Ausdauersport

Antidepressivum aerobe Bewegung dpa, 18.10.2017 11:19 Uhr

Drei Mal 45 Minuten aerobe Bewegung in der Woche helfen gegen Depression, sind also nachweislich stimmungsaufhellend. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Depressionen, Schlafstörungen, negative Gedankenkarussells – von all dem sind immer mehr Menschen in der westlichen Welt betroffen. Schützen kann ein Medikament, das kostenlos zu haben ist und nicht mal Nebenwirkungen hat: Bewegung.

Wenn Lauftherapeutin Joanna Zybon die Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee betritt, wird sie zu „Trainerin Joe“. Die Häftlinge kommen mit Abhängigkeitserkrankungen, Depressionen oder Schlafstörungen zu ihr. Laufen als Medizin? Im Gefängnis sieht man das Training mit ihr nicht nur als willkommene Abwechslung zum eintönigen Alltag. Es hat sich herumgesprochen, dass es neben Fitness um mehr geht. Das Ziel: Schritt für Schritt den Kopf befreien. Damit haben die Häftlinge einen ganz wichtigen Punkt verstanden.

Studien belegen, dass aerobe Bewegung – also solche, die mit moderater Intensität auskommt –, sogar antidepressiv wirkt. Zum Stressabbau ist nichts besser geeignet als Sport. Und trotzdem lassen sich viele nach einem anstrengenden Arbeitstag lieber erschöpft auf die Couch fallen. Weil Sport anstrengend ist. Dabei ist genau diese Anstrengung Teil des Wirkmechanismus.

„Die Stresshormone wie etwa Cortisol werden in Balance gebracht“, erklärt der Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse von der Sporthochschule in Köln das Prinzip. „Das passiert, indem wir einen Reiz setzen, der uns anspannt, woraufhin Entspannung folgt. Die tritt nicht automatisch nach einem anstrengenden Tag ein.“ Je mehr Stress man hat, desto mehr Sport müsste man ausgleichend machen. Dabei zähle nicht die Sportart, sondern Intensität und Dosierung. Alles steht und fällt allerdings mit der Motivation, denn um einen Effekt zu spüren, muss man sich regelmäßig bewegen.

„Es kommt schon auch mal vor, dass einer der Häftlinge sagt: Mein Ziel ist es, der Polizei schneller weglaufen zu können“, sagt Zybon. So ganz ernst sei das zwar nicht gemeint, aber im Grunde wäre für sie auch diese Motivation okay. Trainiert wird unter suboptimalen Bedingungen: auf einem 377 Meter langen, eckigen Kurs hinter dicken Mauern. Einige der Teilnehmer haben noch nicht einmal Laufschuhe. Die Therapie, die mit fast nichts auskommt, ist dennoch beliebt. Es gibt sogar eine Warteliste.

Normales Lauftraining wird Zybon zufolge zur Therapie, wenn Kreativität dazukommt. Die Trainerin spielt schon auch mal Spiele mit ihren Schützlingen. Oder hört sich beim Laufen ihre Probleme an. Als Lauftherapeutin steht sie nicht einfach am Rand. Das ist ihr wichtig.

Auch Dr. Cora S. Weber, Fachärztin für Psychosomatik und Innere Medizin, hat sich viel mit Bewegung und Psyche beschäftigt. Drei Mal 45 Minuten aerobe Bewegung in der Woche hilft ihr zufolge gegen Depression, ist also nachweislich stimmungsaufhellend. „Der Sport wirkt sogar angstlösend“, weiß die Chefärztin der Berliner Park-Klinik Sophie Charlotte. Auch bei Angst entsteht Stress, der durch die Bewegung gelöst wird. Entscheidend ist aber noch etwas anderes: Sport lenkt von der Furcht ab. „Außerdem beugt man beispielsweise Bluthochdruck, Koronarer Herzkrankheit und Diabetes vor“, so Weber.

Sie empfiehlt gegen das Gefängnis im Kopf Laufen, weil es zu den ersten Fähigkeiten gehört, die der Mensch lernt. Und weil die Umsetzung so einfach ist. „Im Grunde aber müssen Sie sich den Ausdauersport aussuchen, den Sie gerne machen.“

Froböse sieht nicht nur im Ausdauersport Vorteile: „Mir müssen Sie mit Yoga zwar nicht kommen, aber wer das gerne macht, soll das machen“. Es wirke genauso gut. Der Fokus auf die Atmung ist meditativ, Muskeln werden angespannt und entspannt. Der Unterschied zum Laufen ist zumindest, was das angeht, gar nicht so groß.

„Egal was Sie machen, bleiben Sie subjektiv unterfordert“, rät der Sportexperte. Länger als zwei Stunden Laufen sei zum Beispiel Quatsch, auch für bestens Trainierte. Ein Marathon ist vielleicht gut fürs Ego – „mit Gesundheit hat das nichts zu tun“. Blutige Anfänger sollten am besten mit zügigem Walken beginnen, Joggen überfordere die allermeisten. „Jede Art von Bewegung tut gut, gehen Sie nach Ihrer Arbeit spazieren, laufen Sie zur S-Bahn.“ Und wieder: dranbleiben zählt.

„Nach acht bis zehn Wochen kommt meistens ein Motivations-Tief, auf das man gefasst sein sollte“, so Froböse. “Belohnen Sie sich oder hängen Sie sich ein Ziel an den Kühlschrank.“ In den Kühlschrank greifen hilft dagegen nicht: Es betäubt das Unbehagen höchstens für einen Moment, bewältigt es aber nicht.

Schlecht ist Bewegung dann, wenn sie zusätzlichen Stress verursacht. Das kann der Fall sein, wenn eine Sportart zu intensiv und häufig ausgeübt wird oder wenn sie keine Freude bereitet. Das lässt sich auch im Tierversuch nachweisen. In einer Studie, in der einige Ratten regelmäßig schwimmen mussten, während andere im Laufrad liefen, war das Stresslevel derjenigen geringer, die liefen. Nicht nur Menschen haben ihre Präferenzen.

Wer sich psychisch und physisch etwas Gutes tun will, muss also einen Reiz setzen, darf sich aber keineswegs überfordern. Und sich vor allem zu nichts zwingen, das er nicht gerne tut.