Karrieren

Aus der Pharmaindustrie in die Landapotheke Torsten Bless, 01.07.2018 10:57 Uhr

Berlin - 

Kristina Lange hat eine spannende Laufbahn vorzuweisen: Aus der Apotheke in Berlin zog es sie in die Pharmaindustrie nach Wien und Leverkusen. Doch ganz bewusst entschied sie sich für die Übernahme einer lange leerstehenden Landapotheke im niedersächsischen Lauenförde. Ein Rückschritt sei das nicht, findet sie.

Schon das Elternhaus habe sie geradezu für eine Pharmazielaufbahn prädestiniert, erzählt Lange. „Meine Mutter und mein Vater besaßen Apotheken in Berlin und in Brandenburg.“ Die Tochter studierte an der Freien Universität und machte 2007 ihre Approbation. „Während meines Praktikums arbeitete ich in einer Dahlemer Apotheke, der Chef machte mich zu seiner Stellvertreterin.“ Mit ihm gemeinsam baute sie eine Filiale auf und arbeitete dazu noch in der Apotheke ihrer Mutter. Dann lernte sie einen jungen Österreicher kennen, sie zog mit ihm ins ferne Wien. Hier leitete sie unter anderem die Sophien-Apotheke im dritten Bezirk.

Doch in der Offizin sollte ihre Karriere nicht zu Ende gehen, fand Lange. „Nebenberuflich machte ich meinen Master of Pharma Business Administration. Von BWL, VWL bis hin zum Gesundheitsmanagement war alles im Studiengang vertreten.“ Den Abschluss in der Tasche wagte sie den Sprung in die Industrie. Bei Sampharm stieg sie als Produktmanagerin ins Marketing ein. „Wir führten Selbstmedikationsprodukte aus ganz Europa in den österreichischen Markt ein. Dafür war ich viel unterwegs, in Frankreich, Griechenland, Schweden und auch in Deutschland.“ Um den Anschluss an die Heimat nicht zu verlieren, machte sie im Urlaub immer wieder Abstecher in die Berliner Apotheke ihrer Mutter.

Die Zeit in Wien mag sie nicht missen. „Das waren fünf unfassbar schöne Jahre.“ Eine neue Liebe veranlasste sie zur Rückkehr nach Deutschland. „Zudem sah ich hier größere berufliche Chancen, der Markt in Österreich ist recht klein.“ Nur ein kurzes Gastspiel sei ihr bei Dr. Kade beschieden gewesen. „Das hatte sich in der Probezeit erledigt“, erinnert sie sich. „Hier wollte ich mit dem Kopf durch die Wand und bin damit völlig gescheitert.“

„Eine richtig tolle Zeit“ erlebte Lange dagegen in Leverkusen. Im Jahr 2013 stieg sie bei Pharma Westen ein. Der Reimporteur nahm 2014 den Namen seines dänischen Mutterkonzerns Orifarm an. „Ich begleitete das Rebranding und die komplette Neustrukturierung“, berichtet Lange. „Dabei stellten wir fest, dass es vielfach an Aufklärung zum Thema Arzneimittelimporte fehlte. Die Apotheker hatten Angst vor möglichen Retaxierungen und sahen nicht die möglichen wirtschaftlichen Vorteile.“ Da habe es gegolten, die Apotheker zu verstehen und ihre Bedürfnisse kennenzulernen. „Ich war die einzige Apothekerin mit einem entsprechenden Background. Darum hab ich das große Fortbildungsprogramm Oriculum mit seinen Veranstaltungen, Webinaren und Fachkreisen entwickelt.“

Derweil sortierte sich ihr Privatleben ein weiteres Mal neu. Im Internet lernte sie ihren späteren Mann kennen. Sohn Maximilian kam 2016 auf die Welt. „Nach einem Jahr Elternzeit kehrte ich in die Firma zurück, hier hatte sich viel verändert, auch vom Spirit her“, sagt Lange. Sie habe nicht mehr so recht zurückfinden können. Zeit für eine Neuorientierung: „Mein Mann besaß ein Haus in Bad Karlshafen, gemeinsam mit ihm beriet ich mich, ob wir in Köln wohnen bleiben oder aufs Land gehen sollten“, so Lange. „Mein Sohn gab schließlich den Ausschlag, wir wollten, dass er im Grünen aufwächst.“ Der Umzug in den Landkreis Kassel führte sie in die Offizin zurück. Zum 1. Juli 2017 trat sie in das Team der Rosen-Apotheke im benachbarten Trendelburg ein.

Das nicht weit entfernte Lauenförde auf der niedesächsischen Seite der Weser suchte derweil schon lange händeringend nach einem Pharmazeuten. Hildegard Muhs hatte 2013 ihre Wesertal-Apotheke nach 38 Jahren Geschäftsbetrieb aus Altersgründen ohne Nachfolger schließen müssen. Die Räume waren in einen Dornröschenschlaf versunken. „Eine Ärztin erzählte mir zufällig von der Apotheke“, erzählt Lange. „Im letzten November schaute ich sie mir zum ersten Mal an.“

Der Ort habe gute Voraussetzungen, findet Lange: „Hier gibt es einen Arzt, einige Einzelhandelsgeschäfte und einen Supermarkt. Alles, was man brauchte, war vorhanden, nur keine Apotheke. Ich habe mit der Bank und dem Steuerberater gesprochen und ein Konzept aufgestellt.“ Ende Februar habe die Finanzierung gestanden. Sofort danach hätten die Umbauarbeiten begonnen. „Bis in die letzten drei Wochen vor dem Start arbeitete ich noch in Vollzeit in meiner alten Apotheke und kümmerte mich nach Feierabend bis ein Uhr nachts um die neue.“

Bei der Einrichtung verband sie Vertrautes mit Neuem: „Wir haben aus der Wesertal-Apotheke den HV-Tisch und die Schubschränke aus Ahorn behalten und dazu Licht, Decke und Boden erneuert“, berichtet Lange. „Das passt einfach zusammen und ergibt ein harmonisches Gesamtbild.“ Ohne größere Probleme habe sie geeignetes Personal gefunden: „Ich habe jetzt ein ganz tolles Team!“

Die Unterstützung aus Lauenförde habe ihr in der nicht ganz einfachen Vorlaufphase sehr geholfen: „Wir sind wirklich von allen – Bürgermeister, Vermieter, Ärzten und Patienten – mit offenen Armen empfangen worden.“ Am 1. Mai präsentierte Bürgermeister Werner Tyrasa die neue Pharmazeutin beim Landfrauentag. „Der Jubel war groß“, freut sich Lange. Einen Tag später öffnete die nach ihrem Sohn benannte Maximilian-Apothekerin offiziell ihre Pforten. „Mit Absicht haben wir noch keine große Werbung gemacht, durch Mundpropaganda hat sich herumgesprochen, dass es uns gibt.“ Mit der Resonanz bisher sei sie sehr zufrieden: „Wir haben im Schnitt 90 Kunden pro Tag und wirklich gut zu tun. ‚Gott sei Dank haben wir wieder eine Apotheke am Ort, wir kommen nur noch zu Ihnen‘, wurde uns gesagt.“

Ihre Verkaufsstrategie habe sie den eher dörflichen Gegebenheiten angepasst: „Ich arbeite nicht mit Korbumsätzen, das passt hier nicht hin“, betont sie. „Wir sind gut ausgestattet und brauchen nicht noch das dritte Sinupret vorzuhalten.“ An das Geschäft denke sie gleichwohl: „Wir sind nicht die Caritas und verkaufen auch nicht das billigste Paracetamol. Aber unser Preisniveau ist immer noch realistisch und unseren Kunden macht es nichts aus.“

Sie liebäugele schon sehr mit der Anschaffung eines Kommissionierers. „Aber dafür müssen die Umsätze stimmen. In neun Monaten machen wir mal einen Kassensturz.“ Überhaupt sei sie ein Fan von EDV-gestützten Systemen. „Das erleichtert die Arbeit und die Fehleranfälligkeit sinkt.“ So bleibe auch mehr Zeit für den Kunden. „Ich finde es wichtig, nicht nur den Namen, sondern auch die Geschichte des Kunden zu kennen, um jederzeit zu wissen, was gerade in der Familie, bei den Freunden oder der Katze so los ist.“

Den Weg zurück in die Offizin und dann noch eine ländliche habe sie nach ihren Stationen in mehreren Metropolen nicht als Rückschritt erlebt. „Ich bin vom Herzen Apothekerin geblieben“, bekennt Lange. Geht es nach ihrem Willen, wird sie noch lange in Lauenförde bleiben: „Die Apotheke soll Max noch die Schule, die Ausbildung oder das Studium finanzieren.“