Schweinegrippe-Impfstoff

Pandemrix: Höheres Impfrisiko schon vorher bekannt? APOTHEKE ADHOC, 24.09.2018 15:16 Uhr

Schwere Nebenwirkungen unter Pandemrix: Wie ein Bericht im „British Medical Journal" nahelegt, war dem Hersteller GSK das Impfrisiko bekannt. Er soll es aber ignoriert haben, so der Vorwurf. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Millionen Menschen in Europa ließen sich 2009 mit dem Impfstoff Pandemrix gegen die Schweinegrippe (H1N1-Influenzavirus) impfen, auch in Deutschland war die Immunisierung zu dem Zeitpunkt ein großes Thema. Damals gab es Sicherheitsbedenken – hauptsächlich deshalb, weil der Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) die Vakzine nicht ausreichend untersucht hatte. Es kam zu ernsten Nebenwirkungen, die anscheinend vorher bekannt waren, aber ignoriert wurden. Das legt ein im Fachjournal „British Medical Journal” (BMJ) veröffentlichter Bericht nahe.

Adjuvantien in Impfstoffen sind Öl-in-Wasser-Emulsionen und dienen als Wirkverstärker, die auch in Pandemrix und dem kanadischen Pendant Arepanrix enthalten waren. In Deutschland waren Ärzte zum Zeitpunkt der Impfkampagnen über mögliche Nebenwirkungen des Wirkverstärkers im Pandemrix-Impfstoffs besorgt. Bereits ein Jahr später wurden ernste Ereignisse bei Patienten dokumentiert.

Denn die Impfung mit Pandemrix ist unter anderem mit Nebenwirkungen wie allergischem Schock, Gesichtslähmungen, Zuckungen und Narkolepsie (Schlafkrankheit) assoziiert. Letzteres ist eine schwerwiegendes Arzneimittelereignis, das europaweit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen beobachtet wurde. Mehrere staatlich durchgeführte Studien in Großbritannien und Finnland bewerteten die Beziehung zwischen Pandemrix und Narkolepsie als „wahrscheinlich kausal“. Der Hersteller und die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) sind dagegen anderer Meinung. GSK erklärte gegenüber dem BMJ, dass dafür weitere Forschung erforderlich sei, um dies zu bestätigen.

Laut dem BMJ geht aus Klageschriften hervor, dass der Hersteller und Beamte des Gesundheitswesens Monate vor der Meldung der Narkolepsiefälle über andere schwerwiegende unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Pandemrix Bescheid wussten. Außerdem gibt es Unterschiede in den Nebenwirkungen. So sollen bei GSK im November 2009 insgesamt 1138 Meldungen für schwerwiegende Nebenwirkungen für Pandemrix eingegangen sein. Umgerechnet bedeutet das, dass pro eine Millionen Geimpfte etwa 76 schwere Nebenwirkungen gemeldet wurden. Diese Nebenwirkungen traten siebenmal so häufig auf wie bei Arepanrix und dem kombinierten Impfstoff ohne Adjuvans. Auch bei einer Betrachtung der Nebenwirkungen insgesamt fällt der große Unterschied auf: Bei Pandemrix lag dieser Wert bei 253,8 pro eine Millionen Impfdosen, bei Arepanrix hingegen bei 42,7. Diese Zahlen zu den unerwünschten Ereignisse gingen aus den Sicherheitsberichten des Herstellers hervor. Diese Unterschiede sind dem Bericht zufolge sehr offensichtlich und alarmierend, sie wurden aber nie öffentlich thematisiert – weder vom Hersteller noch von den Gesundheitsbehörden.

Auch wird moniert, dass der Impfstoff nicht ausreichend getestet wurde. Wie aus dem BMJ hervorgeht, hatten Regierungen auf der ganzen Welt verschiedene logistische und rechtliche Vereinbarungen getroffen, um die Zeit zwischen der Erkennung eines Pandemievirus und der Herstellung eines Impfstoffs und der Verabreichung dieses Impfstoffs in der Bevölkerung zu verkürzen. In Europa war ein Bestandteil dieser Pläne eine Vereinbarung über die Erteilung von Lizenzen für Pandemie-Impfstoffe auf der Grundlage von Daten aus Musterimpfstoffen, sogenannte „Mock-ups”, die mit einem anderen Virus (H5N1-Influenza) hergestellt wurden. Außerdem sollen Länder wie Kanada, den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland die Impfstoff-Hersteller von der Haftung für Fehlverhalten freigestellt und damit das Risiko einer Klage aufgrund von Impfschäden verringert haben.

Auf Anfrage des BMJ erklärte GSK, alle verfügbaren Sicherheitsdaten zum kontrovers diskutierten Impfstoff regelmäßig an die EMA übermittelt zu haben. Die Daten seien wöchentlich durch die Behörde öffentlich gemacht worden und weiterhin über ihre Website zugänglich. Das BMJ wollte zudem vom Hersteller wissen, ob er jemals die Diskrepanz zwischen den unerwünschten Ereignissen zwischen Pandemrix und Arepanrix evaluiert hat, ob Gesundheitsbehörden diesbezüglich informiert wurden oder ob in Erwägung gezogen worden sei, Arepanrix statt Pandemrix zu empfehlen. Wurde sogar überlegt, den Impfstoff vom Markt zu nehmen? GSK gab gegenüber dem Fachjournal dazu keine Stellungnahme und verwies auf laufende Verfahren.

Für den Hersteller steht jedoch klar, alles im Sinne der Patientensicherheit unternommen zu haben. „Bei der Entwicklung und Einführung der Impfstoffe Pandemrix und Arepanrix hat GSK alle von den Behörden festgelegten Anforderungen für die Überwachung und Auswertung von Sicherheitsdaten erfüllt”, teilt eine Konzernsprecherin auf Anfrage mit. Sie bestätigt, dass alle Sicherheitsdaten übermittelt und die Zusammenfassungen wöchentlich auf der Website der EMA veröffentlicht wurden. „Alle Analysen der verfügbaren Sicherheitsdaten, die von GSK und unabhängig von den Behörden während und nach der Pandemie durchgeführt wurden, haben ergeben, dass die Risiko-Nutzen-Profile von Pandemrix und Arepanrix positiv sind.”