Pfusch-Prozess

PEI: Fussel im Infusionbeutel

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Berlin -

Im Prozess um mutmaßlich gepanschte Krebsmedikamente sagte vor dem Landgericht Essen am 13. Verhandlungstag ein Sachverständiger des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) aus. Er wurde zu den Probenanalysen befragt. Parallel forderte ein Anwalt der Nebenklage die Ladung von Kanzlerin Angela Merkel als Zeugin, wie das Recherchenetzwerk Correctiv und auch die Bild berichtet.

Das PEI hatte die beschlagnahmten Proben untersucht, in denen Antikörper enthalten sein sollten. Doch dem Zeugen zufolge war schon in dem ersten Beutel kein Wirkstoff nachweisbar. „Wir bekamen bei dem Test im Labor überhaupt keine Signale. Wir dachten, da stimmt was nicht, da wir nur reine Kochsalzlösung feststellten. Aber als nach zwei weiteren anderen Untersuchungsmethoden weiterhin keine Wirkstoff-Werte messbar waren, wurde uns klar: Da ist offenbar überhaupt nichts drin“, zitiert die Bild den Experten.

Insgesamt untersuchte das PEI 29 Proben. Genutzt wurden Untersuchungsmethoden des Europäische Arzneibuchs (Ph.Eur.), darunter Sichtkontrolle, Proteinbestimmung, molekulare Gewichtsverteilung, SDS-Elektrophorese und die isoelektrische Fokussierung. Stets wurde unter der Verwendung einer Referenz geprüft.

Der Sachverständige berichtete von einem erheblichen Mindergehalt, falschen Antikörpern und vorhandenen Verunreinigungen. In lediglich einer Probe habe man festgestellt, dass der gemessene Wirkstoff mit der auf dem Etikett angegebenen Menge übereinstimmte. Es handelte sich bei dieser Probe um eine Spritze.

Bei sechs Präparaten war ein anderer Antikörper in der Infusion. „Laut Institut-Analyse sogar ganz andere Wirkstoffe als auf dem Rezept verordnet, vom falschen Medikament dann aber auch statt der angegebenen 370 nur 45,5 mg“, heißt es in der Bild. „Anstatt der auf dem Etikett angegebenen 490 waren nur 24,6 mg Wirkstoff drin, statt 480 nur 41,8 mg, statt 730 nur 24 mg“, schreibt die Zeitung weiterhin.

Bei Spritzen mit Xgeva (Denosumab, Amgen) konnten mangels Masse nur eine Proteinbestimmung durchgeführt werden. Weiterhin berichtete der Experte, dass bei einer Probe ein Fussel vorgefunden wurde. Seiner Aussage zufolge dürfte diese Infusion gar nicht verabreicht werden. Den festgestellten Mindergehalt der Proben könne er nur mit der Verwendung von zu wenig Wirkstoff im Herstellungsprozess erklären. Der Zeuge hält es für unmöglich, dass es schon die Ausgangsmittel unterdosiert waren. Auch sieht er nicht die Gefahr, dass ein Blitzlicht Auswirkung auf die Konzentration hätte. Bei einem Zerfall des Wirkstoffs hätten außerdem Bruchstücke vorhanden sein müssen, die dann auch experimentell nachweisbar gewesen wären.

Das PEI arbeitet demnach nach Standardverfahren (SOP); dies war in einem Gutachten von der Verteidigung angezweifelt worden. Bei seiner Aussage erklärt er, dass die Kühlkette sehr wichtig sei. Monoklonale Antikörper hätten aber eine lange Halbwertszeit und seien daher lange nachweisbar – auch im Körper von Patienten. Am Tag der Razzia hätten ihm zufolge daher systematisch Blutproben entnommen werden müssen. Laut Correctiv wurde nur vereinzelt Blut von einigen Patienten entnommen.

Um herauszufinden, was das Bundeskanzleramt von den gepanschten Krebsmedikamenten weiß, soll auch Merkel zu den Vorfällen aussagen. Hintergrund ist ein Briefwechsel zwischen dem Kanzleramt und eine der Betroffenen, die sich parallel auch an den Bundespräsidenten gewandt hatte. In seiner Antwort geht das Kanzleramt davon davon aus, „dass es sich bei den Bottroper Geschehnissen um einen Einzelfall kriminellen Fehlverhaltens handelt”.

Ein Anwalt der Nebenklage sah in der Formulierung einen Grund zur Annahme, dass Merkel beziehungsweise dem Bundeskanzleramt maßgebliche Erkenntnisse vorliegen, die für die Schuld- und Straffrage von Peter S. von Bedeutung seien. Zudem forderte die Nebenklage die Beiziehung der Akten des Staatsschutz zu den Ermittlungen zu den Drohbriefen gegen die Nebenklägerinnen und die Mitglieder der Demonstration in Bottrop.

Die Verteidigung dagegen fordert, den Vorwurf der versuchten Körperverletzung fallen zu lassen. Grund ist die Aussage eines Fahrers, der am Tag zuvor vernommen wurde. Seiner Aussage zufolge erhielt ein Fahrer immer eine Freigabe der Boxen mit den darin vorhandenen Infusionen. Diese Freigabe sei bei den beschlagnahmten Infusionen aber nicht erfolgt. „Die Anwälte der Nebenklage halten dieses Manöver der Verteidigung für durchsichtig“, so Correctiv.

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