhändler im Hamburger Stadtteil Ottensen befürchten ab September erheblich Umsatzeinbußen. Dann dürfen mehrere Straßen nicht mehr befahren werden. Nur noch Anwohner oder Händler mit Ausnahmegenehmigung kommen rein. Dazu benötigt man einen Parkplatz im Hinterhof oder einen privaten Stellplatz. Die übrigen Anwohner oder Geschäftsleute sowie Besucher und Kunden müssen zu Fuß gehen. Apothekerin Anette Kaiser-Villnow ist mit den Plänen alles andere als zufrieden.

Für die Inhaberin der Kaiser-Apotheke, die mitten in der autofreien Zone liegt, handelt es sich um eine „Hauruck-Aktion“. Im März beschloss die Bezirksversammlung Altona ab September 2019 auf Abschnitten der Bahrenfelder Straße, der Ottenser Hauptstraße und der Großen Rainstraße das Projekt „Ottensen macht Platz“ für einen Zeitraum von einem halben Jahr umzusetzen. Dadurch soll das Gebiet für Anwohner attraktiver werden. „Sechs Monate Probezeit ist haarig, man hätte ja auch erstmal mit Wochenenden anfangen können“, findet die Apothekerin.

Die Apotheke kann ab dem Herbst von Kunden nur noch zu Fuß erreicht werden. Der gesperrte Bereich umfasst in ihrer Straße rund 400 Meter. Der Start liegt etwa 200 Meter entfernt. Dort gebe es aber keine Parkplätze, die Parkhäuser liegen weiter entfernt. Lieferanten sind nur in der Zeit zwischen 23 und 11 Uhr erlaubt. „Das wird nicht funktionieren. Ich lebe als Apothekerin davon, dass ich schnell lieferfähig bin.“

Aktuell erhält sie bis zu acht Lieferungen pro Tag. Die Großhändler müssten ab September tagsüber am Rand des Sperrgebiets parken. Die Fahrer hätten gar keine Zeit, mehrere Kisten hin und her zu schleppen, sagt Kaiser-Villnow. „Den Lieferverkehr nachts durch die Straße zu jagen, finde ich abstrus“, sagt Kaiser.

Auch für den Notdienst sieht die Apothekerin Probleme auf sich zukommen. „Ich habe hier zwei Kinderkrankenhäuser mit vielen Rezepten aus der Klinik. Da kann man doch nicht erwarten, dass die Eltern nachts das kranke Kind alleine im Auto lassen oder es in die Apotheke tragen“, sagt sie. Wenn der Betrieb im Notdienst nicht erreichbar sei, könne sie es auch lassen. Dem Bezirk zufolge sollen „Krankentransporte“ zwar erlaubt sein, was mit dem Apothekennotdienst ist, ist aber nicht genau beschrieben.

Auch für Taxis sind die Straßen gesperrt. „Ich habe manchmal Kunden, die mit dem Taxi kommen oder denen wir eines rufen müssen. Das geht dann nicht mehr“, so die Apothekerin. Auch die Anwohner haben der Inhaberin zufolge Bedenken, dass es durch die Lieferverkehrszeiten nachts sehr laut werde. Zudem fragten sich einige, wie sie die Wasserkisten oder schlafende Kinder künftig nach Haus bekommen. „Das ist doch auch nicht anwohnerfreundlich“, kritisiert Kaiser-Villnow. Auch bei den Restaurantbesitzern gebe es Bedenken, dass abends Kunden wegblieben. Ein Blumenhändler, der sich am Online-Versand beteiligt, sowie ein Fahrschulen-Besitzer befürchteten Einschränkungen.

Die Apothekerin begrüßt an sich, dass sich der Bezirk Gedanken um die anwohnerfreundliche Gestaltung des Stadtteils macht. „Ich finde es gut, dass etwas getan wird, nur sollte das mit der Realität vereinbar sein.“ Sinnvoller und lebenswerter als eine komplette Sperrung sei es, die alten und schmalen Bürgersteige zu verbreitern, Parkflächen zu reduzieren und die Geschwindigkeit über sogenannte Verkehrspoller zu reduzieren. Zudem würden Parkuhren zwischen 8 und 20 Uhr für Fluktuation für die Geschäfte und danach für freie Flächen für die Anwohner sorgen.

Kaiser-Villnow kritisiert, dass die Gewerbetreibenden zu spät ins Boot geholt worden seien. Es habe im Mai eine Anhörung gegeben. Dort habe man angeregt, Ideen einzubringen. „Die haben sich vorher überhaupt keine Gedanken gemacht.“ Es sei zwar gut, die Lebensqualität in den Städten zu erhöhen. Doch die Politik dürfe solche einschneidenden Projekte nicht „übers Knie brechen“ und in erster Linie auf EU-Gelder hoffen. „Die Infrastruktur dafür muss vor einem Beschluss geschaffen werden und nicht danach.“

Auf der Internetseite des Projekts sind noch keine Termine für weitere Informationsveranstaltungen für Gewerbetreibende genannt. „Ich hoffe, dass es noch eine Anhörung geben wird. 90 Prozent der Geschäftsleute sehen das Projekt kritisch“, so die Apothekerin. Sie hat vorsorglich Kontakt mit einem Anwalt aufgenommen. „Wenn meine Umsätze nach zwei Monaten einbrechen, muss ich etwas tun.“ Der September könnte noch entspannt verlaufen, sagt sie. Doch gerade für die folgende „dunkle Jahreszeit“ befürchtet sie hohe Einbußen.

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