Zeitungsbericht

Kliniken: Generalamnestie für falsche Rechnungen APOTHEKE ADHOC, 02.11.2018 14:23 Uhr

Klagewelle: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will rückwirkend bis 2017 die Verjährungsfrist für Rückforderungen der Krankenkassen wegen fehlerhafter Klinikrechnungen von vier auf zwei Jahre zu halbieren. Foto: Uniklinik Freiburg/Britt Schilling
Berlin - 

Auf Deutschlands Sozialgerichte rollt nach einem Bericht des Handelsblattes eine Prozesslawine zu. Grund seien Pläne von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), rückwirkend bis 2017 die Verjährungsfrist für Rückforderungen der Krankenkassen wegen fehlerhafter Klinikrechnungen von vier auf zwei Jahre zu halbieren. Dazu liegt laut Bericht ein Änderungsantrag vor, der in der kommenden Woche im Zusammenhang mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz beraten werden soll.

Nach einem Brandbrief, in dem alle Kassenverbände vergangene Woche an den Gesundheitsausschuss appelliert hatten, auf diesen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu verzichten, soll die geplante Regelung nun sogar verschärft werden, berichtet die Zeitung. Danach sollen nun Forderungen aus Falschabrechnungen vor Ende 2017 niedergeschlagen werden, die nicht bis zur Verabschiedung des Gesetzes bei Gericht geltend gemacht wurden. Diese ist für nächsten Freitag geplant.

So wolle Spahn verhindern, dass die Kassen Altfälle zu den Gerichten trügen, bevor die neue Verjährungsfrist in Kraft trete. Der Schuss könnte laut Handelsblatt aber nach hinten losgehen. „Wir machen Sonderschichten am Wochenende. Die Klagen gehen raus, und wenn wir sie persönlich bei Gericht abgeben“, wird ein Kassenchef zitiert.

Allein bei der Münchener SBK gehe es um 18.000 Fälle, für die binnen sechs Tagen Klage eingereicht werden müsse. Insgesamt gehe es um Rückzahlungen in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags. „Hier entgeht der Versichertengemeinschaft Geld, das ihr eigentlich zusteht“, kritisiert der stellvertretende Chef der TK, Thomas Ballast. „Die Krankenhäuser erhalten eine Generalamnestie für alle Falschabrechnungen vor dem 1.1.2017“, so AOK-Chef Martin Litsch. Auch er rechne nun erst recht mit einer Prozessflut vor den Sozialgerichten.

Auslöser für die Rechtsänderung war ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). Danach darf die Kasse die Vergütung kürzen, wenn der Transport von Schlaganfallpatienten zur Spezialklinik über eine halbe Stunde dauerte. Die Krankenhauslobby hatte laut Handelsblatt danach Druck gemacht, um zu verhindern, dass die Kassen das Urteil zum Anlass für Nachforderungen nehmen – mit durchschlagendem Erfolg. Den 300 vom Urteil betroffenen Kliniken bleiben laut TK wohl Rückzahlungen von 280 Millionen Euro erspart.

Zum Handelsblatt-Bericht erklärte Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG): Von einer Generalamnestie für „Falschabrechnungen“ könne überhaupt keine Rede sein. Hintergrund der vorgesehenen gesetzlichen Begrenzung der Verjährungsfrist für die Geltendmachung von Rechnungsbeanstandungen von vier auf zwei Jahre seien hingegen an vielen Beispielen belegbare „Beliebigkeiten“, mit denen die Krankenkassen massenhaft Rechnungskürzungen für längst abgeschlossene Fälle bei den Krankenhäusern einklagten. Baum: „Häufige Auslöser sind Änderungen in der Rechtsprechung hinsichtlich formaler Kriterien, die dann für längst abgeschlossene Behandlungsfälle rückwirkend geltend gemacht werden. Jüngstes Beispiel sind die Neuinterpretationen zu Fahrtzeiten bei Schlaganfallpatienten, die von fast allen Kassen zum Anlass genommen werden, tausendfache Schlaganfallbehandlungen, die allesamt ohne medizinische Beanstandungen erbracht wurden, bis zu vier Jahren rückwirkend mit Kürzungen zu belegen.“

Dabei seien die Krankenhäuser in einer absolut benachteiligten Position, weil die Ankündigung einer beabsichtigten Kürzung ausreiche, um im Wege der Verrechnung mit neu erbrachten Leistungen die Geldmittel sofort einzubehalten. Mit den von den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Änderungen würden den Krankenkassen in keinster Weise Rückforderungen abgeschnitten. Die Tatsache, dass die Krankenkassen nunmehr in kürzester Zeit weitere Massenklageverfahren ankündigen, unterstreiche vielmehr die Willkürlichkeit, mit der die Krankenhäuser bis zur Existenzbedrohung von den Krankenkassen in diesem Bereich attackiert werden könnten. „Zu Recht haben die Bundesländer im Bundesrat Änderungen zum Schutz der Krankenhäuser gefordert. Die Begründungstexte zu den vorgesehenen gesetzlichen Änderungen unterstreichen die Notwendigkeit zum schnellen Handeln“, so Baum.