Schöllkraut

Iberogast: Das sind die Anpassungen APOTHEKE ADHOC, 12.09.2018 10:57 Uhr

Berlin - 

Bayer muss die Fach- und Gebrauchsinformation von Iberogast anpassen. Der Hersteller des pflanzlichen Magenmittels setzt an verschiedenen Stellen an und bestätigt offiziell, dass bei schöllkrauthaltigen Produkten Fälle von Leberschädigungen aufgetreten sind. Der Pharmakonzern reagiert damit auf weitere Verdachtsfälle zu Nebenwirkungen durch Schöllkraut, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aktuell vorgelegt hatte.

Die Gebrauchsinformation wird zudem folgende Hinweise enthalten: „Iberogast darf nicht eingenommen werden, wenn Sie an Lebererkrankungen leiden oder in der Vorgeschichte litten oder wenn Sie gleichzeitig Arzneimittel mit leberschädigenden Eigenschaften anwenden.“ Außerdem: „Wenn Zeichen einer Leberschädigung (Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, entfärbter Stuhl, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Appetitverlust, Müdigkeit) auftreten, sollten Sie die Einnahme von Iberogast sofort beenden und einen Arzt aufsuchen“, wird unter dem Abschnitt „Besondere Vorsicht bei der Einnahme von Iberogast ist erforderlich“ ergänzt.

Im Abschnitt „Schwangerschaft und Stillzeit“ heißt es: „Iberogast darf von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden.“ In der Fachinformation werden entsprechende Hinweise unter den jeweiligen Abschnitten aufgenommen. Zuvor verwies Bayer darauf, dass Schwangere das pflanzliche Arzneimittel „nur nach Rücksprache mit einem Arzt“ einnehmen sollen. Zudem werden die Fach- und Gebrauchsinformation von Iberogast um den Hinweis erweitert, dass bei schöllkrauthaltigen Produkten Fälle von Leberschädigungen aufgetreten seien.

Die Wirksamkeit und Sicherheit von Iberogast sei bei über 7000 erwachsenen Teilnehmern in prospektiven klinischen Studien nachgewiesen und bei der Behandlung von mehr als 82 Millionen Patienten seit der Markteinführung bestätigt worden, so Bayer. Das mache das Produkte zu einem der am besten untersuchten pfanzlichen OTC-Medikamente weltweit. Es ist in über 40 Ländern zugelassen. In Deutschland ist Iberogast seit 58 Jahren als apothekenpflichtiges Medikament erhältlich. Iberogast sei in den Therapieleitlinien der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften Association of the Scientific Medical Societies (AWMF) in Deutschland als wichtige Therapie-Option für Funktionelle Dyspepsie und Reizdarmsyndrom empfohlen, ebenso in internationalen Leitlinien.

Iberogast unterliege, wie alle Medikamente, einer ständigen routinemäßigen Sicherheitsüberwachung, betont der Konzern. „Wir stehen unverändert zu dem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis von Iberogast in den zugelassenen Indikationen.“ Die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher habe für Bayer die höchste Priorität. „Das medizinische Nutzen-Risiko-Verhältnis unserer Arzneimittel und Medizinprodukte wird über den gesamten Produktlebenszyklus kontinuierlich bewertet.“

Iberogast soll zur Behandlung von funktionellen und motilitätsbedingten Magen-Darm-Erkrankungen und zur unterstützenden Behandlung der Beschwerden bei Gastritis angewendet werden. Das OTC-Präparat enthält neben Bitterer Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmel, Mariendistel, Melisse, Pfefferminze und Süßholz auch Schöllkraut. Die Arzneidroge ist in Deutschland umstritten. Für das BfArM ist der Nutzen nicht belegt. Von der Droge gehe gar ein erhebliches gesundheitsschädliches Risiko aufgrund von Leberschäden aus, hieß es von der Behörde.

Das BfArM legte jetzt neue Nebenwirkungsmeldungen von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Iberogast vor. „Die berichteten Leberreaktionen entsprechen in den meisten Fällen dem in den Bescheiden des BfArM dargestellten Spektrum. Darunter befindet sich nun ein im Juli 2018 bekannt gewordener zweiter Fall eines Leberversagens mit Lebertransplantation, der jedoch letztlich tödlich endete“, heißt von der Behörde.

Über die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) erhielt das BfArM weitere Meldungen. Bis zum 10. September haben demnach weitere Informationen von den meldenden Ärzten die Behörde erreicht, „die im Ergebnis einen Zusammenhang mit der vorherigen Anwendung von Iberogast nahe legen“.

Damit sah sich die Behörde im bereits laufenden Klageverfahren gegen Bayer deutlich gestärkt und wäre jetzt aufs Ganze gegangen: Das BfArM hätte einen Sofortvollzug beantragt. Doch dazu kam es nicht, weil Bayer zuvor reagierte: Der Hersteller hat „verbindlich zugesichert, die vom BfArM angeordneten Änderungen der Produktinformationen für Iberogast innerhalb von vier Wochen vollständig umzusetzen“, so die Information des BfArM.

Für die Behörde ist die Zusicherung von Bayer im Ergebnis dasselbe: „Damit erübrigt sich die Anordnung des Sofortvollzugs durch das BfArM, der anderenfalls im Lichte der jetzt vorliegenden Informationen geboten gewesen und erlassen worden wäre. Das BfArM behält sich diese Maßnahme weiterhin vor, sollte der Zulassungsinhaber den eingegangenen Verpflichtungen wider Erwarten nicht nachkommen.“

Für Arzneimittel mit mehr als 2,5 mg Gesamtalkaloide wurde 2008 die Zulassung widerrufen. Bei Arzneimitteln, deren Tagesdosis zwischen 2,5 µg und 2,5 mg Gesamtalkaloide beträgt, sieht das Stufenplanverfahren einen Warnhinweis in der Packungsbeilage vor: Das Risiko einer Leberschädigung muss erwähnt werden. Auch Iberogast müsste laut Stufenplanbescheid einen Warnhinweis enthalten. Doch Bayer sah zunächst keinen Handlungsbedarf, eine Änderung der Produktinformation sei „derzeit nicht vorgesehen“, hieß es Anfang des Jahres. Es lägen insbesondere keine neuen Faktoren vor, sodass sich „die Sach- beziehungsweise Beurteilungslage von Iberogast nicht verändert hat“.

Bayer hatte Iberogast 2013 mit Steigerwald übernommen. Das Familienunternehmen aus Darmstadt war bereits einige Jahre am Markt, als Wissenschaftler des Hauses dem Management eine Kombination aus neun verschiedenen Heilpflanzen vorstellten, die dem Unternehmen zum Durchbruch verhelfen sollte. 1959 stand der Name, ein Jahr später ging Iberogast in Produktion.

Wurde Iberogast noch auf der Basis des allgemein verfügbaren Wissensstands zu Heilpflanzen entwickelt, investierte Steigerwald zunehmend in die wissenschaftliche Erforschung. In den 1980er Jahren wurden elf kleinere Studien in Auftrag gegeben. 1986 wurde in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Hermann Philipp Theodor Ammon von der Universität Tübingen das duale Wirkprinzip der „fantastischen Neun“ entdeckt. Parallel wurden die ersten Packungen im Ausland verkauft.

In den 1990er Jahren wurden die ersten placebokontrollierten Studien durchgeführt und weitere Wirkmechanismen identifiziert. Bis heute wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit nach Firmenangaben an mehr als 50.000 Patienten untersucht. Ob der Konzern mit diesen Studien weiter werben darf, wenn er sich entscheidet, auf die Zulassung ohne Schöllkraut umzusteigen, ist noch unklar. Das BfArM hatte vor einiger Zeit erklärt, dass man eine Lösung finden werde.