Interview Dr. Stefan Hartmann

Plädoyer für die Clan-Apotheke Alexander Müller, 16.05.2019 09:58 Uhr

Berlin - 

Dr. Stefan Hartmann machte sich 1996 als Apotheker selbständig. Im Januar 2004 übernimmt er eine zusätzliche Apotheke als Filialapotheke und kombiniert das Ganze mit einer Neugründung – er gilt damit als einer der Pioniere in Sachen Filialisierung. Heute hat er vier Apotheken und dahinter eine Unternehmensgruppe. Hartmann outet sich aber als Fan einer noch größeren Konstruktion: dem Clan-Verbund. Denn Aufgabenteilung in einer Gruppe aus Apotheken steigert aus seiner Sicht nicht nur Effizienz und Gewinn, sondern auch die Qualität.

ADHOC: Mutter vier Apotheken, Sohn vier Apotheken und dessen Ehefrau auch nochmal vier – meinen Sie das mit Ihrem Begriff der Clan-Apotheken?
HARTMANN: Es gibt solche Konstruktionen, aber es muss nicht immer die Familie sein – auch wenn Eltern-Kinder-Ehepartner in einem Verbund sicherlich die häufigste Form sind. Aber auch zwei Studienfreunde können einen Clanverbund gründen, es kommt immer auf die Ausgestaltung an.

ADHOC: Wo sehen Sie die Vorteile?
HARTMANN: Es gibt eine ganze Reihe an Vorteilen. Nach Außen ist es offensichtlich die Positionierung gegenüber allen Marktteilnehmern. Mit zwölf Apotheken verhandelt man anders als mit einer. Eine durchschnittliche Apotheke mit 2,5 Millionen Euro Umsatz und 6 Prozent Gewinn, erwirtschaftet 150.000 Euro. Geht man bei einem 4er-Filialverbund wegen der höheren Personalkosten von 3 Prozent Gewinn und entsprechend 10 Millionen Euro Umsatz aus, bleiben unter dem Strich 300.000 Euro. Daraus leitet sich alles andere ab. Der größte Vorteil liegt meiner Meinung nach in der Aufgabenverteilung. Da gibt es schon in einem Filialverbund wie bei mir Synergieeffekte, aber die lassen sich in einer zusammengehörenden Gruppe, einem Clan, noch steigern.

ADHOC: In welchen Arbeitsbereichen zum Beispiel?
HARTMANN: Das gesamte Backoffice lässt sich wunderbar auf mehrere Schultern verteilen: Musterarbeitsverträge, Preiskalkulation, Direktbestellungen, Umsetzung der DSGVO, Hilfsmittellieferverträge, Systeme zur Arbeitszeiterfassung und vieles mehr. Wenn der Clan-Verbund dann eine Firma gründet, die diese Aufgaben zentral übernimmt, fände ich das eine ideale Lösung.

ADHOC: Keine Vorbehalte gegen die Zentralisierung von Aufgaben, Stichwort: Apotheke light?
HARTMANN: Zum Glück wurde durchgefochten, dass Filialverbünde Rezepturen in einer Apotheke herstellen dürfen. Wir machen das bei uns so, haben ein top ausgestattetes Labor und Mitarbeiter, die nichts anderes mehr machen. Die Qualität ist auf jeden Fall gestiegen.

ADHOC: Nach dieser Logik könnte eine „Clan-Apotheke“ ganz München mit Rezepturen versorgen. Finden Sie den Gedanken gut?
HARTMANN: Mir ist klar, dass es immer Diskussionen geben wird, wie weit man das Ganze ausweiten kann. Aber dass in einem Filialverbund eine Apotheke diese Aufgabe übernimmt, finde ich richtig. Dasselbe geht aus meiner Sicht aus übrigens für Notdienste – aber das ist ein anderes Thema.

ADHOC: Sehen Sie keine Nachteile in einer solchen Organisation?
HARTMANN: Überhaupt nicht. Für mich war die Filialisierung eine absolute Befreiung. Mein Vater ist 40 Jahre lang in seine Apotheke gegangen und hat dort jeden Tag gearbeitet. Ich habe größten Respekt davor und auch vor jedem Kollegen, der das heute noch so macht. Immerhin war das lange auch mein Traum, aber für mich persönlich war die Filialisierung eine Chance, über den Tellerrand zu blicken und eine neue Perspektive auch als Unternehmer einzunehmen. In meinen Apotheken bin ich für die Gesamtstrategie, die Gesamtorganisation, die Finanzen, die Gesamtpersonalverantwortung, Digitalisierung und IT zuständig und das füllt mich wirklich aus.

ADHOC: Das klingt, als hätten Sie gegen eine Lockerung des Mehrbesitzverbots nichts einzuwenden.
HARTMANN: Das ist ein heikles Thema, da möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber sagen wir es so: Wir haben uns eine Struktur gegeben, die es uns ermöglichen würde, auch zehn oder 15 Apotheken in der gleichen Qualität zu führen. So sind wir aufgestellt, aber es ist Sache der Politik, ob das Mehrbesitzverbot weiter gelockert wird.

ADHOC: Wäre das nicht der Einstieg in die Apothekenkette?
HARTMANN: In meiner Funktion als Präsident des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) habe ich früher oft den Vorwurf gehört, Kooperationen seien die Vorläufer von Apothekenketten. Das ist aus meiner Sicht Quatsch, in Wahrheit sind Filialverbünde Mini-Ketten. Der Inhaber kann für alle Apotheken klar die Richtung vorgeben – das bekommen Sie in einer Kooperation in den meisten Fällen nicht so konsequent hin. Aus demselben Grund bereitet übrigens die Integration von Filialverbünden in Kooperationen überhaupt keine Schwierigkeiten.

ADHOC: Und sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Politik ab einer bestimmten Größe der Clan-Verbünde sagt: Dann tut es auch ein nicht-pharmazeutischer Geschäftsführer an der Spitze?
HARTMANN: Die Apothekeninhaber haften persönlich, das ist für mich der große Unterschied. Das ist auch richtig so. Und ich bin ein klassischer Familienunternehmer, von denen es viele gibt in Deutschland. Ein Unternehmensberater würde mir vermutlich empfehlen, acht Mitarbeiter zu entlassen. Aber ich will es genau so. Sehr wichtig fände ich allerdings, wenn es für Apotheker eine gesetzliche Lösung für Prokuristen gäbe. Ich habe 70 Mitarbeiter und meine Familie, für die ich verantwortlich bin. Wenn mir etwas passiert, muss der Weiterbetrieb gewährleistet sein.

ADHOC: Was ist, wenn Sie irgendwann verkaufen wollen? Findet sich für Verbünde überhaupt noch ein Käufer?
HARTMANN: Es ist schon heute sehr schwierig, einen gut laufenden Filialverbund an den Mann zu bringen. Ein Warenlager im Wert von einer halben Million Euro zuzüglich des Kaufpreises – selbst wenn ein junger Apotheker das finanziert bekommt, läuft er als Unternehmer sehr leicht Gefahr, sich zu übernehmen. Bei meiner Generation, die die Filialverbünde aufgebaut hat, ist man da hineingewachsen.

ADHOC: Hat auf der anderen Seite die Einzelapotheke noch eine Zukunft?
HARTMANN: Das ist der Blick in die Glaskugel, weil es abhängig von den politischen Rahmenbedingungen ist. Unter heutigen Bedingungen würde ich davon ausgehen, dass es auch in 20 Jahren noch Einzelapotheken geben wird, es existieren auch bis heute Einzelbuchläden. Aber Tatsache ist auch, dass viele Einzelapotheker im Rentenalter sind. Die Zahl der Netto-Schließungen kann sich also in den nächsten Jahren von 200 bis 300 jährlich auf 500 bis 600 jährlich steigern und das würde den Markt auch für die Überlebenden natürlich sehr verändern. Es sind spannende Zeiten.