Pfusch-Prozess

Gutachter kritisiert Zyto-Herstellung in Apotheken APOTHEKE ADHOC, 22.03.2018 15:15 Uhr

Berlin - 

Im Prozess gegen den mutmaßlichen Pfusch-Apotheker Peter S. sollte es am Landgericht Essen heute zum Showdown zwischen vier Sachverständigen kommen. Die Befragung gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartetet. Nur zwei Gutachter kamen zu Wort, der Richter wurde wütend.

Den Anfang machte Professor Dr. Fritz Sörgel, einer der anerkanntesten Pharmakologen in Deutschland. Er leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg. Sörgel hatte ein Gutachten zur Nachweisbarkeit von Wirkstoffen in den beschlagnahmten Infusionsbeuteln erstellt, das sich die Verteidigung von S. zu eigen machte. Sie will erreichen, dass die Auswertungen des Landeszentrums für Gesundheit NRW (LZG) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vor Gericht nicht anerkannt werden. Ohne nachgewiesene Unterdosierungen hätte die Anklage ein Problem.

Es gebe keinen Zweifel, dass die Untersuchungsmethoden des Paul-Ehrlich-Instituts geeignet seien, so Sörgel. Die Frage sei vielmehr, ob sie richtig durchgeführt und wie vorgeschrieben dokumentiert wurden. Der Gutachter konnte laut Correctiv viele Fragen des Richters nicht beantworten. Er könne zu Details nichts sagen und habe die Unterlagen des PEI aus Zeitnot nicht selbst gesichtet, sondern seine Mitarbeiterin und Laborleiterin Martina Kinzig. „Sie können von mir nicht verlangen, dass ich jede Zahl überprüfe, das machen Laborleute“, sagte er gegenüber dem Staatsanwalt. Er habe das Gutachten jedoch selbst erstellt. Sörgel räumt ein, dass sein Institut keine Erfahrung mit der Analyse monoklonaler Antikörper hat.

Bisher hätte er erst 10 Prozent des Untersuchungsmaterials gesichtet, so Sörgel. Darum könne er noch nicht sagen, ob PEI und LZG etwas falsch gemacht haben. Nebenklage-Anwalt Andreas Schulz wollte wissen, woher Sörgel die Information hat, dass sich das PEI auf die Akkreditierung durch das Europäische Arzneibuch beruft. Er habe das bei Correctiv gelesen, sagt Sörgel. Später berief er sich auf ein Gerichtsdokument von April 2017.

Sörgel habe für seine Gutachtertätigkeit von der Verteidigung kein Geld erhalten. „Ich mache das aus Interesse. Irgendwann werde ich wahrscheinlich eine gewisse Aufwandsentschädigung in Rechnung stellen", so Sörgel. Die Aussage der Amtsapothekerin am 17. Verhandlungstag sei falsch, so Sörgel. Hanneline Lochte hatte ausgesagt, dass sie nirgendwo Zyto-Proben gezogen habe, weil es kein Labor gegeben habe, dass diese Proben in Deutschland hätte untersuchen können.

Bei PEI und LZG sei nicht alles dokumentiert worden, was hätte dokumentiert werden müssen, führt Sörgel weiter aus. In den Unterlagen des LZG fehle außerdem eine Liste aller Mitarbeiter, die an den Analyseverfahren beteiligt waren. Vor allem einfache Fehler könnten schnell in Laboren passieren, sagte Sörgel weiter aus. Als Beispiel nannte er Verdünnungen. Solche Fehler könnten auch in Apotheken bei der Zubereitung von Medikamenten passieren. „Wenn es eine bundesweite Untersuchung von in Apotheken hergestellten Zytostatika gäbe, würde diese wahrscheinlich erschreckende Ergebnisse liefern.”

Sörgel forderte laut Correctiv Konsequenzen aus dem Fall zu ziehen. Vielen seiner Kollegen sei nicht bewusst gewesen, dass Krebstherapien in diesem Ausmaß in privaten Apotheken hergestellt werden. „Das ist ein perverses System, dass Krebstherapien teilweise durch die Republik geschickt werden."

Sörgels Kollegin Kinzig sagte über die Mängel im PEI aus. Demnach fehlten in den Daten unter anderem SOPs, Nachweise über die Kalibrierung, Verifizierung und Wartung der eingesetzten Geräte. Außerdem fehlten Ausbildungsnachweise der Mitarbeiter, die fortlaufende Dokumentation der sichergestellten Proben, der Temperaturen der Kühlschränke, in denen die Proben gelagert wurden und Angaben zum Qualitätsmanagementsystems. Kinzig vermisse außerdem einen „Non conformance corrective action report”. Darin werden Fehler und Regelverstöße im Labor dokumentiert.

Kinzig moniert Mängel im Detail, wie fehlende Datumsangaben, Uhrzeiten, Unterschriften und falsche Probebezeichnungen. Mängel, die Kinzig als „leicht bis mittelschwer“ einstufte, waren fehlerhaft beschriftete Grafiken, einzelne fehlende Daten, wie Temperaturangaben, und Korrekturen per Überschreibung. „Die Mängel wirken sich auf die Glaubhaftigkeit der Ergebnisse aus“, sagte sie laut Correctiv. Sie könne nicht ausschließen, dass sie völlig unbrauchbar seien. Kinzig hatte ebenfalls nicht alle Daten durchgesehen. Offenbar fehlten Teile der Unterlagen.

Die Verteidigung fragte Kinzig, ob sie die Ergebnisse ohne die fehlenden Unterlagen verifizieren könne. Sie antwortete, Nein. Dem Richter platzte der Kragen: „Bevor ich gleich echt sauer werde. Sie fordern Unterlagen an. Dann fehlen anscheinend Unterlagen und davon wird uns nichts gesagt. Und jetzt wird die präsentierende Sachverständige hier von Ihnen gefragt, ob sie ohne fehlende Unterlagen ausschließen könne, dass Fehler passiert seien", wirft er der Verteidigung vor.

Die Chemikerin hat noch nie eine Wirkstoffbestimmung von monoklonalen Antikörpern durchgeführt oder die Dokumentation einer solchen Untersuchung inspiziert, auch als Sachverständige für Qualitätssicherung hat sie noch nie gearbeitet. Sie hat weder in einem anderen Strafprozess, noch allgemein Erfahrung als Sachverständige, wie Correctiv auc dem Gerichtssaal zitiert.

Schließlich wurde Siegfried Giess vom PEI befragt. Er bemerkte, dass nahezu alle von Kinzig genannten Unterlagen vorlägen, aber nicht angefordert worden seien. Unter den beim PEI vorliegenden Unterlagen seien „natürlich“ auch die SOPs. „Mein Eindruck ist, dass es sich um Fehlerkorrekturen handelt. Das sind Tippfehler und keine Fehler, die die Qualität unserer Messungen in Frage stellen", sagte Giess bei Durchsicht der Dokumente.