Flüchtlinge

„Deine Zeit als wohlhabender Apothekersohn ist vorbei“

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Berlin -

Es ist nicht das erste Mal, dass eine große Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland strömt. Viele deutsche Pharmazeuten und PTA haben Eltern oder Großeltern, die vertrieben wurden oder fliehen mussten. Andreas Portugal und Dr. Carina Vetye-Maler sind Apotheker – und die Kinder von Flüchtlingen. Ihre Eltern und Großeltern haben ihnen von den Vorbehalten und Nachteilen erzählt, die ihnen am Ziel ihrer Flucht begegnet sind.

Portugals Großeltern wurden im Zweiten Weltkrieg mit ihrem sechsjährigen Sohn aus Ostpreußen vertrieben. Der Großvater führte eine Apotheke – in Wehlau, einer Stadt bei Königsberg. Portugal hat den Ort selbst einmal besucht: „Das Haus steht noch. Aber es beherbergt inzwischen keine Apotheke mehr“, berichtet er.

Im Krieg floh sein Großvater nach Thüringen, wo er als angestellter Apotheker arbeitete. „Geflohene, ehemals selbstständige Apotheker waren damals nicht gern gesehen“, sagt Portugal. Er habe für eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema recherchiert: „Einige Approbierte in Deutschland sahen die Vertriebenen als Konkurrenten.“ Die Niederlassungsfreiheit gab es noch nicht, doch die Pharmazeuten hatten Angst, dass die Einwanderer ihnen die Apotheken abnehmen könnten. „Fachkräftemangel gab es damals nicht“, sagt Portugal.

Wie der Großvater wurde auch Portugals Vater Apotheker. Er zog von Thüringen nach Mecklenburg-Vorpommern. Zu DDR-Zeiten leitete er die Apotheke in Jarmen und eine Zweigapotheke in Tutow. Als die Mauer gefallen war, übernahm er beide als Inhaber. Nach seinem Tod wurden die Apotheken zunächst für fünf Jahre verpachtet, bevor Portugal sie weiterführte. In beiden Orten sind derzeit Flüchtlinge untergebracht; in Jarmen etwa 20, in Tutow 70 Personen. „Bis letzten August arbeitete ein Apotheker aus Jordanien bei uns, er konnte sie sehr gut beraten“, sagt Portugal. Nun laufe vieles auf Englisch, zum Teil auch schon auf Deutsch.

Vetye-Maler pendelt zwischen Südamerika und München. Sie arbeitet für Apotheker ohne Grenzen (AoG) in den Slums von Buenos Aires. Sie ist in Argentinien aufgewachsen und hat dort Pharmazie studiert. Mit 23 kam sie nach Deutschland und hat hier ihre Approbation erworben. Ihr Vater war 14 Jahre alt, als er im heutigen Serbien unter dem kommunistischen Regime von Josip Broz Tito in ein Arbeitslager deportiert wurde.

Schon Vetye-Malers Großvater hatte eine Apotheke geführt. „Die Leute im Ort hatten versucht, ihn zu schützen, als Titos Anhänger ihn loswerden wollten“, sagt sie. Irgendwann reichte das jedoch nicht mehr: Die Apothekerin vermutet, dass das vergleichbar hohe Einkommen ihres Großvaters der Grund war, weshalb die Kommunisten die ganze Familie einsperrten. Zugleich störten sie sich wohl daran, dass die Apothekerfamilie deutsch sprach, die Amtssprache der zerfallenen Monarchie Österreich-Ungarn.

Die Großeltern, ihr Vater und Onkel wurden in verschiedene Lager gebracht. Der Großvater starb in der Gefangenschaft, doch seine Frau konnte mit den beiden Söhnen entkommen. Über Rumänien und Ungarn flohen die drei bis nach Frankreich. Von dort setzten sie sich nach Argentinien ab.

Vetye-Malers Vater war 18, als er in Buenos Aires ankam. „Er hatte die gleichen Probleme, die junge Flüchtlinge heute in Europa haben“, sagt Vetye-Maler. „Er musste die Sprache lernen, die Schule nachholen und den Berufseinstieg schaffen.“ Als Einwanderer konnte er seine Ausbildung nicht völlig frei wählen. Er wollte Flugzeugingenieur werden, bekam jedoch keinen Studienplatz. So entschied sich er sich für eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker. Dann musste er jedoch feststellen, dass ein Arbeitsplatz nur beim Militär oder über Beziehungen zu bekommen war. „Nach seinen Erlebnissen in Serbien wollte er natürlich nicht zur Armee, und Vitamin B hatte er als Flüchtling nicht“, sagt Vetye-Maler.

Ihr Vater habe oft erzählt, dass er nach der Flucht zwar nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr gewesen sei, aber neue Probleme zu bewältigen hatte. „'Man zahlt einen Preis', hat er mir gesagt“, berichtet Vetye-Maler. Er erklärte ihr: „Wer sein Land verlassen muss, für den schließen sich sehr viele Türen.“ Auch der Großvater habe ihm keine Illusionen gemacht: „Deine Zeit als wohlhabender Apothekersohn ist für immer vorbei“, habe er gesagt, als die Familie von den Anhängern Titos abgeholt wurde.

Vetye-Maler findet es wichtig, die Flüchtlinge von heute gut zu integrieren. Eine Voraussetzung dafür sei, dass sie schnell deutsch lernten. „Es kommen junge Menschen zu uns, die an Arbeitsplätzen im Gesundheitswesen interessiert sind“, sagt sie. Weil Apotheken gut mit anderen Heilberufen vernetzt seien, sollten sie ihre Position nutzen und die Flüchtlinge auf die Jobs mit Nachwuchsbedarf hinweisen. „Es wird sich wohl wiederholen, was mein Vater erlebt hat: Viele würden vielleicht lieber einen anderen Beruf ergreifen, werden aber das wählen müssen, was gesucht wird.“

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