VISION.A

„Warum sollen Kunden für eine Beratung in die Apotheke kommen?“ Marion Schneider, 08.03.2018 14:39 Uhr

Berlin - 

Wer bei der Digitalisierung mithalten will, darf seine alten Strukturen nicht einfach in das neue System übertragen, sagt Digitalisierungsexperte Professor Dr. Klemens Skibicki. Mit seiner Firma Profski berät er Unternehmen bei der digitalen Transformation. Am 21. März wird Skibicki bei der Digitalkonferenz VISION.A erklären, warum es bei der Digitalisierung mehr auf den Kopf als auf die Technik ankommt.

„Versucht, die alten Regeln loszulassen!“ Das ist die erste Botschaft, die Skibicki Unternehmen mit auf den Weg gibt. Die meisten Führungskräfte seien keine „Digital Natives“, es falle ihnen schwer zu verstehen, dass die Veränderungen durch die Digitalisierung alle internen Strukturen betreffen. Sie versuchten zunächst, die bestehenden Regeln und Denkweisen auf die neuen Gegebenheiten zu übertragen. Stattdessen sollten sie aber ihre Strukturen an das digital-vernetzte Zeitalter anpassen.

Als Beispiel nennt er die Umstellung vom Links- auf den Rechtsverkehr 1967 in Schweden. Dies erforderte eine Veränderung in den Köpfen und auf den Straßen. Vier Jahre lang wurde die Bevölkerung mit Werbespots, Aufklebern, Bannern und Songs darauf vorbereitet. Dann kam der „Tag H“, die Umstellung auf den Rechtsverkehr (Högertrafik). Man konnte jedoch nicht einfach die alten Straßenmarkierungen und Verkehrszeichen weiter benutzen, alles musste über Nacht auf die neuen Regeln umgestellt werden.

Die Digitalisierung sei eine ganzheitliche Veränderung, sie betreffe jede Abteilung eines Unternehmens. „Ein Chief Digital Officer oder ein Digital Lab in Berlin reichen da nicht“, sagt Skibicki. „Das sind Beruhigungspillen!“ Die eigentlichen Probleme, die Unternehmen an der digitalen Transformation hinderten, seien Angst, Unkenntnis und Probleme, intern neue Kompetenzen aufzubauen. Die gesamte Führungsebene müsse ein Verständnis dafür entwickeln, was die Digitalisierung ausmacht und was die Treiber des digitalen Wandels sind. „Ich sehe allerdings nicht, dass das bei ausreichend vielen deutschen Unternehmen passiert“, beklagt Skibicki.

Viele Regulierungen im Gesundheitswesen hätten ihre Berechtigung, weiß Skibicki von seiner Arbeit mit Pharmaherstellern. Er habe allerdings das Gefühl, dass man in der Branche übervorsichtig sei. „Man kann nichts Neues probieren“, beklagt er. Man solle sich überlegen, wie es aussehen würde, wenn man die Gesundheitsbranche heute vom Reißbrett neu aufstellen würde. Sie würde dann wohl ganz anders aussehen als heute. „Habt keine Angst vor dem Ersetztwerden“, appelliert Skibicki. Er verweist auf die Prognose von Christoph Keese, der ebenfalls als Speaker bei VISION.A auftritt: Untersuchungen werden in Zukunft Computer übernehmen, weil diese viel genauer arbeiteten als ein Mensch. Eigenschaften wie Empathie wird künstliche Intelligenz in absehbarer Zeit jedoch nicht erlangen.

Mit Blick auf die Apotheken ruft Skibicki dazu auf, zu hinterfragen, ob die aktuellen Regulierungen noch Sinn machen. Warum sollten Kunden für eine Beratung in die Apotheke kommen? Der Apotheker könne ebenso gut per Whatsapp oder Facebook beraten. Die Antwort der Apotheker sei meist, dass sie es nicht dürfen. „Macht es möglich“, fordert Skibicki, „oder ihr verliert eure Kunden, weil andere es tun werden.“

Amazon & Co. seien eine echte Bedrohung für die Apotheken. „Der wichtigste Grund, warum Menschen viele ihrer Medikamente nicht bei Amazon kaufen ist, dass es nicht erlaubt ist.“ Apotheken müssten den Vorteil, vor Ort zu sein, nutzen. Amazon betreibt jetzt auch stationäre Geschäfte. Die Kunden erhielten dort perfekt auf sie abgestimmte Angebote, weil der Konzern so viel über sie wisse. „Das könnte der Apotheker auch, wenn er dieses Wissen hätte“, ist Skibicki überzeugt. „Amazon geht mit seiner Datenkompetenz offline, die Apotheken müssen es genau andersherum machen.“ Das sei mehr Kopfsache als eine Frage der Technik. Man dürfe jedoch nicht erwarten, in Zukunft das Gleiche tun zu können wie heute.

Wie für die Unternehmen fordert Skibicki auch für Deutschland eine ganzheitliche digitale Transformation. Im Moment sähen die Zahlen zwar ganz gut aus, für die Zukunft sieht er aber schwarz. „Es ist als wären wir Fußballweltmeister, würden aber keine Nachwuchstuniere mehr gewinnen“, sagt er. In Deutschland beschäftige man sich damit, wie man Google & Co. in die Schranken weisen könne. Die richtige Frage sei allerdings, warum diese Unternehmen nicht in Deutschland entstehen. Weltweit gebe es rund 220 Start-ups, die vor dem Börsengang mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Lediglich vier davon sitzen in Deutschland. „Wer soll in 20 Jahren den Sozialstaat bezahlen“, fragt sich Skibicki angesichts des Nachwuchsmangels. Es fehle eine klare Standortpolitik.

Dass die Große Koalition wieder kein Digitalisierungsministerium geschaffen hat, enttäuscht Skibicki. Staatsministerin Dorothee Bär sollte man jedoch eine Chance geben: „Die lebt Digitalisierung seit Jahren zumindest über soziale Netzwerke.“ Wenn die Kanzlerin sie unterstütze, könne Bär Veränderungen vorantreiben. Ob dies tatsächlich geschehen wird, bezweifelt er jedoch. Die Rückständigkeit in Sachen Digitalisierung sei auch ein demografisches Problem. In Deutschland gebe es im Vergleich zu anderen Ländern viele ältere Menschen und wenige Digital Natives. „Die Politik richtet sich nach Mehrheiten, nicht nach der Zukunft.“

Skibicki ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet als Professor für Economics, Marketing und Marktforschung an der Cologne Business School. Über die Ergebnisse seiner Forschung und Unternehmensberatung hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht. Skibicki hat eine Reihe von Start-ups im Bereich Digitalisierung mitbegründet. Außerdem ist er in der Politikberatung tätig. Seit 2013 ist Skibicki Kernmitglied des Beirates „junge digitale Wirtschaft“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Im Juni 2014 folgte die Berufung in den Digitalbotschafter-Kreis des Wirtschaftsministers Nordrhein-Westfalen.

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