Lieferengpässe

Apothekerin organisiert Impfstoff-Verteilung Nadine Tröbitscher, 23.11.2018 10:25 Uhr

Berlin - 

„Schon bei dem Wort ‚Grippeimpfstoff‘ reagiere ich polyallergisch“, erzählt eine Apothekerin aus der Region Niedersachsen/Rheinland Pfalz. Seit 5. November ist die Landapothekerin aus dem Urlaub zurück – und mittendrin im Impfstoffwahnsinn. Es fing schon damit an, dass der Großhandel die Vorbestellungen doppelt ausgeliefert hatte. Der Apothekerin war schon zu diesem Zeitpunkt klar: „Es wird einen Engpass geben.“ Zur Schuldfrage und den Lösungsvorschlägen des Gesundheitsministers hat die Pharmazeutin eine klare Meinung.

Anfang vergangener Woche warteten in der Apotheke noch 31 Packungen mit je zehn Einzeldosen auf ihre Abnehmer. Jetzt ist der Kühlschrank leer. „Die letzte Impfdosis ist ‚vertickt‘“, freut sich die Apothekerin. Die Packungen sind bei den Ärzten angekommen, die sich an die Vorgabe der AOK Niedersachsen gehalten hatten, möglichst wenig Impfstoff vorzubestellen, und die bei der Verteilung das Nachsehen hatten. „Muss es irgendwen wundern, wenn Kassenärzte nicht das finanzielle Risiko für gegebenenfalls nicht verimpfte Vakzine für die Krankenkassen übernehmen wollen?“

Der Apothekerin war wichtig, den doppelt gelieferten Impfstoff an Ärzte zu liefern, die bereits einen Mangel hatten. Doch diese mussten erst einmal gefunden werden. Also hieß es telefonieren. „Ich habe mich mit der Kassenärztlichen Vereinigung, Ärzten und Kollegen in Verbindung gesetzt. Glücklicherweise hatte ich auch einige Impfdosen Vaxigrip Tetra, darum habe ich erstmal die Kinderarztpraxen informiert.“ Denn die Vakzine kann bereits an Kinder verimpft werden.

„Man muss miteinander reden, dann funktioniert es auch“, sagt die Apothekerin, die sich so in der Not ein kleines Netzwerk aufgebaut hat. Viele Praxen haben sich für das Engagement der Landapothekerin bedankt. „Viele wissen gar nicht, wie lange es dauert, den Grippeimpfstoff zu produzieren“, so die Apothekerin. Bis zu sechs Monaten kann die Herstellung in Anspruch nehmen.

Vom Aufruf der AOK hält die Pharmazeutin nichts. „Prinzipiell lässt sich der Bedarf für die Ärzte ja einfach anhand der verimpften Dosen der Vorsaison ermitteln. Hinzu kommt in dieser Saison auf Grund der vielen Grippefälle im letzten Winter wohl ein größeres Interesse der Bevölkerung für diese Impfung. Immerhin lag die Impfrate bei den über 60-Jährigen in den letzten Jahren nur etwas über 30 Prozent, da ist also viel Luft nach oben.“

Vorbestellungen waren in diesem Jahr bis Juni möglich. „Wenn aber die AOK die Ärzte auffordert, die voraussichtlich benötigte Menge nicht vorab zu bestellen, sondern erst in der Impfsaison immer nur bei Bedarf kleine Mengen zu verordnen, muss sich niemand wundern, wenn im Akutfall nicht genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen.“

So wie die Kassen, wollen auch die Hersteller, Ärzte und Apotheker kein finanzielles Risiko. Immerhin kostet eine 10er-Packung die Apotheken zwischen 90 und 100 Euro im Einkauf, pro Impfdosis gibt es eine bescheidene Marge von 60 Cent.

Vom Lösungsvorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist die Apothekerin nicht begeistert. „Hat dem Minister einmal jemand erklärt, dass auch außerhalb Deutschlands Grippeimpfstoffe zum Impfen benötigt werden und dort nicht einfach auf Halde liegen, um sie nach Deutschland zu exportieren, falls man dort die Versorgung nicht geregelt kriegt?“

„Weiß er, dass die Hersteller jetzt die Impfstoffe für die Südhalbkugel produzieren und für unsere Region seit dem 2. November keine Impfdosen mehr vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) freigegeben wurden? Und dass nur 15,7 Millionen Dosen und damit weniger als letztes Jahr zur Verfügung stehen beziehungsweise standen? Woher sollen denn Gesundheitsämter die Großpackungen nehmen zum Auseinzeln? Glaubt jemand, dass dort die Impfstoffgroßpackungen – natürlich ohne Kanüle! – gehortet werden?“

Einen nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag für Spahn hat sie auch noch: Um den Impfstoff gezielter zu verteilen, könnten doch die Altersbeschränkung auf 70 Jahre angehoben und die Risikogruppen eingeschränkt werden. Dann, so die ironische Logik, wäre genug Impfstoff für die verbleibenden Patienten da.