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Twitter-Apotheker: Beratung in 140 Zeichen Alexander Müller, 25.03.2017 07:49 Uhr

Berlin - 

Apotheker Johannes D. hatte die Botschaft vernommen. Warum sollte er eine Viertelstunde seriös beraten, wenn er dafür zehn Euro bekommt? Also digitalisierte er die Arbeit am HV-Tisch und stellte die Beratung auf Tweet-Style um. Das geht dann so: Arznei bekannt? tgl m+a je2 mit viel Wasser #interaktion nbnwrkg @beipackzettel ist halt #rabattvertrag @AOK nicht besser nach 5T → Arzt!

Gerade ältere Kunden hätten am Anfang große Augen gemacht, berichtet Johannes D. „Diese Form der Kurzberatung war natürlich ungewohnt.“ Doch das habe sich schnell gelegt. Schon in der nächsten Woche nahm Gertrud W. anstandslos ihren Betablocker vom HV-Tisch, zwinkerte ihrem Apotheker zu und sagte schmunzelnd: „Hashtag Umschau!“

„Für das Team war die Umstellung ein großer Spaß. Und mit ein bisschen Übung klappte es immer besser. Irgendwann ging es nur noch ‚Hashtag Frühstück‘ und ‚retweet Urlaubsplan‘.“ Seine PTA überboten sich im Erfinden immer neuer Abkürzungen und erstellten eine Wirkstoff-Tweet-Liste. Die Stammkunden haben mittlerweile alle einen eigenen Account und bestellen ihre Arzneimittel sogar vor.

Vor allem finanziell ist das blaue Vögelchen im Handverkauf eine extreme Erleichterung. Denn mit einer präzisen Kurzberatung lassen sich in den meisten Fällen die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. „Du meine Güte, andere müssen nur eine Telefonnummer mit schöner Warteschleifenmusik angeben“, so Johannes D. Und möchte der Kunde unbedingt noch ein Schwätzchen halten, kann er weitere Tweets dazu buchen. Auf dem HV-Tisch gibt es hierfür einen Tweet-Buzzer. Pro 140 Zeichen mehr werden dann allerdings 50 Cent fällig.

Andere geben ihren Kunden 50 Cent. In Form eines Gutscheins und das, Gott bewahre, auch bei der Ausgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Ist das jetzt eine Umgehung des Rx-Boni-Verbots, das die deutschen Apotheken aufgrund einer europarechtlichen Privilegierung exklusiv haben? Mitnichten, sagt das Landgericht Lüneburg. Das sah in dem Bonusmodell eine allgemeine Imagewerbung. Und überhaupt: 50 Cent Wertgutschein sollen Kunden mehr beeinflussen als Papiertaschentücher?! Hoppla, das Comeback der Bagatellschwelle?

Vielleicht ist die Zeit reif für diesen Sinneswandel, denn die Rx-Boni ausländischer Versandapotheken werden die Apotheker offenbar so schnell nicht los. Weil der EuGH diese merkwürdige Antidiskriminierungsauslegung des EU-Rechts gewählt hat, muss die Politik ja irgendwie reagieren. Und Stand heute sieht es so aus, als wäre Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit seinem Gesetzentwurf für ein Rx-Versandverbot gescheitert.

Sogar Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) macht sein Votum jetzt von den SPD-Ressorts abhängig. Und die halten als Vertreter der Partei des Kleinen Mannes offenbar nichts von dem Verbot. Die Alternative sollen begrenzte Boni für ausländische Versandapotheken sein, während Anbieter hierzulande sich weiter an die Preisbindung halten sollen. Als Survivalpack könnte es einen Zuschlag für den Notdienstfonds geben. Vor allem Apotal, Sanicare, Aponeo & Co. dürften sich über diese Gedankenspiele extrem freuen und die Danksagungskarte vielleicht an eine Verfassungsklage tackern. Christian Buse und sein BVDVA wären die großen Verlierer im Spiel, sollte es wirklich so kommen.

Apotheker Dr. Stefan Spaniel hat eine wirklich gute Exit-Strategie, sollte die Politik weiter ihre Strategie verfolgen, den Apothekenmarkt zu konsolidieren. Sein Plan heißt Dr. med. Er hat an das Pharmazie- noch ein Medizinstudium drangehängt und arbeitet nebenberuflich schon als Notarzt. Wenn er seinen Facharzt für Allgemeinmedizin fertig hat, will er die Lage erneut prüfen. Sein Doppelkollege Kim Harder hat sich sogar schon entschieden: Er will seine Apotheke aufgeben und Arzt werden. Beide sind allerdings in der komfortablen Situation, mit einer Apothekerin verheiratet zu sein.

Was einem allerdings auch als Arzt und Apotheker im Notdienst passieren kann: Telefonterror. Nicht schön. Aber auch tagsüber müssen sich Apotheker – und vermutlich auch Ärzte – viel Unsinn und teilweise Unverschämtes anhören. Nicht immer sollte man dann laut aussprechen, was einem gerade durch den Kopf geht. Hilfestellung: Dinge, die ein Apotheker nie sagen würde.

Außerdem sollte man sich nicht persönlich angegriffen fühlen, außer man wird persönlich angegriffen. Eine Apothekerin berichtet, dass sie angefeindet wurde, weil sie ein Kopftuch trägt. Eine andere PTA berichtet, dass sie nach 33 Jahren im Beruf enttäuscht von der Entwicklung in der Apotheke ist.

Leider blicken viele im Berufsstand auch nicht besonders hoffnungsvoll in die Zukunft, wie der ACAlert des Importeurs ACA Müller zeigt. Laut dieser Umfrage erwarten die meisten, dass es ihrer Apotheke in Zukunft schlechter geht. Eine große Sorge ist der Personalmangel. Und nicht jede Lücke lässt sich mit Kollegen aus Spanien, Ungarn oder sonst wo schließen – ganz abgesehen davon, dass man damit andernorts eine Lücke reißt.

Ganz andere Personalie: Dr. Thomas Trümper ist nicht mehr Aufsichtsratsvorsitzender bei Alliance Healthcare. Ganz anderes Thema: Fünf Tipps zur Tattoo-Pflege. Jenseits von Gut und Böse: Die Kampagne von PharmaFGP. Falsche Fans und echte Versender. Bei VISION.A war die Nummer ein Lacher unter den Marktingexperten nicht betroffener Firmen.

Zur Galerie mit den Gewinnern der VISION.A Awards 2017 geht es hier. Zum Video bitte hier lang. Eigentlich live erleben muss man dagegen Sascha Lobo und Professor Dr. Gunter Dueck. Aber jetzt Schluss mit der Eigenwerbung, sonst ernte ich noch einen Shitstorm wie die Taunus Sparkasse. Oder die Knappschaft, die neuerdings Einzelimporte unter Vorbehalt zahlt und das Apothekenhonorar nach Gutdünken vergibt. Also lieber: #schoenesWochenende!