Alliance Boots

Prinzip Pessina Patrick Hollstein, 23.06.2012 08:01 Uhr

Berlin - 

Wenige Konzerne verraten in ihrem Namen soviel über sich wie Alliance Boots. Einerseits steht die Doppelmarke für das duale Geschäftsmodell: Alliance für Großhandel, Boots für Apothekenkette. Andererseits spiegelt der Name die Geschichte wieder – und die Strategie, mit der der Konzern das wurde, was er heute ist. Vermutlich hatte Firmenchef Stefano Pessina schon in den 1970er Jahren eine klare Vorstellung davon, wie man zum „König der Arzneimittel“ wird: Allianzen sollten in den nächsten drei Jahrzehnten zum Schlüssel für den Erfolg des Italieners werden. Nur auf dem Papier gab er dabei immer mehr Kontrolle ab – die Macht behielt er. Auch beim ersten globalen Apothekenkonzern könnte Pessina die Schlüsselfigur werden.

 

Zwar haben Pessina und KKR den Umsatz von Alliance Boots in den vergangenen fünf Jahren von 14,6 auf 25,4 Milliarden Pfund gesteigert und den operativen Gewinn fast verdoppelt. Auch bei den Kosmetikmarken ist der Erfolg beeindruckend. Doch strukturell ist vieles angefangen, aber nicht alles zu Ende gebracht.

Beispiel Anzag: In Frankfurt haben andere Aktionäre immer noch eine Sperrminorität. Beispiel China: Die Briten sind über ein Joint Venture vertreten – das ist zwar üblich, kann aber bekanntermaßen auch richtig schief gehen. In Russland und Italien ist Alliance Boots nur Minderheitsaktionär – weil der Rest vor kurzem auf Pessina und KKR übertragen wurde. Das 25-prozentige Paket an der schweizerischen Galenica wollten die Amerikaner gleich gar nicht mit haben – was übrigens den Alteigentümern 800 Millionen Euro zusätzlich bringt.

Wenn es also diese Freiheiten waren, die Pessina dazu brachten, Boots von der Börse zu nehmen, so muss er nun noch gewaltig aufräumen, um den Konzern über Walgreens zurück an die Aktienmärkte zu bringen. In Deerfield, Illinois, wird man den Italiener und sein Team vermutlich noch länger brauchen.

Auch wenn Pessina keinen Wert auf große Ämter legt – die Fäden hat bei Boots nur einer in der Hand. Als vor einem Jahr CEO Andy Hornby wegen Überlastung das Handtuch warf, musste der Posten erst gar nicht erst neu besetzt werden.

Vielleicht wird Pessina bei Walgreens aber auch die Macht an sich nehmen und persönlich dafür sorgen, dass seine Vision eines globalen Apothekenkonzerns noch Wirklichkeit wird. In drei Jahren wird der dann 71-Jährige neben KKR mit 8 Prozent immerhin der größte Aktionär sein. Widerstände von anderen Großaktionären sind nicht zu erwarten, ganz einfach weil es keine gibt.

Der heutige Walgreens-CEO Gregory Wasson ist Apotheker und seit 1980 bei dem Konzern, der bislang in erster Linie eine Apothekenkette ist. Pessina ist Großhändler, Kettenbetreiber, Hersteller und Visionär: Die nächste Allianz mit Procter & Gamble ist im Kleinen bereits eingeleitet. Solange kann Pessina sich darüber freuen, so viele Apotheken wie niemand sonst auf der Welt zu besitzen – auch wenn er nach eigenem Bekunden gar kein Fan von Apothekenketten ist.

In drei Jahren wird Alliance Boots aller Voraussicht nach der US-Apothekenkette Walgreens gehören. Pessina und seine Partner haben dann ein gutes Geschäft gemacht: Alleine für das 45-prozentige Paket zahlt Walgreens jetzt 6,7 Milliarden US-Dollar – das sind gut 85 Prozent der Summe, die die Boots-Eigner vor fünf Jahren aus eigener Tasche investiert haben.

Die Komplettübernahme wird den Einsatz sehr wahrscheinlich verdoppeln, auch wenn es drei Jahre länger gedauert hat als geplant: Im Sommer 2015 werden Pessina und seine Partner 8,9 Milliarden Dollar in bar sowie Walgreens-Aktien im Wert von 7,3 Milliarden Dollar bekommen haben. Die Schulden, die dann noch auf dem Konzern lasten – derzeit sind es rund 7 Milliarden Pfund –, übernehmen ebenfalls die Amerikaner.

An der Börse kam der Deal bislang nicht gut an. Der Walgreens-Kurs notierte so tief wie zuletzt Ende 2010. Viele Analysten finden den Deal zu teuer, der Nutzen wird nicht gesehen: Walgreens solle sich auf die Probleme im Heimatmarkt konzentrieren und sich nicht im ohnehin wackeligen Europa engagieren, wo zu allem Übel auch noch Apothekenketten weithin verboten sind. Auch die Gigantomanie („Global health and wellbeing“) verfängt längst nicht mehr bei allen Amerikanern.

Erst umarmen, dann einverleiben – nach diesem Motto brachte es Pessina vom lokalen Großhändler zum europäischen Marktführer. Vier Jahre lang hatte er in der Großhandlung seines Vaters in Neapel gearbeitet, als er mit Wettbewerbern 1977 die „Alleanza Farmaceutica“ gründete.

Allianz wurde zum Synonym für Übernahme: Als Pessina das durch Zukäufe gewachsene Unternehmen 1991 mit französischen Großhändlern zu „Alliance Santé“ fusionierte, gehörte er bereits zu den Marktführern.

1998 folgte die Fusion mit der britischen UniChem, die eigene Apotheken in das Gemeinschaftsunternehmen mitbrachte. An „Alliance UniChem“ hielt Pessina 30 Prozent der Anteile.

Der Zusammenschluss mit der Drogeriekette Boots, von langer Hand vorbereitet und angeblich auf einer Luxusyacht vor Sardinien besiegelt, verwässerte Pessinas Anteil im Juni 2006 auf 15 Prozent. Trotzdem hieß der Konzern jetzt nicht etwa „Boots UniChem“, sondern trug als „Alliance Boots“ die Handschrift des Patriarchen. Die britische Traditionsmarke wurde 2009 genauso weggefegt wie jetzt die Anzag. Pessina ist Alliance.

Während man in England noch die Megafusion feierte, schlug der „Silberfuchs“ schon wieder zu. Im April 2007 nahm Pessina den Konzern von der Börse. Er wolle seine Vision schneller voranbringen – und nicht im Quartalstakt Rechenschaft ablegen.

Pessina und der US-Finanzinvestor KKR investierten jeweils rund 1,3 Milliarden Pfund und teilten sich die Anteile. Als stille Gesellschafter kam eine Gruppe von Investoren an Bord, darunter die Hexal-Brüder Thomas und Andreas Strüngmann. Der größte Teil des rund 12 Milliarden Pfund schweren Deals wurde fremdfinanziert; die Schulden für die Übernahme wurden dem Konzern übergestülpt.