Kritik an BGH-Urteil

Was ist so verwerflich an einer Tube Handcreme? APOTHEKE ADHOC, 26.06.2019 15:19 Uhr

Berlin - 

Apotheker Jens Wieprecht aus Dortmund möchte, was viele seiner Kollegen möchten: Einem guten Kunden, oder einem sozial schwachen, auch mal etwas Gutes tun. Aber auch Wieprecht hat keine Lust auf rechtlichen Ärger. Deswegen hat er sich über das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Rx-Boni geärgert – und über die Reaktion seiner Apothekerkammer Westfalen-Lippe. An deren Präsidentin Gabriele Overwiening hat er einen offenen Brief geschrieben.

Direkt nach dem „Ofenkrusti-Urteil“ des BGH hatte sich Wieprecht, Filialleiter der Apotheke am Phoenixsee, an seine Kammer gewandt. „Finden Sie nicht auch, dass es langsam wirklich reicht? Wir müssen uns wegen so einer Kleinkariertheit wieder vor unsere Patienten rechtfertigen, während unser Mitbewerber aus dem Versandhandel weiterhin mit Lockangeboten auf Kundenfang gehen. Wann zeigen wir endlich auch mal der gesamten Öffentlichkeit, dass man mit uns nicht alles machen kann?“ Er würde sich von seiner Kammer wünschen, dass sie der Politik endlich die Stirn bietet.

Seinen Frust über den Spruch aus Karlsruhe kann Overwiening nicht teilen: An der Rechtslage für die Apotheker habe sich mit dem Urteil rein gar nichts geändert. „Das absolute Zugabeverbot in Verbindung mit der Abgabe von Rx-Arzneimitteln hatte ja schon vorher Bestand. Es ist durch die Richter nur noch einmal bekräftigt worden.“ Weil das Urteil klarstellt, dass weiterhin einheitliche Abgabepreise für rezeptpflichtige Arzneimittel in allen Apotheken gelten, sei es zugleich „ein ganz wichtiges Signal“ im Zusammenhang mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz: „Denn wir kämpfen ja politisch darum, die Gültigkeit bundeseinheitlicher Preise auch für ausländische Versender wiederherzustellen, die nach dem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2016 davon abweichen können. Dieses Ziel zu erreichen, hat für uns oberste Priorität, weil einheitliche Abgabepreise nicht eine „Kleinkariertheit“, sondern das Fundament allen apothekerlichen Handelns darstellen“, schrieb Overwiening

Wieprecht fühlt sich etwas missverstanden. „Ich möchte zunächst klarstellen, dass ich ein großer Verfechter von fairen und gleichen Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer im Bereich Arzneimitteldistribution bin.“ Was ihn ärgert, ist die Passivität der Standesvertretung. Wenn sich eigentlich nichts geändert habe, wundere ihn die Aufmerksamkeit von Presse und Öffentlichkeit nach der Urteilsverkündung schon etwas.

Die lobende Einordnung des Urteils von Seiten der Standesvertretung teilt Wieprecht nicht. Er hätte sich gewünscht, dass die ABDA und seine Kammer zunächst ein Meinungsbild aus der Kollegenschaft eingeholen, bevor sie in der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, den ganzen Berufsstand zu vertreten.

Denn die eigentlichen Probleme liegen aus seiner Sicht nicht darin, ob man mit einer Packung Taschentücher auf Kundenfang geht oder nicht. Wieprecht ist seit mehr als 20 Jahren Apotheker und kennt weder in Dortmund noch anderswo Kollegen, die „extensiv Proben und Geschenke unter das Volk bringen“. Auch dank der sehr guten Fort- und Weiterbildungsarbeit der Kammer wisse der Großteil der Kollegen mittlerweile, dass nachhaltige Kundenbindung „nur durch pharmazeutische Qualität, vertrauensvolle Beratung und seriösen Umgang mit den Sorgen der Patienten möglich ist“.

„Aber ich frage Sie, was daran verwerflich ist, wenn ich einer treuen, älteren Patientin mit Minirente und allein zu Hause eine kleine Tube Handcreme zu ihrem verordneten Medikament dazu schenke? Das ist einfach nur aufmerksam, fürsorglich und menschlich, denn diese Frau geht deutlich glücklicher und zufriedener aus meiner Apotheke als sie reingekommen ist“, schildert der Apotheker seinen Arbeitsalltag.

Was Wieprecht befürchtet: Dass neidende Kollegen „Spione“ schicken und Verstöße denunzieren. „Und Sie wissen genau, wer sich dieses Spektakel genüsslich aus der Ferne anschaut: Doc Morris & Co.“, so Wieprecht. „Wir packen mal wieder nicht das Problem an der Wurzel sondern bremsen uns selbst aus, weil wir wenig bis nichts der Politik und der Rechtsprechung entgegensetzen.