Grippeimpfstoffe

Hersteller attackieren Apotheker-Vertrag

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Berlin -

Rabattverträge über Impfstoffe sind verboten, folgerichtig dürfte es auch die Vereinbarung des Berliner Apotheker-Vereins (BAV) mit der AOK Nordost nicht mehr geben, findet der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Die Vereinbarung für die kommende Saison ist für den Herstellerverband eine Umgehung geltenden Rechts.

Laut BPI nimmt die neue Impfstoffvereinbarung direkten Einfluss auf die Patientenversorgung. Diese „Versorgungssteuerung durch die Hintertür“ verurteile man aufs Schärfste: „Was die Krankenkassen als ‚Mittel einer effizienten Arzneimitteltherapie‘ bezeichnen, widerspricht dem politischen Willen“, so Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer. Die AOK riskiere sehenden Auges Versorgungsengpässe für die Patienten. „Folgen, für die sie die Verantwortung zu tragen haben wird.“

Mit der Vereinbarung umgehe die AOK bestehendes Recht. Die Bundesregierung hatte mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) exklusive Rabattverträge für Impfstoffe wegen latenter Versorgungsprobleme verboten. Das Ausschreibungsmodell widerspreche klar den gesetzgeberischen Zielen einer stabilen Impfstoffversorgung und einer hohen Impfquote. „Das ist falsch und fahrlässig“, so Dr. Norbert Gerbsch. „Wenn sich die GKV aber zum Gesundheitsbroker aufschwingt, muss sie konsequenterweise auch die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.“

Denn während gerade erst sowohl die EU-Kommission als auch die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) des Robert-Koch-Instituts empfohlen hätten, sich gegen Grippe impfen zu lassen, setze die AOK die „Gesundheitsanlage“ ihrer Versicherten aufs Spiel. „Da wird soweit gespart, als dass der Rabattvertrag an ein Unternehmen geht, dass noch gar keinen Impfstoff hat“, so Gerbsch. „Die Versicherten sollten wegen schlechter Anlageberatung klagen, wenn ihre Kasse ihre Versorgungssicherheit fahrlässig aufs Spiel setzt.“

Der BPI fordert seit Langem eine grundlegende Reform der Rabattverträge. Gerbsch: „Die Gefahr von Versorgungsengpässen wäre leicht zu verringern, wenn es grundsätzlich erst Ausschreibungen für Arzneimittel geben darf, wenn mindestens vier Anbieter im Markt sind und zudem die Krankenkassen an mindestens drei Anbieter Zuschläge erteilen müssen, von denen mindestens einer den Standort seiner Produktionsstätte in der EU nachweisen muss.“ Nun sei zu befürchten, dass weitere Krankenkassen das Modell der AOK kopierten, wenn der Gesetzgeber nicht einschreite.

Die AOK Nordost hatte vor Kurzem mit den Apothekern eine Impfstoffvereinbarung für die Grippesaison 2018/2019 abgeschlossen. Die Versorgung der rund 1,8 Millionen Versicherten in der Region Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern soll nach Möglichkeit nur durch einen Anbieter erfolgen, mit dem der BAV über seine Tochterfirma D.S.C. einen Vertrag geschlossen hat. Die Ärzte sollen generisch verordnen. Konkrete Verordnungen und Kinderimpfungen müssen gesondert genehmigt werden.

Für den quadrivalenten Impfstoff ist ein Betrag von 10,95 Euro pro Mehrwertsteuer vorgesehen. Entschließt sich eine Apotheke, sich in Eigenregie um die Beschaffung eines Grippeimpfstoffs zu kümmern, muss sie selbst zusehen, dass sie kostendeckend arbeiten kann. Die beiden verfügbaren quadrivalenten Impfstoffe Vaxigrip tetra (Sanofi) und Influsplit tetra (GSK) haben einen Listenpreis von 131,09 Euro je 10er-Packung – also deutlich mehr, als mit der AOK Nordost vereinbart wurde.

Den Zuschlag bei D.S.C. hat Mylan erhalten; der Generikakonzern hat sich nicht nur über Rabattverträge weite Teile des Marktes gesichert, sondern war auch in Berlin bereits in den vergangenen Jahren als einer von zwei Partnern mit dabei. In der kommenden Saison soll Influvac tetra geliefert werden, der quadrivalente Impfstoff ist aber noch gar nicht auf dem Markt. Bereits jetzt hat sich der Hersteller aber laut Vertrag zur Einhaltung der Liefertermine und -mengen verpflichtet. Fällt er aus, steht den Apotheken ein Schadenersatz insbesondere mit Blick auf eine angemessene Ersatzbeschaffung zu.

Bis zum 12. März sollen die Ärzte die Bestellungen in den Apotheken einreichen; die Kollegen sollen die Praxen daher möglichst frühzeitig ansprechen. Allerdings wies der BAV darauf hin, dass die Impfstoffe unterschiedliche Zulassungen für unter 18-Jährige haben. Mindestens 10, maximal 250 Impfdosen dürfen auf einem Rezept über Sprechstundenbedarf stehen, bei höherem Bedarf sind mehrere Rezepte auszustellen. Bis zum 31. Mai 2019 müssen alle Rezepte bei der AOK Nordost zur Abrechnung eingereicht sein. Verordnet der Arzt einen bestimmten Impfstoff oder eine bestimmte Applikationsart, etwa nasal (Fluenz tetra), muss die Apotheke sich dies ausdrücklich bestätigen lassen und einen Kostenvoranschlag bei der AOK Nordost einholen.

Bei welchen Impfungen die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, ist in der Schutzimpfungsrichtlinie geregelt. Zuständig ist der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA). Zwar endet die Frist für eine Entscheidung bezüglich des quadrivalten Grippeimpfstoffs erst im April. Doch bereits kurz nach Veröffentlichung der neuen STIKO-Empfehlung im Epidemiologischen Bulletin hatte der Vorsitzende Josef Hecken Medienberichte zurückgewiesen, in denen über eine Nichtumsetzung und damit verbunden eine schlechtere Behandlung von Kassenpatienten gemutmaßt wurde.

Auch der BAV weist darauf hin, dass der G-BA in der Vergangenheit den STIKO-Empfehlungen „in der Regel ohne Abstriche“ gefolgt sei. Vor diesem Hintergrund habe man sich entschieden, bereits jetzt Verträge mit den Kassen zu schließen. Für den Fall, dass der G-BA doch zu einer anderen Entscheidung kommt, verliert der Vertrag von D.S.C. seine Gültigkeit.

Das Modell existiert seit 2011 und war nach einem Angriff durch Novartis vom Bundeskartellamt für rechtmäßig erklärt worden. In der ersten Runde 2011/12 konnten 11 Euro für Impfstoffe ohne Adjuvans und 14 Euro für Impfstoffe mit Adjuvans abgerechnet werden. Seitdem sind die Preise deutlich gesunken: In der Saison 2012/2013 gab es 8,99 Euro, 2013/2014 noch 7,75 Euro und 2014/15 noch 7,20 Euro. Immerhin konnten durch das Modell Ausschreibungen wie in fast allen anderen Bundesländern verhindert werden.

Nicht überall waren die Rabattverträge zum Nachteil der Apotheker. In Baden-Württemberg etwa gab es für den Wechsel auf den Rabattpartner einen kleinen Bonus – immerhin gibt es im Sprechstundenbedarf keine gesetzliche Austauschpflicht. Die spannende Frage ist, wie die Kassen in diesen Ländern nach der Abschaffung der Ausschreibungen und dem Wechsel vom tri- zum tetravalenten Impfstoff reagieren.

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