Pharmahandelskonzerne

Pessina schwächt McKesson Patrick Hollstein, 29.10.2015 14:49 Uhr

Berlin - 

Mit der Übernahme der US-Apothekenkette Rite Aid durch Walgreens Boots Alliance (WBA) schlägt Konzernchef Stefano Pessina gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Er gewinnt noch einmal massiv an Einkaufsmasse, sichert sich Zugriff auf einen eigenen Pharmacy Benefit Manager (PBM) – und trifft den Konkurrenten McKesson an seiner vielleicht empfindlichsten Stelle. Der Mutterkonzern von Celesio gibt sich betont gelassen.

Etwa 9,4 Milliarden US-Dollar zahlt WBA für Rite Aid mit 4600 Filialen; unter Berücksichtigung übernommener Schulden liegt das Gesamtvolumen sogar bei 17,2 Milliarden Dollar. Laut Pessina ging es bei dem Deal nicht darum, noch mehr Macht für die Verhandlungen mit der Industrie aufzubauen. Man wisse, dass die Margen schlecht seien, versuchte Pessina seine Lieferanten zu beschwichtigen. Im Fokus stünden vielmehr Synergien, die im eigenen Geschäft gehoben werden könnten.

Doch es ist kein Geheimnis, dass der Italiener mit WBA ein Gegengewicht zu den international aufgestellten Pharmakonzernen aufbauen will: „Größe ist – neben Profitabilität – in ökonomischer Hinsicht sehr wichtig, vor allem wenn es um die Beziehung zu Lieferanten und den Einkauf geht“, sagte Pessina 2010 im Interview mit APOTHEKE ADHOC. Und an anderer Stelle: „Ich habe immer geglaubt, dass insbesondere das Großhandelsgeschäft Global Player benötigt, weil die Pharmaindustrie global aufgestellt ist. Ich war überrascht, dass der Markt keinen globalen Pharmahändler hat.“

Schon vor Jahren hat sein Konzern im schweizerischen Zug eine Einheit aufgebaut, die der Industrie Rückvergütungen für ihren weltweit größten Kunden abringen soll. Mit knapp 18.000 statt 13.000 Apotheken kann sein Team nun noch einmal selbstbewusster in die Verhandlungen gehen. Der Clou: Mit der Übernahme von Rite Aid schwächt Pessina seinen größten Konkurrenten – McKesson.

McKesson hatte versucht, beim transatlantischen Aufrüsten den Anschluss zu halten und vor zwei Jahren Celesio gekauft. Parallel war das Management in den USA unter Zugzwang gekommen: Der Großhändler AmerisourceBergen (ASB) hatte dem Konkurrenten Cardinal Health die Apothekenkette Walgreens als Großkunden weggeschnappt – und damit 20 Milliarden Dollar Umsatz. Cardinal holte sich daraufhin den Umsatz, den McKesson bis dahin mit CVS gemacht hatte – rund 12 Milliarden Dollar. Mit Rite Aid konnte sich McKesson wenigstens die Nummer 3 unter den großen Apothekenketten sichern.

Die Übernahme von Rite Aid durch WBA könnte dieses Gefüge nun wieder deutlich auseinanderbrechen lassen. Bis März 2019 läuft der Liefervertrag mit McKesson, doch spätestens dann dürften Pessina und seine Partner von ASB auf Ablösung drängen. Dann würde der Konzern mit Sitz in San Francisco empfindlich geschwächt: 95 Prozent seiner Ware im Rx-Bereich bestellte Rite Aid im vergangenen Jahr bei McKesson – rein rechnerisch rund 13 Milliarden Dollar. Pessina weiß, dass diese Umsätze für das Kickback-Team von McKesson in London nur schwer aufzufangen sein dürften.

Noch gibt man sich beim Celesio-Mutterkonzern gelassen: „Auf nahe Sicht läuft unser Geschäft weiter wie gewohnt“, sagt ein Sprecher. Auch für die zukünftigen Herausforderungen sieht man sich bestens aufgestellt: „Wir sind gut positioniert, mit signifikanter globaler Reichweite, einer tiefen Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, einem führenden Marktanteil in den unterschiedlichen Segmenten, exzellenter finanzieller Stärke und Flexibilität und einem hervorragenden Management mit einer konstanten Erfolgsbilanz. Wir werden an unserer Strategie festhalten, gemeinsam mit unseren Geschäftspartnern diese neue Ära der Gesundheitsversorgung gedeihen zu lassen.“

Zurück zu Pessina. Der verbessert nicht nur gegenüber den Herstellern, sondern auch gegenüber den Kostenträgern in den USA seine Position deutlich. Mit rund 12.900 eigenen Filialen gehört seinem Konzern künftig jede fünfte Apotheke im Land: Rund 23.000 unabhängigen Apotheken stehen knapp 20.000 Filialen der großen Ketten gegenüber sowie 9000 Supermärkte und 8000 SB-Warenhäuser mit angeschlossenem Apothekenschalter.

Dazu bringt Rite Aid ein „Sahnehäubchen“ mit: Im Februar hatte der Konzern für 1,8 Milliarden Dollar EnvisionRx übernommen; als PBM verhandelt das Unternehmen die Arzneimittel- und Apothekentarife für Arbeitgeber und Krankenversicherungen und rechnet die eingelösten Rezepte ab.

Zwar spielt EnvisionRx nicht in derselben Liga wie Express Scripts, Caremark oder OptumRx, die sich 70 Prozent des Marktes teilen. Doch für WBA war die Übernahme eine gute Chance, verlorenes Terrain zurück zu gewinnen: Im März 2011 hatte Walgreens den hauseigenen PBM „Walgreens Health Initiatives“ für 525 Millionen Dollar verkauft; heute gehört das Geschäft zu Optum. Damit war ausgerechnet der Branchenprimus zuletzt die einzige große Kette in den USA, die nicht mit einem PBM verbandelt war und die damit außer ihrer Marktmacht keinen Hebel hatte, Versicherte in die Filialen zu steuern.

Ob Pessina den Geschäftsbereich tatsächlich auf Dauer behält, steht in den Sternen. Derzeit habe man diese Absicht, aber wie alle anderen Teile von Rite Aid komme auch EnvisionRx nach Abschluss der Übernahme auf den Prüfstand. Pessinas Fokus liegt jedenfalls auf den Bereichen Health & Beauty; schon im Januar hatte er gezeigt, wohin die Reise geht und wenige Woche nach der Übernahme des Chefsessels das Infusionsgeschäft von Walgreens mehrheitlich an den Finanzinvestor Madison Dearborn verkauft.

Andererseits muss auch Pessina die Konkurrenz im Blick behalten. CVS hatte zuletzt nicht nur das Gesundheitsgeschäft der Supermarktkette Target mit 1660 Apotheken in 47 Bundesstaaten für 1,9 Milliarden Dollar übernommen, sondern parallel für 12,7 Milliarden Dollar den Heimversorger Omnicare. Zum Konzern mit nunmehr 9400 eigenen Filialen gehört außerdem seit einigen Jahren der PBM Caremark.

Vor fünf Jahren war der Streit zwischen Walgreens und dem Rivalen schon einmal eskaliert. Weil Caremark laut Walgreens nach der Fusion mit CVS eine Reihe von Programmen aufgelegt hatte, mit denen Kunden gezielt umgeleitet wurden, kündigten die Konzerne schließlich wechselseitig ihre Geschäftsbeziehungen. Nach einer verlustreichen Schlammschlacht in der Öffentlichkeit einigte man sich später.