HIV-Prophylaxe

PrEP: Werden Neuinfektionen sinken? APOTHEKE ADHOC/dpa, 24.11.2017 14:46 Uhr

Berlin - 

Neue Daten haben es gerade erst wieder belegt: Deutschland gelingt es bisher nicht, die Zahl der HIV-Neuinfektionen pro Jahr zu senken. Mit Spannung beobachten Experten, ob die PrEP etwas bewirken kann.

Die tägliche Dosis gegen HIV kommt in kleinen Plastikbeutelchen von der Rolle. Das Medikament zur Vorbeugung, das sich Interessierte lange Zeit bei fragwürdigen Quellen im Ausland bestellten, ist seit Oktober in Deutschland erschwinglicher. Der Preis sank durch eine Initiative von Apotheker Erik Tenberken von mehreren Hundert auf 50 Euro monatlich – bezahlen müssen die User die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) aus eigener Tasche.

Inzwischen seien bereits 1349 Rezepte eingelöst worden, so Professor Dr. Hendrik Streeck, der eine Begleitstudie leitet und Direktor des Institut für HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen ist. In Berlin sind aktuell acht Apotheken Teil des Pilotprojekts, bislang wurden 679 Rezepte beliefert. In Köln waren es 168, in Hamburg 77 und in München 144 Rezepte. Tenberkens Taktik in den großen Städten zu beginnen, ist aufgegangen. In der Zwischenzeit sind weitere Apotheken aus Städten wie Dresden, Kassel, Jena, Tübingen, Chemnitz, Hagen, Münster, Kiel, Koblenz und Essen ebenfalls Teil des Projektes.

Streeck arbeitet für die Studie PRIDE eng mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusammen. Die Studie soll Daten und Fakten schaffen, die das Pilotprojekt von Tenberken untermauern sollen und den Weg zur Erstattungsfähigkeit ebnen. Streeck ist sich sicher: „Die Fakten sprechen für sich.“

Die große Frage dabei: Infizieren sich von nun an nachweislich weniger Menschen mit dem Virus? Diese Hoffnung verbinden Experten mit der 2016 in der EU zugelassenen PrEP. Truvada (Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil, Gilead) hatte in Deutschland als erstes Arzneimittel die Zulassung für die PrEP erhalten. Die Fixkomination ist in der Dosierung 200/245 mg als Dauermedikation zugelassen – jedoch nicht für die anlassbezogene PrEP. Mit dem Auslaufen des Patents im Juli zogen die Generikahersteller nach.

In anderen Ländern wie Großbritannien wurde in dem Zusammenhang bereits ein Rückgang beobachtet. In Deutschland hingegen stagniert die Zahl der Neuinfektionen seit Jahren. Im Vorjahr steckten sich nach Berechnungen, die das Robert Koch-Institut (RKI) zum Welt-Aids-Tag veröffentlichte, 2500 Männer und 570 Frauen mit dem Immunschwäche-Virus an. Stark betroffen ist Berlin, wo Streeck nun auch viele PrEP-Verschreibungen zählt.

Zielgruppe der PrEP sind Menschen, die wegen häufig wechselnder Geschlechtspartner ein großes Risiko für eine Ansteckung mit HIV und somit ein besonders hohes Infektionsrisiko haben – nicht für Jedermann. Die Form der Anwendung ist recht neu, das Medikament an sich jedoch schon seit Jahren für die Therapie HIV-Infizierter zugelassen. Die Fixkombination soll die Virusvermehrung in den Zellen hemmen und bei regelmäßiger Einnahme einen hohen, wenn auch keinen 100-prozentigen Schutz vor HIV bieten.

User müssen einige Voraussetzungen erfüllen. Zum einen muss eine bestehende HIV-Infektion ausgeschlossen sein. So sollen Resistenzen verhindert werden, da nur Menschen behandelt werden, die das Virus nicht tragen. Alle drei Monate findet eine erneute Kontrolle statt. Klar ist auch: Die Tabletten schützen nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen wie Syphilis. Darum ist die PrEP nur „in Kombination mit Safer-Sex-Praktiken“ zugelassen.

Noch ist aber nicht ganz klar, wie das wichtige Monitoring gesichert werden kann – denn auch dabei stehen die Zeichen auf Selberzahlen. Der Weg zur PrEP führt bis jetzt nur über eigens geschulte Ärzte und 20 bis 30-minütige Beratungen in einer der Apotheken, die sich an Tenberkens Pilotprojekt beteiligen. Bislang rund 60 an der Zahl. Beim Kauf bekommen Kunden neben Infomaterial und Antworten auf Fragen rund um die korrekte Einnahme auch den Hinweis zur Studie von Streeck.

Was weiß Streeck dank Online-Fragebogen über die Nutzer? Bislang seien es eher Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen, die sich die PrEP leisteten, sagt der Studienleiter. Trotz des im Vergleich niedrigen Preises bleibt die PrEP ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. Einige User geben an, die Tabletten zuvor aus dem Ausland bezogen zu haben. Befragte hätten oft angegeben, schon vorher keine Kondome benutzt und bereits andere sexuell übertragbare Erkrankungen gehabt zu haben, sagt Streeck. Als Grund für den Kondom-Verzicht würden Erektionsstörungen genannt, aber auch der Wunsch des Partners. Die Motive für das Interesse an der PrEP seien gemischt. „Viele wollen zusätzlichen Schutz“, sagt der Forscher. Spätestens in einem Jahr will er Bilanz ziehen.

Ein in Teilen anderes Bild zeichnet die Berliner Apothekerin Claudia Neuhaus. „Das sind sehr gewissenhafte Menschen“, sagt die Inhaberin der Witzleben-Apotheke über die PrEP-Nutzer. Sie gäben an, trotz der Medikamente Kondome zu benutzen. Gerade in Beziehungen, in denen ein Partner HIV-positiv sei, gehe es um zusätzliche Absicherung, falls zum Beispiel das Kondom reiße. Am Medikament verdienten Apotheken rund zehn Euro, sagt Neuhaus. Wegen der aufwendigen Beratung bleibe unter dem Strich nichts liegen. „Das ist Pionierarbeit. Wir möchten die Verbreitung von HIV minimieren.“

Die Zahlen müssten runter, gibt auch Tenberken als Ziel an – es gelte jetzt, die Versorgung mit der PrEP zu stabilisieren. Für das Pilotprojekt holte sich der Apotheker Hexal mit ins Boot, außerdem kam Tenberkens Blisterzentrum Kölsche Blister ins Spiel. Hexal hat für dieses Projekt eigens eine Dosenware zu 90 Tabletten auf den Markt gebracht, die dann in in Einheiten à 28 Tabletten verblistert wird. So kann der Apotheker seinen Rabatt weitergeben, er muss lediglich die Aufschläge nach Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) dazurechnen. Im Ergebnis kostet die PrEP dann 50,05 Euro – ein Zehntel des üblichen Abgabepreises.

Das RKI schreibt in einem aktuellen Bericht: „Es wird interessant sein zu verfolgen, wie viele Menschen von dieser neuen Möglichkeit Gebrauch machen werden und ob die Zahl der PrEP-Nutzer so groß wird, dass sich dies auf die HIV-Neuinfektionszahlen auswirkt.“

Ein Blick nach Frankreich legt nahe, dass es wohl auch in Deutschland noch mehr Bedarf gäbe: Dort beugen Streeck zufolge etwa 4500 Menschen mit der PrEP vor, allerdings könne sie dort auch von den Kassen übernommen werden. Für Deutschland schätzt Streeck 8000 Nutzer. Eine Übernahme der Kosten auch hier fordert die Deutsche Aids-Hilfe schon länger. Und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ) rechnete vor, dass die Prophylaxe günstiger sei als die langfristige Behandlung HIV-Infizierter. Es geht um tausende Fälle, die demnach in den nächsten Jahren vermeidbar wären.

Laut einer Studie von Erasmus MC Rotterdam in Zusammenarbeit mit der DAGNÄ und dem RKI könnte die PrEP – die Einführung im kommenden Jahr vorausgesetzt – bis 2030 etwa 9000 HIV-Neuinfektionen verhindern. Ein Grund mehr für Tenberken, für die Erstattung durch die Krankenkasse zu kämpfen.